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Sebastian Walter (r), Fraktionsvorsitzender Die Linke, spricht während der 19. Sitzung des Brandenburger Landtages nach der Regierungserklärung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (l).

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Soeren Stache

„Wir steuern auf eine ungeahnte Armutswelle zu“: Linke wirft Brandenburger Koalition Untätigkeit bei Preissteigerungen vor

Geringverdiener und Pendler sind besonders betroffen. Die Regierung sichert den Tafeln weitere Hilfe zu – eine Grundförderung fand keine Mehrheit.

Die extrem steigenden Lebensmittel-, Energie- und Benzinpreise bringen Hunderttausende Brandenburger zunehmend in Nöte – und die Landespolitik unter Druck. Ein Grund ist auch, dass die Löhne hier nicht selten noch niedriger sind als anderswo und knapp 200.000 Menschen zur Arbeit pendeln, viele mit dem Auto.

Im Landtag warf Linke-Oppositionsführer Sebastian Walter am Mittwoch der von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführten Kenia-Regierung aus SPD, CDU und Grünen Untätigkeit vor. „Wir steuern auf eine ungeahnte Armutswelle zu, wenn wir nicht endlich anfangen zu handeln. Wie viel Krise brauchen Sie denn noch?“, warnte Walter in einer Aktuellen Stunde mit dem Titel „Inflation und Preisexplosion – das Leben in Brandenburg bezahlbar machen“, die die Linke angesichts der aktuellen Entwicklung beantragt hatte.

Erstmals seit zwei Jahren fand die Landtagssitzung ohne Zugangsbeschränkungen und Masken statt. Auch die Glasscheiben, die die Abgeordneten und Regierungsmitglieder voneinander abschirmten, waren abmontiert worden.

Parteien besorgt wegen Belastung der Brandenburger

In der Debatte ging es hoch her. Redner aller Parteien äußerten sich besorgt, dass die steigenden Preise immer mehr Menschen im Bundesland belasten. Péter Vida, Fraktionschef der Freien Wähler, erinnerte daran, dass schon vor zwei Jahren nach dem Armutsbericht jeder sechste Brandenburger von Armut bedroht gewesen sei. Es sei klar, dass sich die Lage seitdem verschlechtert habe, sagte Vida.

Linke-Fraktionschef Walter erinnerte daran, dass jeder dritte Vollzeitbeschäftigte im Land im Niedriglohnsektor beschäftigt sei, die Preissteigerungen schon jetzt für normale Familien monatliche Mehrbelastungen von 275 Euro mit sich brächten, die Bundesregierung aber nur mit einer Einmalzahlung von 300 Euro entlaste. Es drohe „eine kalte Enteignung, der größte Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagte Walter. „Sichern Sie wenigstens die Tafeln. Das wäre das Mindeste.“

Die Tafeln – ein sozialer Seismograf für die Lage – versorgen in Brandenburg mit 900 Freiwilligen an 44 Standorten ehrenamtlich rund 60.000 Menschen mit Nahrungsmitteln, was mit steigenden Preisen und der Versorgung auch von Tausenden Ukraine-Flüchtlingen immer schwieriger wird. Zwei separate Anträge von Linken und der AfD, für die ehrenamtlichen Tafeln eine Grundförderung aufzulegen, fanden aber keine Mehrheit.

Das Land kann keine zusätzlichen Hilfsstrukturen neben den existenzsichernden Sozialsystemen etablieren.

Ursula Nonnemacher, Sozialministerin (Grüne)

Zwar sicherte Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) den Tafeln weitere Unterstützung zu, etwa für den Kauf von Kühlfahrzeugen, äußerte sich aber zu einer Regelförderung ablehnend. „Das Land kann keine zusätzlichen Hilfsstrukturen neben den existenzsichernden Sozialsystemen etablieren“, sagte Nonnemacher. „Das muss auch einmal deutlich ausgesprochen werden.“

Die Landesregierung habe die Tafeln seit 2015 mit einer halben Million Euro aus Lottomitteln unterstützt. Lottomittel sind ein Fünftel der Einnahmen aus dem staatlichen Glücksspiel Lotto, die das Land für gemeinnützige Projekte einsetzt. Die Unterstützung der Tafeln aus diesen Mitteln werde fortgesetzt, sagte Nonnemacher. 20 Prozent der Einnahmen aus dem staatlichen Glücksspiel Lotto werden vom Land für gemeinnützige Projekte eingesetzt.

Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sicherte den Tafeln weitere Unterstützung zu.
Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sicherte den Tafeln weitere Unterstützung zu.

© Bernd Settnik/dpa/ZB

Auch Nonnemacher zeigte sich „beunruhigt“ angesichts des spürbaren Anstiegs der Lebenshaltungs- und Energiekosten im Land, der „Menschen mit geringen Einkommen besonders belastet, Ältere, Menschen mit Behinderungen, kinderreiche Familien, Alleinerziehende und Studenten.“ Das Entlastungspaket des Bundes gehe in die richtige Richtung, könne aber nur der Anfang sein. „Geringverdienende sind dort im Vergleich zu Besserverdienenden bisher nicht ausreichend berücksichtigt“, sagte Nonnemacher.

SPD für Mehrwertsteuersenkung

Die CDU-Abgeordnete Roswitha Schier nannte das Paket der Jamaika-Koalition unzureichend, da es etwa für Rentner keine Erleichterungen bringe. Für die SPD äußerte sich Vize-Fraktionschef Björn Lüttmann offen für weitere Entlastungsmaßnahmen, etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer. „Das kann eine gute Maßnahme sein. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur weitere Gewinne bei den Unternehmen landen.“

Lüttmann sicherte den Gewerkschaften im Land Unterstützung der SPD zu, die angesichts der Inflation in den nächsten Wochen um „Lohnzuwächse und gegen Reallohnsenkungen“ kämpfen würden. Insgesamt nannte es Lüttmann aber bemerkenswert, welche Krisenfestigkeit der Sozialstaat gerade beweise.

Dagegen nutzte AfD-Fraktionschef Christoph Berndt seinen Auftritt, um vor allem die Linke anzugreifen. „Eine No-Border-Position ist das Gegenteil von links“, sagte Berndt und zitierte Sahra Wagenknecht. „Sozialstaat kann nur im Rahmen eines Nationalstaates funktionieren.“ In Deutschland gerate der unter Druck, weil man sich als „Tafel der Welt“ aufspiele, immer mehr Armutsmigration zulasse.

„Linke Politik kann nur international sein“, widersprach der Linke-Abgeordnete Andreas Büttner. „Sie geht immer vom Menschen aus, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Sexualität. Das ist das Gegenmodell.“ Es wird, gerade in Brandenburg, nicht die letzte Debatte zu den steigenden Preisen gewesen sein.

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