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© imago images/Emmanuele Contini

Tagesspiegel Plus

Wohnen, Verkehr, Sicherheit: Das ist der Stand der Koalitionsverhandlungen von Rot-Grün-Rot in Berlin

Mehr Schulschwimmen, höherer Landesmindestlohn, Solarförderung: Erste Konturen einer neuen Koalition zeichnen sich ab. Ein Überblick über neun Politikfelder.

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Die Uhr läuft: Die ersten kleineren Fachgruppen mussten ihre Vorschläge für den rot-grün-roten Koalitionsvertrag spätestens am Wochenende bei der Spitzengruppe abgeben. Diese tagt am Montag zu den Themen Kultur, Medien und Europa. Am Mittwoch geht es um Wirtschaft und Arbeit, am Freitag um Soziales, Inklusion, Gesundheit und Pflege.

Rund um die Sitzungen der Verhandlungsspitzen herum wurden zahlreiche Sitzungen der Fachgruppen terminiert. Der Zeitplan ist eng. Bis Ende Dezember soll Berlins neue Regierung stehen und im Amt sein.


1. Sport: Sanierungen sollen fortgeführt werden

Bringt der neue Koalitionsvertrag einen Sprung nach vorn fürs Schwimmen?
Bringt der neue Koalitionsvertrag einen Sprung nach vorn fürs Schwimmen?

© Carsten Koall/dpa

Die schnellsten Gruppen waren die der „Sportler“ und der Wirtschaftsfachleute. Erstere haben sich Tagesspiegel-Informationen zufolge darauf geeinigt, das Sportstättensanierungsprogramm mindestens in der Höhe von bisher 18 Millionen Euro pro Jahr fortzuführen. Außerdem sollen die Schulschwimmzentren ausgebaut und Ferienschwimmkurse möglichst dauerhaft angeboten werden.

Ein Thema für die zuletzt tagende Facharbeitsgruppe Haushalt und Finanzen am 22. November werden die Berliner Bäderbetriebe (BBB), die 2020/2021 je 60,5 Millionen Euro Zuschüsse des Landes erhalten haben. Hinzu kam eine außerordentliche Zahlung von 4,21 Millionen Euro wegen coronabedingter Verluste. Die geplanten Kosten zum Beispiel für die Multifunktionsbäder in Pankow und Mariendorf in Höhe von rund 90 Millionen Euro müssen finanzierbar sein. Hinzu kommen 20 Millionen Euro jährlich nur für Bädersanierungen. Ist das alles noch bezahlbar, und soll man das Geld zweckgebunden aus Rücklagen nehmen?


2. Ehrenamt und Kultur: Hilfen für Freie Szene

Unterstützung für Clubs und freie Szene hat sich Rot-Grün-Rot auf die Fahnen geschrieben.
Unterstützung für Clubs und freie Szene hat sich Rot-Grün-Rot auf die Fahnen geschrieben.

© imago/Gerhard Leber

Wie man ehrenamtlich Aktive in Vereinen unterstützt und ihre Arbeit wertschätzt, wird in der Fachgruppe Offene Gesellschaft besprochen. In der Diskussion ist zum Beispiel ein kostenloses VBB-Ticket. Aber kann das für rund 800.000 Ehrenamtliche in Berlin überhaupt finanziert werden?

Einig sind sich die Koalitionäre im Kulturbereich: Die Club- und Kulturszene, vor allem Theater und Museen, soll gezielt gefördert werden. Das gilt auch für die Digitalisierung im Kulturbereich. Weitere Hilfen sollen Künstler und die Freie Szene erhalten. Rot-Grün–Rot hat eine Kulturoffensive angekündigt.


3. Gesundheit: 300 Millionen Euro für Kliniken

Teure Spitzenmedizin: der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.
Teure Spitzenmedizin: der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.

© Hannes Heine

Im Gesundheitsbereich will die künftige Koalition das Konzept „Gesundheitsstadt 2030“ weiterführen: Mit der landeseigenen Charité als Nukleus soll der Berliner Gesundheitssektor Spitzenforscher, Pharmafirmen, Medizintechniker anlocken. Die Charité soll eng mit den landeseigenen Vivantes-Krankenhäusern kooperieren.

Nach den Streiks in der Pflege haben beide Krankenhauskonzerne zugesagt, in den nächsten drei Jahren 1200 (Vivantes) sowie 700 (Charité) Pflegekräfte rekrutieren zu wollen. Das bedeutet, dass die Krankenhäuser mehr Zuschüsse bekommen werden. Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass es mehr Investitionsmittel geben wird. Im Durchschnitt werden rund 230 Millionen Euro jährlich für die Krankenhausfinanzierung ausgegeben. Dies Summe könnte auf 300 Millionen Euro steigen – sofern die Haushälter dieser Erhöhung zustimmen.


4. Wirtschaft: Landesmindestlohn von 13 Euro

Wer Aufträge des Landes bekommen will, soll mindestens 13 Euro Stundenlohn zahlen.
Wer Aufträge des Landes bekommen will, soll mindestens 13 Euro Stundenlohn zahlen.

© imago images/Stefan Zeitz

Im Bereich Wirtschaft und Arbeit wird der Vergabe- und Landesmindestlohn auf 13 Euro erhöht. Die Koalition wird wohl Landesförderprogramme für „gute Arbeit“ auflegen. Die von der Pandemie betroffenen Sektoren Gastronomie, Tourismus, Hotellerie, die Messe und der Einzelhandel sollen über ein Zukunftsprogramm zusätzlich unterstützt werden.


5. Innenpolitik: Kameras an belasteten Orten

Am Alexanderplatz ist eine Videoüberwachung geplant.
Am Alexanderplatz ist eine Videoüberwachung geplant.

© Foto: Paul Zinken/dpa

Rot-Grün-Rot konnte in der Innenpolitik einen langjährigen Disput auch weiter nicht ausräumen: Der finale Rettungsschuss wird in Berlin nicht gesetzlich geregelt, wie es die SPD gern hätte. Dafür hat sich die Koalition auf eine Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten wie am Kottbusser Tor oder auch auf dem Alexanderplatz verständigt.

Unruhe bei Grünen und Linken löste das Gerücht aus, die SPD wolle von ihrem eigenen Parteitagsbeschluss abrücken und die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Neuköllner Anschlagsserie nun doch nicht unterstützen. Landeschef Raed Saleh dementierte, der Ausschuss soll kommen. Gestritten werden dürfte unter den Koalitionspartnern, wie stark sich der Ausschuss der Rolle der Sicherheitsbehörden widmen wird.


6. Klimaschutz: Zielvorgaben messbar machen

Auch Förderprogramme für Solardächer sind vorgesehen.
Auch Förderprogramme für Solardächer sind vorgesehen.

© picture alliance / dpa

Im Bereich Energie/Klima werden sich SPD, Grüne und Linke auf Förderprogramme für Solardächer oder energetische Sanierungen verständigen. Klimaschutz soll anhand von Zielvorgaben messbar werden. Werden Werte überschritten, muss gegengesteuert werden.


7. Wohnen: Neubau-Bündnis und Enteignungs-Check

Streitfrage: Der Volksentscheid setzt Rot-Grün-Rot unter Druck.
Streitfrage: Der Volksentscheid setzt Rot-Grün-Rot unter Druck.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die ihrer Bedeutung wegen von Beginn an unter besonderer Beobachtung der Verhandlungsführer:innen stehende Arbeitsgruppe Stadtentwicklung befasst sich mit den Bereichen Neubau, Mieten und Wohnungspolitik. 20.000 Wohnungen sollen pro Jahr gebaut werden, in zehn Jahren also 200.000. Dafür müssen Gebiete verdichtet und neue Areale erschlossen werden. Anfang 2022 soll auch ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen mit Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und Privaten geschlossen werden.

Die Koalition hat sich bereits darauf verständigt, eine Expertenkommission zum Enteignungs-Volksentscheid einzusetzen, die innerhalb eines Jahres Ergebnisse vorlegen soll. Details dazu, wer dieser Kommission angehören soll und wer über die Besetzung entscheidet, sind derzeit noch nicht bekannt. Die Mitglieder der Gruppe tagten zuletzt im Zwei-Tages-Modus, auch am Sonnabend wurde verhandelt. Wie über die Gründung der Expertenkommission hinaus mit dem Volksentscheid umgegangen werden soll, müssen die Parteispitzen klären. „Das wird auf der obersten Ebene verhandelt“, hieß es dazu aus der Fachgruppe.


8. Verkehr: Zwangsticket für Touristen rückt näher

Touristen sollen auch den Nahverkehr mitfinanzieren.
Touristen sollen auch den Nahverkehr mitfinanzieren.

© imago/Stefan Zeitz

Die Fachgruppe Verkehr verhandelt noch bis Ende kommender Woche – mindestens. Insgesamt werden die Gespräche als konstruktiv bezeichnet. „Es ist harmonischer als ich das vor der Wahl kannte“, sagt ein Teilnehmer. Doch Diskussionsbedarf gibt es. Allein zum öffentlichen Nahverkehr fand am Freitag bereits die dritte Verhandlungsrunde statt. Offenbar sind noch einige Brocken aus dem Weg zu räumen. Zwar sind viele Themen mittlerweile angesprochen worden, doch eine Einigung soll es dem Vernehmen nach häufig noch nicht geben.

Wahrscheinlicher scheint jedoch zu werden, dass sich die drei Parteien auf ein Pflichtticket für Touristen verständigen könnten. Neben der Linke hatte sich kürzlich auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch dafür ausgesprochen, um zusätzliche Einnahmen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu generieren.

Die SPD hingegen hat Vorbehalte und befürchtet, dass Besucher der Stadt deshalb fernbleiben könnten. Käme die Gebühr, dürfte diese aber nicht sofort, sondern „in ein bis zwei Jahren“ eingeführt werden, hieß es weiter. Dennoch erscheint eine Einigung in diesem Punkt dem Vernehmen nach mittlerweile möglich. Das Thema könnte letztlich aber noch auf dem Verhandlungstisch der Dacharbeitsgruppe landen, ist zu hören. Bei der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung soll grundsätzlich Einigkeit bestehen.

Ein Streitfall bleibt der Ausbau des Schienennetzes. Sollen neue U-Bahnlinien kommen? Und wenn ja, welche? Was wird aus dem Tramnetzbau? Hier besteht Dissens, ob im Koalitionsvertrag festgehalten werden soll, welche einzelnen Linien etwa bei der Tram in den kommenden Jahren angegangen werden sollen, oder ob der Text an dieser Stelle allgemeiner bleibt. Die SPD drängt vor allem beim Thema U-Bahn auf Ersteres und will möglichst drei Linien fest im Koalitionsvertrag verankern. Die Grünen gelten als skeptisch, und die Linke setzt vor allem auf die Tram.


9. Finanzen: Haushalt 2022 über 33,5 Milliarden Euro

Über allem schwebt die Finanzierungsfrage: Mit Kleingeld ist es beim Landeshaushalt nicht getan.
Über allem schwebt die Finanzierungsfrage: Mit Kleingeld ist es beim Landeshaushalt nicht getan.

© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Welche Projekte überhaupt möglich sind, hängt unmittelbar zusammen mit der Finanzlage des Landes. Auf Empfehlung der Haushälter hat sich die Dachgruppe dazu bereits auf einen groben Etatplan für die kommenden Jahre verständigt. Demnach soll der Haushalt für 2022 rund 33,5 Milliarden Euro umfassen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Bis zum Ende der Legislaturperiode wird nun mit einem Aufwuchs auf 36 Milliarden Euro kalkuliert.

Nicht jeder Wunsch wird daher in Erfüllung gehen. Legen Fachgruppen zu kostspielige Projekte vor, müssen sie an anderer Stelle zugleich einen Kürzungsvorschlag einbringen, lautet die Direktive. Geschehen solle dies über eine Prioritätenliste. Und das letzte Wort werden die Finanz- und Haushaltspolitiker haben, die Prioritäten setzen werden.

Der Koalitionsvertrag soll mit 100 bis 120 Seiten nur noch halb so dick werden wie der alte. Entsprechend wenig Platz bleibt für die teils komplexen Themen. Für die Fachpolitiker ist das eine echte Herausforderung, sich kurz zu halten.

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