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Gormannstraße

© Moritz Honert

Berliner Schnapsschüsse: Warum plötzlich überall Flachmänner herumstehen

Pfeffi, Kümmerling, Mariacron: Die Fuselfläschchen erobern Fensterbretter, Parkbänke und Stromkästen.

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Eines muss man ihnen lassen: Die Flachmänner halten sich an die Kontaktbeschränkung. Man sieht sie meist allein oder zu zweit. Ein leerer Jägermeister liegt im Gebüsch, eine ausgetrunkene Berliner Luft steht auf einem Briefkasten, ein Chantré lümmelt auf dem Stromkasten. Gelegentlich findet man Pärchen, wie die zwei Pfeffis auf der Bank vor dem Café in der der Immanuelkirchstraße. Die eine Flasche kuschelt ihren Schraubverschluss an den Hals der anderen. Der Rotkäppchen-Piccolo mit Kurzem daneben und angebissenem Apfel auf dem Fensterbrett scheint gar ein Fall fürs Ordnungsamt. Sieht nach Party aus.

Immanuelkirchstraße
Immanuelkirchstraße

© Moritz Honert

Vielleicht waren sie ja immer schon da. Und jetzt, da die Welt so klein ist, fallen sie erst auf. Oder es bevölkern gerade tatsächlich mehr leere Flachmänner die Berliner Straßen. Die Statistik hilft da nur bedingt weiter. Es wird momentan nicht unbedingt mehr getrunken, sondern vor allem anders: nicht in der Kneipe, sondern daheim – und offensichtlich auf der Straße.

Danziger Straße
Danziger Straße

© Moritz Honert

Wer weiß, vielleicht erlebt der Flachmann ja gerade seine Ankunft im Mainstream. Tatsächlich stammt er ursprünglich aus besseren Kreisen. Der Urahn des Kleinformatfusels, der im Supermarkt vor der Kasse und im Späti neben den Zigaretten steht, kommt aus England, bestand aus Silber und wurde im 18. Jahrhundert treuer Begleiter des Adels auf der Jagd.

Niederbarnimstraße
Niederbarnimstraße

© Moritz Honert

Öffentliches Picheln in Berlin ist natürlich weniger landadelig, dafür stadtbildprägend. Das Wegbier, auch Fußpils genannt, mit schnoddrigem Stolz getrunken, ist ein Klassiker mit mal mehr, mal weniger kokettiertem Asi-Faktor.

Allerdings erzeugt es meist keine Hinterlassenschaft. Auf der Straße sieht man die leeren Bierflaschen selten, denn die holt der Pfandsammler, kaum dass der Mobilzecher sie neben den Mülleimer deponiert hat. Anders bei den Flachmännern. Die bleiben da stehen, wo sie geext wurden.

Auguststraße
Auguststraße

© Moritz Honert

Leergut-archäologisch lädt das zu Mutmaßungen ein, wer da wohl genau zu Gange war. Ein heimatloser Stammkneipenbesucher? Gelangweilte Teenager, die in Ermangelung attraktiverer Orte an zugigen Straßenecken cornern? Eine frierende Hundebesitzerin auf der Suche nach Zerstreuung? Gibt ja sonst nicht viel zu tun gerade.

Wenn man einmal anfängt zu gucken, ist das schnell wie Ostereiersuchen

Wenn man angefangen hat, nach leeren Fläschchen Ausschau zu halten, ist das schnell wie Ostereiersuchen. Bald entwickelt man einen seltsamen Ehrgeiz, Kümmerlinge und Kleine Feiglinge zu spotten. Steht da etwa schon wieder ein Mariacron neben dem Parkscheinautomaten?

Prenzlauer Allee
Prenzlauer Allee

© Moritz Honert

Das Versteckte spielte in der Geschichte des Flachmanns immer eine Rolle. Seine Blütezeit erlebte er vor 100 Jahren während der Prohibition. Alkohol war in den USA verboten, doch der Schnapsdurst sank keinesfalls. Der Verkauf von Flachmännern ging damals sprunghaft nach oben. Angeblich wurden in den ersten sechs Monaten der Prohibition mehr Mobilfläschchen verkauft als in den zehn Jahren davor.

Frankfurter Allee
Frankfurter Allee

© Moritz Honert

Nachdem Flachmänner zuvor hauptsächlich aus Glas waren, mussten sie in der Prohibition stabiler gefertigt sein, aus Metall. In New York klopfte die Polizei, wenn ihnen jemand verdächtig vorkam, mit Stöcken auf die Hüften. Wer weiß, was da im Hosenbund steckte? Auch deshalb transportierten viele ihre Alkoholreserve im Stiefel, weswegen Alkoholschmuggeln auf Englisch bootlegging heißt. Wie gängig das Strumpfband zum Aufbewahren war, wie es Marilyn Monroe in Billy Wilders Film „Manche mögen’s heiß“ praktiziert, ist dagegen nicht gesichert.

Dafür weiß man heute, dass das Wort Hipster auf hip flask zurückgeht, so heißt der Flachmann auf Englisch. Das heimliche Saufen, der kleine Aufstand gegen den Anstand, muss also ungemein identitätsstiftend gewirkt haben. Mal sehen, ob dem Flachmann eine ähnliche Begriffskarriere bevorsteht. Felix Denk

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