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Im Film „Contact“ (1997) nimmt die Wissenschaftlerin Dr. Arrroway (Jodie Foster) als erster Mensch Kontakt zu einer außerirdischen Macht auf.

© Imago/United Archives

Bildungsforscherin über Geschlechterklischees: „Erfolgreiche Vorbilder können abschrecken“

Kluge Wissenschaftlerinnen und Nobelpreisträgerinnen inspirieren nicht alle junge Frauen, sagt Professorin Heidrun Stöger. Sie erklärt, warum Stereotype die Berufswahl beeinflussen, welche Rolle dabei die Medien spielen und wie Gendergerechtigkeit möglich ist.

Heidrun Stöger ist Professorin an der Universität Regensburg und leitet dort den Lehrstuhl für Schulforschung, Schulentwicklung und Evaluation. Sie forscht zu verschiedenen Bildungsthemen, darunter Mädchenförderung in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), Genderdarstellung in den Medien, Mentoring sowie der optimalen Vermittlung von Lernstrategien im regulären Unterricht. Derzeit ist sie Vizepräsidentin der International Research Association for Talent Development and Excellence (IRATDE).

Frau Stöger, wir haben in Deutschland aktuell eine weibliche Familienministerin und einen männlichen Arbeitsminister – das sind Geschlechterklischees par excellence.
Kommt auf den Fokus an. Steht die Zuständigkeit für das Thema Familie im Mittelpunkt, besteht natürlich die Gefahr, das traditionelle Rollenbild zu verstärken. Leider teilen in Deutschland nach wie vor viele Menschen die beiden Stereotype, wonach Männer für die Berufsarbeit und Frauen für die Familie verantwortlich sind. In ihrer Rolle als Bundesministerin kann Frau Giffey jedoch fraglos als positives Vorbild wirken.

Wäre ein männlicher Familienminister aber nicht besser? Der letzte Mann auf diesem Posten war übrigens Heiner Geißler 1982.
Wenn das Ziel ist, möglichst viele Frauen in Führungspositionen zu bringen, könnte man auch darüber nachdenken, beide Ministerämter weiblich zu besetzen.

Familie ist Frauensache: Warum halten sich solche alten Rollenklischees so hartnäckig?
Dafür gibt es viele Gründe. Wir erlernen die Regeln der sozialen Wirklichkeit unbewusst und können uns meist nicht an diese Situationen erinnern. Ein schönes Beispiel ist die Art und Weise, wie sich fremde Personen in Aufzügen positionieren. US-Forscher haben herausgefunden, dass es der Anordnung von Punkten auf einem Würfel entspricht. Während sich eine einzige Person in der Regel in die Mitte des Aufzugs stellt, stehen zwei Personen schräg versetzt. Diese Muster sind einheitlich, als hätten wir einen Würfel internalisiert.

Wie wär’s mit dem Postentausch? Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Wie wär’s mit dem Postentausch? Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

© imago images / Metodi Popow

Mit Geschlechterrollen ist es ähnlich?
Oh ja. Wenn wir die Fülle der Erwerbssituationen nicht kennen, in denen solche Wirklichkeiten entstehen, dann ist es schwierig, unerwünschte Sozialisationen zu verhindern. 

Wir bemerken also nicht, dass wir eingeschliffene Verhaltensweisen ständig wiederholen?
Soziale Muster tendieren dazu, sich zu erhalten. Ohne Disruptionen, ohne Störungen, wird sich wahrscheinlich nichts ändern.

Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel, dass sich einzelne Personen einfach nicht mehr an die impliziten Regeln halten.

Welche Rolle spielen die Medien für den Erwerb von Geschlechterklischees?
Zahlreiche Befunde zeigen, dass sie unser genderbezogenes Wissen, Erleben und Handeln beeinflussen. Dabei gibt es nach wie vor sehr große Unterschiede in der Darstellung von Männern und Frauen. Forscherinnen der Uni Rostock haben vor einigen Jahren 3000 Stunden Fernsehprogramm und mehr als 800 deutschsprachige Kinofilme detailliert analysiert, sowohl fiktionale Produktionen als auch dokumentarische Beiträge. Nur ein Drittel der Hauptakteure waren weiblich und zwar relativ unabhängig vom Format und Genre – mit Ausnahme von Telenovelas und Daily Soaps. Hier wurden Frauen häufiger dargestellt.

Seifenoper spielen meist zu Hause.
Interessant war auch die Art der Darstellung: Frauen kommen oft im Kontext von Beziehungen und Partnerschaft vor, während Männer eher als Experten und Moderatoren gezeigt werden.

Paritätsregelungen allein reichen nicht aus

Heidrun Stöger

Auch Schulbücher prägen unsere Einstellungen. Sie haben mit ihrem Team mehr als 200 Deutschbücher untersucht und geschaut, wie Männer und Frauen dort im beruflichen Bereich abgebildet werden. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Wir haben uns sowohl den MINT-Bereich, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, als auch den „typisch weiblichen“ Care-Bereich sehr umfassend angesehen. Dabei haben wir achtmal so viele Männer wie Frauen in MINT-Berufen gefunden. Auch in Care-Berufen kamen mehr männliche Personen vor.

Heidrun Stöger plädiert für einen sehr viel professionelleren Medienansatz.
Heidrun Stöger plädiert für einen sehr viel professionelleren Medienansatz.

© promo

Reichen Paritätsregelungen aus, um diese Situation zu verändern?
Ich fürchte nicht. Es gibt diverse paradoxe Effekte, die das eher unwahrscheinlich machen. 

Können Sie ein Beispiel nennen?
Angenommen, man möchte mehr Schülerinnen für MINT-Fächer begeistern. Was liegt näher, als Projekttage zu Marie Curie zu veranstalten? Solche Vorbilder sollten das Selbstvertrauen von Mädchen stärken. Stattdessen stellt sich heraus, dass manche Teilnehmerinnen nach den Projekttagen sogar noch mehr an sich zweifeln als zuvor. 

Kein gutes Vorbild? Nobelpreisträgerin Marie Sklodowska Curie in einer Szene aus dem Biopic „Elemente des Lebens“.
Kein gutes Vorbild? Nobelpreisträgerin Marie Sklodowska Curie in einer Szene aus dem Biopic „Elemente des Lebens“.

© imago images/ZUMA Wire

Wieso das denn?
Curie ist den Schülerinnen völlig unähnlich. Sie lebte in einer ganz anderen Zeit und gewann zwei Nobelpreise. Wenn wir zehn Kilometer joggen möchten, orientieren wir uns auch nicht gleich an Olympiasieger:innen, sondern eher an unseren Nachbar:innen, die etwa gleich fit sind, wie wir.

Sind erfolgreiche Frauen keine guten Vorbilder?
Um Stereotype abzubauen, reicht es nicht aus, irgendwelche Vorbilder zu präsentieren. Das heißt aber nicht, dass wir keine Nobelpreisträgerinnen mehr zeigen können. Die Sache ist komplizierter.

Auch im Film wirken starke Frauen nicht immer als positive Rollenmodelle

Heidrun Stöger

Sie und Ihr Fachkollege haben das überprüft und in einer anderen Studie Gymnasiastinnen drei Filme mit weiblichen Hauptfiguren gezeigt.
In der Komödie „Overboard“ wurde eine Hausfrau gewählt. Im zweiten Film „Contact“ spielte Jodie Foster eine starke, äußerst kompetente Wissenschaftlerin. Und „IQ: Liebe ist relativ“ zeigte die kluge Nichte von Albert Einstein, verkörpert von Meg Ryan, die zudem typisch weiblich rüberkam. Jeder Film wurde so lange gezeigt, bis die Protagonistin insgesamt 20 Minuten zu sehen war. 

Welcher Film hatte das Interesse der Schülerinnen in MINT-Fächern am meisten positiv beeinflusst?
Tatsächlich wirkten die Filme nicht bei allen Mädchen gleich. Bei Gymnasiastinnen, die bereits MINT-Leistungskurse gewählt hatten, zeigte der Film „IQ“ mit Meg Ryan günstige Effekte.

Warum?
Sie konnten sich mit der Protagonistin leichter identifizieren, sowohl über das gemeinsame Interesse als auch über ihre – zumeist traditionelle – Weiblichkeit. Bei Mädchen, die mit MINT nichts am Hut hatten, wirkte dieser Film allerdings sogar abschreckend, ähnlich wie „Contact“.

Im Film „IQ: Liebe ist relativ“ verkörpert Meg Ryan die kluge Nichte von Albert Einstein.
Im Film „IQ: Liebe ist relativ“ verkörpert Meg Ryan die kluge Nichte von Albert Einstein.

© imago images/Mary Evans

Was lernen wir denn daraus?
Einerseits genügt es, weibliche Hauptfiguren weniger als eine halbe Stunde medial darzustellen, um das Interesse von Mädchen zu beeinflussen. Andererseits scheint es enorm wichtig, welche Rollenmodelle wir wem zeigen.

Wie kann es da gelingen, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen?
Es ist ernüchternd, aber ausgerechnet in Ländern mit einem hohen Grad an Gleichstellung wählen besonders wenige Frauen einen MINT-Studiengang. Fachleute bezeichnen das als Bildungs- Gleichstellungs-Paradoxon. Das verdeutlicht, dass Veränderungen viel schwieriger sind, als wir uns das vielleicht wünschen würden.

Sollten wir jetzt also Gleichstellungserfolge zurückdrehen?
Nein, keineswegs. Doch wir müssen immer mit paradoxen Effekten rechnen, die je nach Situation und Personengruppe variieren können. Vergleichbar viele Männer und Frauen in bestimmte Berufsgruppen zu bringen oder gleich häufig in den Medien darzustellen, löst nicht alle Probleme.

Wie ist Gendergerechtigkeit also möglich?
Paritätsregelungen sind ein Aspekt. Doch selbst wenn man hierfür Gesetze einführt, reicht dies allein nicht aus. Wir brauchen Gleichstellungsbeauftragte, die sicherstellen, dass diese Regelungen geeignet umgesetzt werden. Hier ist eine Professionalisierung unverzichtbar. Gleichstellungsbeauftrage müssen über einschlägige Kenntnisse verfügen. Schulungen und Weiterbildungen sind dabei essenziell. Ansonsten gelingt es uns nicht, paradoxe Effekte zu vermeiden und wir werden den Weg in eine gendergerechte Gesellschaft nur unnötig hinauszögern.
  

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