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Ulla Weidenfeld

© Foto: Mike Wolff

Schulterschluss der Wirtschaftsschulen: Nie waren die Debatten spannender als heute

Liberale und Keynesianer streiten nicht mehr erbittert - sondern denken gemeinsam über das Design der Sozialen Marktwirtschaft nach

Von Helmut Kohl stammt der Satz, er wolle Wahlen gewinnen und nicht den Ludwig-Erhard-Preis. Damit drückte der frühere Bundeskanzler etwas aus, was zur Zeit wieder viele empfinden: Die Theorien der Wirtschaftswissenschaftler passen nicht zu dem, was politisch nötig ist.

Diese Haltung ist verbreitet und auch nachvollziehbar – aber dennoch verkehrt. Denn die Wirtschaftswissenschaftler liefern gerade jetzt pragmatische Beiträge zu Themen wie der Staatsverschuldung oder zu einem effizienten Kampf gegen den Klimawandel. Wenn es sich jemals gelohnt hat, volkswirtschaftliche Aufsätze zu lesen, dann jetzt.

Jahrzehntelang hatten die Liberalen die Oberhand

Jahrzehntelang war vor allem die deutsche Ökonomenszene von der erbitterten Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Keynesianern geprägt. Die Liberalen hatten jahrzehntelang die Oberhand: Sie sind der Überzeugung, dass der Wettbewerb die effizientesten Lösungen für volkswirtschaftliche Probleme hervorbringt. Der Staat soll die Bedingungen dafür formulieren und sich ansonsten heraushalten.

Ihnen gegenüber stehen Ökonomen, die dem Staat generell einen größeren Einfluss auf die Steuerung der Wirtschaft zubilligen. Im Augenblick haben die zweitgenannten Wirtschaftswissenschaftler Konjunktur.

In der Finanz- und in der Coronakrise sind die Fronten ins Rutschen geraten.

Ursula Weidenfeld

Doch was daherkommt wie ein Grundsatzstreit, ist längst keiner mehr: Denn die Zeit der großen Ideologien scheint vorerst vorbei zu sein. Auch in Deutschland sind die Fronten in der Finanz- und Eurokrise, vor allem aber in der Corona-Pandemie ins Rutschen geraten.

Bei der Finanzierung von Zukunftsaufgaben wie dem Kampf gegen den Klimawandel schreiben der neoliberale ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, und der Chefberater der Sozialdemokraten, Marcel Fratzscher, der auch Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist, sogar gemeinsame Aufsätze und raten zu einem schuldenfinanzierten Investitionsfonds.

Und der Direktor des konservativen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, greift zusammen mit Sebastian Dullien, dem Leiter des gewerkschaftlichen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung zur Feder.

Klar, es gibt noch Nachhut-Scharmützel: Wenn etwa der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz vor einem möglichen künftigen FDP-Finanzminister Christian Lindner warnt, weil der nach wie vor von der gefährlichen altertümlichen Zuneigung zu soliden Staatsfinanzen geprägt sei. Oder wenn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung statt einer zwei Expertisen abliefert, weil sich die Experten nicht über eine vernünftige Haltung zur Staatsverschuldung einigen können.

Gestritten wird nicht über die Ausnahmesituation, in der die Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie und des Umbaus zu einer klimaneutralen Produktion steckt. Gezankt wird über einen Normalfall, der sich so bald nicht wieder einstellen wird.

Wirtschaftswissenschaftler entwickeln nur Werkzeuge für eine vernünftige und nachhaltige Wirtschaftspolitik. Dass dabei manchmal ein ganzer Instrumentenkasten oder unterschiedliche Lösungswege vorgeschlagen werden, ist keine Schwäche, sondern die Stärke eines offenen Diskurses.

Bundeskanzler, Wirtschafts- und Finanzpolitiker sollten sich darüber nicht beschweren. Denn die Verantwortung tragen am Ende nicht die Professoren, sondern die gewählten Volksvertreter. „Die Debatte um die Schuldenbremse ist letztlich nichts anderes als eine Platzhalterdiskussion um das Design der Sozialen Marktwirtschaft“, sagt Lars Feld. Er hat recht.

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