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Eine Impfgegnerin beim Protest von Querdenken.

© Christoph Schmidt/pa/dpa

Anwaltsschreiben, Seminare, Lügen : Wie sich deutsche Impfgegner professionalisieren

Sie geben sich als Experten aus, säen Zweifel, schüchtern ein. Wie gefährlich wird der seriöse Anstrich der Impfgegner? Ein Report.

Wie lebensgefährlich diese Impfung ist, soll ein Video beweisen, das seit Tagen im Internet kursiert. Es wird per E-Mail verschickt, auf Facebook und Telegram geteilt. In dem Mitschnitt ist angeblich ein 33-jähriger Krankenpfleger zu sehen, der soeben gegen Corona geimpft wurde, und nun kauert er auf einer Liege, ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen und zuckt wie wild. Wenn so schon die kurzfristigen Auswirkungen der Corona-Impfung aussähen, müssten die mittelfristigen umso erschreckender sein, heißt es im Begleittext des Videos.

Die Szene ist nicht gestellt, der Mann hat wirklich gezuckt. Nur stammt die Aufnahme aus dem Sommer 2019.

Die Impfgegner sind gut vernetzt

Mit Tricks, Lügen und Halbwahrheiten versuchen Impfgegner in diesen Tagen, Stimmung gegen die Corona-Impfung zu machen und möglichst viele Menschen davon abzuhalten. Die Impfbereitschaft der Deutschen liegt derzeit bei 56 Prozent, für annähernde Herdenimmunität müssten sich nach Einschätzung von Experten mindestens zwei Drittel die Spritze geben lassen. Die Aktivisten, die dies verhindern wollen, sind gut vernetzt und umtriebig. Einige schrecken auch vor Straftaten nicht zurück.

Bei Deutschlands Impfgegnern handelt es sich um eine heterogene, über Jahre gewachsene Bewegung. Ihre Wortführer betreiben Internetforen mit zigtausend Teilnehmern, verdienen Geld mit dem Verkauf von Büchern und Zeitschriften sowie mit Seminaren. Die allermeisten Köpfe dieser Szene sind medizinische Laien, die sich ihr vermeintliches Wissen durch Internetrecherchen angeeignet haben. Einige pflegen Kontakte in rechtsextreme Kreise und zu Reichsbürgern.

Was die Wortführer eint, ist ihr selbstbewusstes Auftreten als Experten – und die Tatsache, dass viele ihnen diese Rolle abnehmen.

Manche geben ihre Broschüren als offizielle Infopost aus

Laut Umfrage fühlen sich derzeit knapp 60 Prozent der Deutschen nicht ausreichend über die Corona-Impfung informiert. Wer im Netz selbst auf die Suche geht, gerät leicht an die selbsternannten Experten und Vereine, die zunächst seriös wirken. Immer öfter findet sich die Desinformation auch direkt im eigenen Briefkasten: Impfgegner verschicken Infoflyer oder werfen sie eigenhändig ein, in München, in Karlsruhe, in Bremerhaven. Manche geben ihre Broschüren als offizielle Infopost eines Ministeriums aus. Inklusive aufgedrucktem Bundesadler.

Besonders aktiv ist der sogenannte „Corona-Ausschuss“, zu dessen Initiatoren die Rechtsanwältin Viviane Fischer zählt. Bei Fischer handelt es sich um die bekannte Berliner Hutmacherin Rike Feurstein, die im Rahmen der „Fashion Week“ Aufmerksamkeit erregte und bis vor Kurzem im Vorstand des „Vereins Berliner Modedesigner“ saß. Rike Feurstein warnt auf Youtube ausdrücklich vorm Impfen gegen Corona: „Die Leute sollten davon Abstand nehmen.“ Sie müssten „aufgeklärt werden, dass sie sich da wahrscheinlich irgendein Teufelszeug spritzen lassen müssen“. In der vorigen Woche trat sie bei einer Versammlung von Corona-Verharmlosern in einer Bar in Prenzlauer Berg als „Coach“ auf. Weil die Teilnehmer auf Masken und Abstandhalten verzichteten, schritt die Polizei ein und beendete das Treffen .

Links die Rechtsanwältin Viviane Fischer, rechts die Hutmacherin Rike Feurstein
Links die Rechtsanwältin Viviane Fischer, rechts die Hutmacherin Rike Feurstein

© Bernd Wüstneck/dpa,Imago/Reiner Zensen

Viviane Fischer alias Rike Feuerstein ist mittlerweile in Pflegeheimen in der ganzen Bundesrepublik bekannt. Sie hat reihenweise E-Mails an Pflegeheime verschickt, voller Falschinformationen und aus dem Zusammenhang gerissener Halbwahrheiten. Vor allem werden die Adressaten darin vor „erheblichen Konsequenzen in haftungs- und strafrechtlicher Hinsicht“ gewarnt, sollten sie die Bewohner nur mit den Informationen vom Robert-Koch-Institut und dem Grünen Kreuz für die Impfaufklärung versorgen – und nicht etwa erwähnen, dass es sich bei der Impfung um eine „genetische Behandlung am Menschen“ handle, dass „Gesichtslähmungen“ sowie „Unfruchtbarkeit“ drohten und dass die „kurzfristige Wirksamkeit des Impfstoffes bei unter 1 Prozent“ liege.

Die Anwältin behauptet, sie arbeite im Auftrag eines Journalisten, der sie „mit der Einleitung von rechtlichen Schritten“ beauftragt habe.

Auch Berliner Pflegeheime bekamen Briefe

Nach Recherchen von MDR Thüringen ging das Schreiben unter anderem an Heime in Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Das Gesundheitsministerium in Erfurt spricht von einem perfiden Versuch, den Kampf gegen das Virus und die Rettung von Menschenleben „bewusst zu sabotieren“. Durch derartige Mails sollten „offensichtlich die Einrichtungen, das dortige Personal und auch die Bewohnenden sowie deren Betreuer verunsichert werden, damit sie sich gegen eine Impfung entscheiden“.

Gegenüber dem Tagesspiegel bestätigen die Betreiber diverser Berliner Pflegeheime, dass auch bei ihnen entsprechende Schreiben Fischers eingegangen sind, unter anderem in Einrichtungen der Caritas, der Diakonie und bei Vivantes. Die Caritas hat ihre Mitarbeiter zudem in einem internen Schreiben über den Vorfall informiert: Fischers E-Mails versuchten, „Ängste und Bedenken im Zusammenhang mit der Impfstrategie der Bundesregierung zu schüren“.

Molkereifachmann und „Impfexperte“

Deutschlands Impfgegner sind schon seit Monaten in der Bewegung der Maßnahmenkritiker aktiv. Sie sind auf Querdenken-Demos und bei anderen Protesten von Corona-Verharmlosern mitmarschiert. In der Öffentlichkeit wurden sie allerdings kaum wahrgenommen, da die Impfungen ohne geeigneten Impfstoff noch fern schienen und ihre Ansichten im Chor der Verschwörungsmärchen nicht weiter auffielen.

Da ist etwa Hans Tolzin. Gelernter Molkereifachmann, der sich im Selbststudium zum Impf-Fachmann gebildet haben will. Inzwischen ist er Deutschlands prominentester Impfgegner, Buchautor und Verleger eines Szenemagazins. Tolzin verkündet, Impfungen hätten in den vergangenen 200 Jahren niemals „irgendetwas Positives gebracht“, so sei es auch bei der aktuellen gegen Corona. Stattdessen empfiehlt er seinen Anhängern gesunde Ernährung mit viel Vitamin C und Vitamin D. Tolzin sagt: „Wenn wir artgerecht leben, dann sind wir gegen alle Arten von Viren geschützt.“ Auf eine Interviewanfrage des Tagesspiegels reagiert er nicht.

Oder der Berliner Frank Reitemeyer, ein Szeneveteran, der unter anderem eine populäre Facebookgruppe und einen Telegramkanal betreibt und dort behauptet, Impfstoffe könnten gar nicht wirken, weil so etwas wie ein Virus überhaupt nicht existiere.

Impfgegner Frank Reitemeyer war früher in der NPD.
Impfgegner Frank Reitemeyer war früher in der NPD.

© Sebastian Leber

Früher arbeitete Reitemeyer in Berliner Behörden, er hat eine Verwaltungsausbildung gemacht, zwischendurch verkaufte er Versicherungen an Haustüren. Nun bietet Reitemeyer nach eigener Aussage „unabhängige Impfaufklärung“ an, und weil überwiegend junge Mütter bei ihm Rat suchten, bezeichnet er seine Arbeit auch als „aktive Mütterhilfe“. Vor zwei Jahren erklärte Reitemeyer gegenüber dem Tagesspiegel, er sei froh, dass er kein Arzt sei: „Die Fachleute haben viel mehr Detailwissen, aber sehen oft den Wald vor lauter Bäumen nicht.“

In Reitemeyers Foren wird auch das Video des zuckenden Mannes gezeigt, der angeblich gegen Corona geimpft wurde – natürlich ohne Hinweis auf den tatsächlichen Ursprung der Aufnahme. Außerdem wird vor einem „globalen Völkermord“ durch die Impfung gewarnt. Reitemeyer behauptet, dass etwa die Polio-Impfung erst die Polio-Krankheit ausgelöst habe.

Der Impfskeptiker war früher im Vorstand der NPD-Steglitz

Wobei er den Begriff Krankheit eigentlich ablehne. Er spreche lieber von „Reinigungsphasen im Körper“. Neben medizinischem Unsinn verbreitet der Aktivist regelmäßig Botschaften von Björn Höcke und anderen Rechtsextremen. Reitemeyer war einmal im Vorstand der NPD Berlin-Steglitz.

Es gibt Aktivisten, die, wie am Sonntag in Kiel, mit Autos durch die Innenstadt fahren und über Lautsprecher ihre Umgebung mit Impfwarnungen beschallen. Es gibt andere, die sich verabreden, durch massenhafte Beschwerden seriöse Aufklärungsvideos auf Youtube sperren zu lassen – mit dem Argument, das seien Fake News. Mehrfach ist ihnen das gelungen. Im Münsterland drohte eine Baufirma ihren Mitarbeitern öffentlich mit fristloser Kündigung, wenn sie es wagen sollten, sich impfen zu lassen – das sei zu riskant und gefährde „die Leistungsfähigkeit unseres Unternehmens“.

Die Szene ist in den vergangenen Monaten radikaler geworden

Holm Hümmler

Einer, der die Szene der Impfgegner und ihre Aktivitäten intensiv beobachtet hat, ist der Sachbuchautor Holm Hümmler. Am Telefon sagt er, ursprünglich kämen viele Impfgegner aus der anthroposophischen Ecke. Durch die Pandemie und die Proteste der Maßnahmenkritiker seien viele allerdings mit Neonazis und entsprechendem Gedankengut in Kontakt gekommen. Eine aktive Abgrenzung habe dabei selten stattgefunden.

„Die Szene ist in den vergangenen Monaten radikaler geworden“, sagt Holm Hümmler. Auch deshalb, weil gemäßigtere Akteure die Bewegung verlassen hätten und nun „niemand mehr da ist, der den Rest vom totalen Abdrehen abhält“. Unter den zahlreichen verbreiteten Falschinformationen sei es vor allem jene über die Wahrscheinlichkeit angeblicher Langzeitschäden, die in der Bevölkerung am meisten verfange. „Die Sorge davor ist natürlich sehr verständlich“, sagt er.

Holm Hümmler, Sachbuchautor und Mitglied in der GWUP.
Holm Hümmler, Sachbuchautor und Mitglied in der GWUP.

© privat

Aber es gebe ein großes Missverständnis, was mit dem Begriff „Langzeitfolgen“ überhaupt gemeint sei. Er klinge, als würden sie erst viele Jahre nach der Impfung auftreten. Tatsächlich handle es sich in der Regel um Symptome, die sich innerhalb der ersten sechs Wochen nach einer Impfung zeigten. „Langzeitfolgen sind nicht deshalb so schwer aufzuspüren, weil sie erst nach langer Zeit eintreten, sondern weil sie extrem selten sind.“

Auch verschwiegen Impfgegner wissentlich, was die vergleichsweise schnelle Erforschung und Zulassung der Impfstoffe ermöglichte: die Ähnlichkeit des Virus zu bekannten und gründlich erforschten Sars-Viren, weniger bürokratische Hürden, die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Testphasen, keine Finanzierungsprobleme.

Doch Hümmler hat Hoffnung: Sobald sich in den kommenden Monaten zeige, dass die Menschen nach der Impfung nicht tot umfallen, werde sich das herumsprechen – „und die Nachricht wird zumindest auch solche Skeptiker erreichen, die ideologisch noch nicht zu weit abgedriftet sind“.

Dass Impfgegner mit ihren Theorien überhaupt so viel Verbreitung fänden, liege auch an einer Eigenart der seriösen Wissenschaftskommunikation, sagt Hümmler. „Namhafte Professoren und Sprecher der Fachgesellschaften sollten öfters mal ganz deutlich sagen, dass Unsinn Unsinn ist.“ Stattdessen würden gern diplomatische Formulierungen gewählt, die unter Forschern zwar eindeutig seien, in der Öffentlichkeit aber zu Missverständnissen führten: „Da heißt es dann leider bloß, eine Theorie sei ,sehr unwahrscheinlich‘, obwohl man sie viel eindeutiger ablehnen sollte und müsste.“

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