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Die Ausstellung läuft noch bis einschließlich Montag.

© Sven Darmer

Ärgernis Bezirksamt Mitte: Ist das nur Desinteresse oder Sabotage?

Unser Autor wollte eine Fotoausstellung in Berlin-Mitte anmelden. Es folgten Monate der leeren Versprechungen, dreisten Ausreden und Behördenwillkür.

Als sich das Straßen- und Grünflächenamt von Berlin-Mitte nach Monaten, kurz vor dem geplanten Beginn der Ausstellung, doch noch meldet, bittet der zuständige Mitarbeiter um Nachsicht. Der Schaden ist zu diesem Zeitpunkt schon angerichtet.

Für einige wichtige Vorbereitungen, etwa das Bewerben in Veranstaltungskalendern, das Drucken von Postkarten, das Abstimmen mit Partnern, ist es längst zu spät. Immerhin nennt der Bezirksamtsmitarbeiter einen Grund für die Verzögerung bei der Bearbeitung des Antrags. Dieser lautet: „Bedingt durch die Wahlen 2021 mussten erst diverse andere Anträge bearbeitet werden.“

Es kann doch nicht so schwer sein, sich eine kleine Fotoausstellung vom Bezirksamt genehmigen zu lassen, hatten wir gedacht. Fängt man nur früh genug an, müsse das doch machbar sein. Wir hatten ja keine Ahnung.

Ein Lehrstück über bürokratische Willkür

„Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors“ heißt die Ausstellung, die der Tagesspiegel zusammen mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum „Correctiv“ Anfang November auf einem öffentlichen Platz präsentieren wollte. Der Versuch geriet zum Lehrstück über Berliner Behördenversagen, bürokratische Willkür und unklare Kompetenzen. Auch über das Ausgeliefertsein von Bürgern.

Es waren Monate der leeren Versprechen und Ausreden, der Falschangaben und unterschlagenen Informationen. Es waren Monate, die zu einer starken Aversion gegen Sätze führten, die Formulierungen wie „Ich bitte um Geduld“ oder „eine erneute Prüfung“ enthielten.

Das Drama beginnt im Dezember 2020, als Correctiv an den Tagesspiegel herantritt. Geplant sei eine Wanderausstellung durch Deutschland mit großformatigen Porträtfotos von Menschen, die von Rechtsextremen bedroht und auf sogenannte „Feindeslisten“ gesetzt würden. Correctiv fragt, ob der Tagesspiegel ins Projekt einsteigen wolle.

Für die Porträtaufnahmen der Betroffenen hat bereits der preisgekrönte Fotograf Ivo Mayr zugesagt. Aufgrund der Pandemie beschließen wir, die Schautafeln auf öffentlichen Plätzen zu zeigen. Berlin soll Schluss- und Höhepunkt der Ausstellung sein. Am liebsten auf dem Mittelstreifen Unter den Linden. Hierfür ist das Bezirksamt Mitte zuständig.

Nach dem Erstkontakt ist klar, dass die Ausstellung zunächst von einer Kommission genehmigt werden muss. Diese trägt den Namen „Fachkommission Kunst im Stadtraum“. Auf der Website des Bezirksamts gibt es ein Foto dieser Kommission. Es zeigt zehn Menschen, die gemeinsam an einem Tisch voller Papierstapel sitzen und sehr konzentriert ihre Unterlagen studieren. Man denkt: Die geben sich richtig Mühe beim Beurteilen. Sie scheinen wirklich engagiert zu sein.

Den Vorsitz der Kommission hat Bezirksstadträtin Sabine Weißler von den Grünen, die für Kultur, aber auch für Straßen und Grünflächen zuständig ist. Als Bewohner dieser Stadt weiß man, dass in Weißlers Zuständigkeitsbereich gelegentlich kuriose Entscheidungen getroffen werden. Etwa die Ansage, Bürger dürften Baumscheiben vor ihrem Haus keinesfalls selbst begrünen, dafür brauche es ein „Bepflanzungskonzept“, die Ausführung müsse vom Amt begleitet werden.

Einige Porträts der Ausstellung.
Einige Porträts der Ausstellung.

© Ivo Mayr

Beim Einreichen des Antrags im März bitten wir darum, frühzeitig Bescheid zu geben, falls es Rückfragen gebe, wir Informationen nachliefern sollten. Sehr gern kämen wir auch persönlich vorbei, um das Konzept vorzustellen.

Nein, nein, das ist überhaupt nicht nötig, sagt eine Mitarbeiterin. Sie hat nur eine kleine Frage wegen des genauen Standorts Unter den Linden. Wir sollen bitte angeben, auf welchem Abschnitt des Mittelstreifens wir ausstellen wollen.

Mehr als zwei Monate nach Einreichen des Antrags meldet sich das Bezirksamt – und teilt mit, die Kunstkommission habe den Antrag abgelehnt. Es gibt auch eine originelle Begründung: Zwar finde die Kommission die „Zielsetzung der geplanten Ausstellung“ durchaus unterstützenswert. Die Beschäftigung mit rechtsextremen Feindeslisten sei jedoch eine „kurzsichtige Eingrenzung“ der Thematik.

Mit „kurzsichtig“ meint die Kommission, die Ausstellung würde „einen wesentlichen und auch schutzloseren Teil von Betroffenen“ ausklammern, da sie ja nur Prominente zeigen wolle.

Das ist Blödsinn. Im Antrag hatten wir extra aufgelistet, wer alles fotografiert wird, nämlich Politiker aller demokratischen Parteien, ehrenamtlich Engagierte, Kulturschaffende, Rechtsanwälte, Journalisten, Polizisten, Vertreter der christlichen, jüdischen und muslimischen Gemeinde.

Nach dem Fehlurteil rudert das Bezirksamt zurück

Als wir nachfragen, wie der Kommission ein solcher Schnitzer unterlaufen konnte und weshalb sie nicht wenigstens nachfragt, bevor sie uns Kurzsichtigkeit attestiert, rudert das Bezirksamt zurück.

Weshalb die Kommission zu ihrem Urteil kam, die Ausstellung wolle nur Prominente zeigen, sei nun leider nicht mehr rekonstruierbar. Eine Mitarbeiterin vermutet: Das wird halt irgendwie untergegangen sein, man habe ja viel zu tun. Aber dies sei auch egal, denn die Kommission werde nun ein weiteres Mal beraten und neu entscheiden.

Weitere Porträts der Ausstellung.
Weitere Porträts der Ausstellung.

© Ivo Mayr

Allerdings sei der gewünschte Standort Unter den Linden ausgeschlossen. Dort dürften nur Veranstaltungen von „besonderer politischer oder kultureller Bedeutung“ stattfinden. Der Bezirk hat für zentrale Orte einen sogenannten Positiv-/Negativkatalog erlassen, der unbedingt beachtet werden müsse.

Auf der Straße des 17. Juni können demnach ausschließlich Veranstaltungen „von herausragender politischer, kultureller oder sportlicher Bedeutung“ genehmigt werden. Kurzer Realitätsabgleich: Dort findet jedes Jahr die Silvesterparty mit DJ Bobo und Konsorten statt.

Auf dem Pariser Platz, für den laut Bezirksamtskatalog ebenfalls eine „herausragende Bedeutung“ vonnöten ist, durfte erst im März eine Installation realisiert werden, die aus 111 mit rot-weißem Flatterband umwickelten Schaufensterpuppen bestand. Auf dem Gendarmenmarkt, wo angeblich nur „Veranstaltungen mit ausgeprägtem Kunst- und Kulturanspruch“ genehmigt werden können, findet jedes Jahr der Weihnachtsmarkt statt. Und so weiter.

Das alles spiele hier keine Rolle, heißt es aus dem Bezirksamt. Im Falle unserer geplanten Ausstellung seien die Kriterien streng anzuwenden. Die Bezirksamtsmitarbeiterin schlägt wiederholt vor, wir sollten doch lieber auf die Rückseite des Hauptbahnhofs ausweichen. Dieser werde ihrer Meinung nach stark unterschätzt und sei im Grunde sehr reizvoll.

Nachdem sie auch den Bebelplatz und den Platz hinter der Neuen Wache ablehnt und uns erneut vergeblich die Rückseite des Hauptbahnhofs anpreist, einigen wir uns schließlich auf den Dorothea-Schlegel-Platz direkt vor dem Bahnhof Friedrichsstraße als denkbaren Standort.

Im Internet findet sich eine Liste mit Anträgen, die von der „Fachkommission Kunst im Stadtraum“ beraten wurden. Die große Mehrheit der Anträge: abgelehnt. Man fragt sich, wie viele Bürger:innen wohl entnervt aufgegeben und ihr Projekt begraben haben, weil sie keine Kraft hatten, sich gegen so viel Ignoranz und Willkür zur Wehr zu setzen.

Im Juni bittet sie „nur noch um etwas Geduld“

Im Juni meldet sich die Programmleiterin für Kunst im Stadtraum des Bezirks mit einer guten Nachricht zurück. Ihr liege nun, zumindest intern, die Zustimmung zum Antrag vor, allerdings: „Ich bitte Sie nur noch um etwas Geduld bis zum Eingang der schriftlichen Bestätigung durch das Straßen- und Grünflächenamt.“

Die Wochen vergehen, die Bestätigung kommt nicht.

Inzwischen ist die Ausstellung im nordrhein-westfälischen Solingen gestartet, der Stadt, in der Rechtsextreme 1993 fünf Menschen bei einem Brandanschlag ermordeten. Anschließend zieht sie weiter nach Dortmund, Köln und Kassel. Sie ist gut besucht, etliche Medien berichten, es gibt viel Unterstützung. Der Weiße Ring ist nun Kooperationspartner. Die Stadt Dortmund bewirbt die Ausstellung im Internet.

Nur das Bezirksamt Mitte schweigt.

Im August steuert die Ausstellung Städte in Baden-Württemberg an, wird anschließend in München und Nürnberg gezeigt. Das Bezirksamt Berlin-Mitte schweigt weiter.

Mitte September ist alle Geduld aufgebraucht. Erneut schreiben wir das Bezirksamt an, schildern, wie sehr uns die ausbleibende Genehmigung die Vorbereitungen erschwert. Dass wir unbedingt endlich Planungssicherheit benötigen.

Als Antwort erhalten wir den Namen des Mitarbeiters vom Straßen- und Grünflächenamt, der zuständig sei: Herr S.

Zwei Tage später schreibt uns Herr S. allerdings, dass nun Herr R. zuständig sei. Der werde sich melden, falls er noch Fragen habe. Herr R. meldet sich nicht.

Klarer Fall: Die Wahlen waren schuld

Anfang Oktober fragen wir wieder nach. Diesmal erklärt uns Herr R., dass die mehrmonatige Verspätung an den Wahlen liege. Außerdem teilt er bei dieser Gelegenheit mit, dass „für Ihr Vorhaben Gebühren gemäß der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) anfallen“ werden. Das überrascht uns, weil das Projekt schließlich von der Fachkommission Kunst im Stadtraum genehmigt und empfohlen wurde. Herr R. schreibt nun allerdings, eine solche Genehmigung liege nicht vor. Was zur Hölle ...?

Ein paar Tage später meldet sich die Programmleiterin für Kunst im Stadtraum des Bezirks und schreibt, dass die „Fachkommission Kunst im Stadtraum“, anders, als uns versichert wurde, doch kein zweites Mal über den Antrag abgestimmt habe. Eine „erneute Prüfung“ habe nämlich „ergeben“, dass es sich bei unserer Ausstellung ja um eine „gesellschaftspolitische Kampagne zum Thema rechter Terror“ handle – in dem Fall sei ein Votum der Kommission gar nicht nötig gewesen und deshalb auch nicht erfolgt. Uns darüber zu informieren, habe sie nicht für nötig gehalten.

Den Paragrafen, der die Genehmigung von „gesellschaftspolitischen Kampagnen zum Thema rechter Terror“ regelt, kann oder will die Programmleiterin nicht nennen. Dies könne uns aber das Grünflächenamt sagen.

Das Grünflächenamt sieht die Sache anders. Die Ausstellung werde keineswegs als „gesellschaftspolitische Kampagne zum Thema rechter Terror“ genehmigt, sondern schlicht als „Aufstellen von Gegenständen“. Wer im Bezirksamt dies beschlossen habe und wann, möchte die Mitarbeiterin am Telefon partout nicht sagen. Stattdessen erzählt sie minutenlang, sie sei bekanntlich nicht die Kunstkommission, verbittet sich dabei, unterbrochen zu werden, und sagt dann, nun sei die Zeit fortgeschritten, sie könne hier keine weiteren Fragen beantworten, sie habe ja noch anderes zu tun und wolle das Gespräch jetzt beenden. Und ja, die Gebühren seien fällig.

Nun ist es nicht so, dass sämtliche anderen Städte auf Gebühren verzichtet hätten. München zum Beispiel verlangte 60 Euro. Das Bezirksamt Mitte will 600 Euro haben.

Herr R. vom Grünflächenamt teilt mit, dass wir die Gebühren vielleicht erlassen bekommen hätten, hätten wir eine Empfehlung der Kunstkommission vorweisen können. Das stimmt nicht, schreibt uns drei Tage später sein Vorgesetzter. Die Gebühren fielen mit oder ohne Votum der Kunstkommission an. Sie könnten jedoch gemindert werden, gelinge es dem Antragsteller, einen „geringeren wirtschaftlichen Nutzen“ der Ausstellung für ihn selbst zu belegen.

Eine Mitarbeiterin sagt: „Wenn Sie so lange hier gearbeitet haben wie ich, wundern Sie sich über gar nichts mehr.“

Fünf Tage vor Beginn wird die Ausstellung per E-Mail genehmigt. Diese Genehmigung dürften wir allerdings nicht ausdrucken und vor Ort vorzeigen, dort dürften wir nur das Originalschreiben verwenden, das bereits auf dem Postweg sei. Bei Zuwiderhandlung drohe eine Strafe von bis zu 10.000 Euro. Das Originalschreiben ist bis heute nicht eingetroffen.

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