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Besorgte Bürger radikalisieren sich.

© Odd ANDERSEN/AFP

„Berlin soll brennen wie ein Scheiterhaufen“: So stark hat sich die Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner radikalisiert

Sie lehnen den Infektionsschutz ab. Manche werfen Steine, andere rufen zu Umsturz und Gewalt auf. Die Szene ist gefährlich geworden und zerstritten.

Am frühen Nachmittag kommen die Wasserwerfer zum Einsatz. Sprühen am Brandenburger Tor in die Menge. Mehrere tausend Menschen haben sich geweigert, das Areal zu verlassen. Sie haben auf Durchsagen der Polizei mit Spott und Wut reagiert.

Nun werden sie nass, es ist ein mildes Nass, nicht wie damals beim G-20-Gipfel in Hamburg oder beim Protest gegen den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof, als der Druckstrahl auf die Körper der Protestierenden eindrosch. Mehr ein Sprühnebel, die Wasserwerfer zielen in die Luft, von dort regnet es auf die Menge herab. Es ist der erneute Versuch, bloß keine Bilder zu liefern, die das Lügennarrativ der Anwesenden füttern würde: dass hier eine Diktatur am Werke sei.

Die Polizei muss Wasserwerfer einsetzen. Allerdings zielt sie nicht auf die Menge, sondern in die Luft.
Die Polizei muss Wasserwerfer einsetzen. Allerdings zielt sie nicht auf die Menge, sondern in die Luft.

© REUTERS

Manche in der Menge werfen Steine auf Polizisten, Flaschen, Böller. Greifen sie mit Pfefferspray an. Andere recken die Arme zum Himmel und beten. Eine junge Frau streckt den Beamten ihr Holzkreuz mit Jesus Christus entgegen, so, als wolle sie einen Vampir vertreiben.

Etwa 5000 Menschen haben sich am Mittwoch im Berliner Regierungsviertel versammelt. Ihr offizielles Ziel, die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag zu verhindern, ist unerreichbar, dafür ist die Polizei zu gut vorbereitet. Ihr eigentliches Ziel, die Bewegung der Corona-Skeptiker und -Leugner am Leben zu halten, scheint machbar. Gekommen ist erneut eine Mischung aus Querdenkern und anderen Verschwörungsideologen, aus Esoterikern, Rechtsextremen, Reichsbürgern und all denen, die kein Problem damit haben, in solcher Gesellschaft mitzuprotestieren. Weil sich viele weigern, Mund-Nase-Schutz zu tragen oder Abstand zu halten, löst die Polizei die Versammlung nach drei Stunden und zig Ermahnungen auf.

Dabei hat der Morgen mit einer Genugtuung, dem Gefühl eines durchschlagenden Sieges, für die Demonstranten begonnen. Um neun Uhr haben sich mehrere hundert Demonstranten auf der Westseite des Brandenburger Tors versammelt, unter ihnen der rechtsextreme „Volkslehrer“ und die „Corona-Rebellen Düsseldorf“, die Ende August beim Sturmversuch auf den Reichstag dabei waren.

Was die extrem gespaltene Szene eint, ist ihr Hass auf die Regierung.
Was die extrem gespaltene Szene eint, ist ihr Hass auf die Regierung.

© Christian Mang/REUTERS

Die Polizei informiert über Lautsprecher, hier sei keine Versammlung erlaubt, und fordert die Menge auf, sich Richtung Siegessäule zu bewegen. Stattdessen passiert das Gegenteil.

Die Demonstranten verhöhnen die Polizei, stimmen einen Sprechchor an: „Wir sind das Volk“. Aus dem Tiergarten gibt es einen stetigen Zustrom zum Brandenburger Tor. Der Platz füllt sich weiter. Als die Ebertstraße mit Flatterband abgesperrt wird, um den Zustrom zum Brandenburger Tor von Süden zu stoppen, ist es den Demonstranten egal: Sie gehen 50 Meter weiter, von dort haben sie ungehindert Zugang zum Brandenburger Tor. Bald haben sich die Coronaskeptiker durchgesetzt. Die Polizei verkündet über Lautsprecher, dass die Demonstranten jetzt doch vor dem Brandenburger Tor bleiben dürfen: „Einer Versammlung wurde stattgegeben.“ Jubel.

Das ist heute eine ganz andere Generation von Nazis

Demonstrant

Was auffällt, ist die nichtvorhandene Abgrenzung zu rechtsextremen Teilnehmern und Reichsbürgern. Prominente Rechte wie Jürgen Elsässer, der Chefredakteur des vom Verfassungsschutz beobachteten „Compact“-Magazin, sind auf der Demo willkommen. Es werden vereinzelt Hitlergrüße gezeigt. Demonstranten sagen, man werde Jens Spahn abholen und nach Auschwitz bringen. Niemand distanziert sich.

Da ist aber auch der Redner vorm Brandenburger Tor, der sich Tampons vor den Mund geschnürt hat und der Menge predigt, sie dürften sich auf keinen Fall mit den Satanisten einlassen, die Deutschland und die ganze Welt regierten. „Sonst landet ihr im Pfuhl der ewigen Verdammnis, das ist ganz sicher.“ Die anderen hören ihm gebannt zu, keiner widerspricht, es wird nicht einmal gegrinst.

Mit Rechtsradikalen auf der Decke meditiert

Da ist auch der Trommler, der einen Polizisten überreden will, sich den Protesten anzuschließen. Er selbst habe Nazis früher auch als seine Feinde betrachtet, sich vor ihnen gefürchtet, sagt der Trommler. Aber diesen Sommer habe er gemeinsam mit Nazis auf einer Stoffdecke zusammen meditiert, seitdem fürchte er sie nicht mehr. „Das ist heute eine ganz andere Generation von Nazis.“

Das sieht man häufiger: Polizeibeamte, die mit stoischer Ruhe auf ihren Posten bleiben, während sie von mitteilungswilligen, diskussionsfreudigen Demonstranten bedrängt werden. Zwei Jahreszahlenvergleiche fallen besonders häufig: Es sei genau wie 1989. Das System sei am Ende, jetzt komme die Revolution. Und es sei genau wie 1933. Die Regierung installiere gerade eine Diktatur, Faschismus pur. Viele Teilnehmer der Proteste vergleichen sich mit Verfolgten des Naziregimes. Eine Frau trägt das Konterfei von Sophie Scholl auf ihrer Jacke, gleichzeitig eine Mütze in Schwarz-Weiß-Rot.

Es gibt einige Festnahmen. Die meisten Polizisten ertragen die Provokationen der Protestler aber mit stoischer Ruhe.
Es gibt einige Festnahmen. Die meisten Polizisten ertragen die Provokationen der Protestler aber mit stoischer Ruhe.

© REUTERS

An der Yitzhak-Rabin-Straße werden Personen abgeführt, die zuvor eine Polizeikette durchbrachen.

Dann kommt die Meldung, dass es einige Aktivisten in den Bundestag geschafft haben. Angeblich haben Abgeordnete der AfD sie eingeschleust – obwohl der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schärfere Sicherheitsvorkehrungen angeordnet hatte. Mehrere Personen haben nach übereinstimmenden Berichten Abgeordnete der anderen Fraktionen vor dem Plenarsaal bedrängt, ihnen eine Handykamera vor das Gesicht gehalten und sie beschimpft. Auch der CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wird von mindestens zwei Personen bedrängt.

Ohne Eindruck, jedenfalls indirekt, bleiben die Aufmärsche draußen im Reichstag sowieso nicht. In den letzten Tagen sind teilweise Zehntausende E-Mails in Abgeordnetenbüros eingegangen. Die meisten waren wortgleicher Standard-Spam aus der Verschwörer-Industrie. Aber bei vielen Zuschriften, sagt die CDU-Gesundheitsfachfrau Karin Maag gleich als erste Rednerin, habe sie „echte Sorge“ gespürt. „Sie alle bitte ich: Bleiben Sie bei uns!“, ruft Maag in Richtung der Saalkameras, die die Bundestagsdebatte übertragen. „Trauen Sie nicht den Wenigen!“

Wenn die Demonstration erneut zur Loveparade mutiert, könnt ihr eure Freiheit vergessen

Aufruf auf Telegram

In den Tagen vor der Demo hatte es in Telegram-Gruppen Diskussionen über die richtige Aktionsform gegeben. Über die beste Strategie, um das Gesetz zu verhindern und die Bundesregierung zu stürzen. Aktivisten argumentierten, man müsse unbedingt friedlich bleiben. Andere riefen zum Widerstand gegen die Polizei und zum Sturm des Parlaments auf, einer schrieb: „Berlin muss brennen wie ein Scheiterhaufen“.

Im Kanal „Vereinigte Scharfschützen Bewegung“ wurde geraten, in „Vollpanzerung“ und mit „Kevlarmantel“ zu den Protesten zu erscheinen. Gewarnt wurde ausdrücklich vor Friedfertigkeit: „Wenn die Demonstration erneut zur Loveparade mutiert, dann könnt Ihr Eure Freiheit vergessen.“ Andere zogen eine „Totalblockade mit Fahrzeugen“ vor: Das „komplette Regierungsviertel, sämtliche Ministerien“, das Schloss Bellevue und auch alle Botschaften sollten über mehrere Tage hinweg mit Autos zugeparkt werden.

Diesmal kein Erstürmungsversuch

Zugeparkt wird am Mittwoch tatsächlich, aber von Einsatzwagen der Polizei. Zu dutzenden reihen sie sich entlang der Reichstagswiese aneinander, dazu gibt es Reihen von Absperrgittern und viele Beamte. Kein einziger Demonstrant schafft es auf die Wiese. Früh ist klar, dass es einen Erstürmungsversuch wie Ende August nicht geben wird.

Unter die Demonstranten vorm Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni mischen sich Ordner mit gelben Westen, die nur eine einzige Aufgabe haben: Sie sprechen gezielt Menschen an, die Reichsflaggen und Reichskriegsflaggen mitgebracht haben – und bitten sie, die wieder einzurollen.

Ein Teil der Coronaskeptiker ist inzwischen der Ansicht, dass die vielen geschwenkten Reichsflaggen vergangener Aufmärsche den Ruf der Bewegung geschädigt hätten. Im Aufruf, den die Ordnergruppe vorab über Telegram verbreitet, heißt es: „Anhänger des Hauses Hohenzollern zu sein, ist nicht automatisch auch undemokratisch.“ Ob das Staatsoberhaupt Präsident oder Kaiser heiße, spiele keine Rolle. Allerdings sei diese Frage an diesem Tag in Berlin nicht das vorrangige Thema. Aus Imagegründen solle bitte zumindest für einen Tag auf die Fahnen verzichtet werden. Die Überzeugungsarbeit der Ordner ist mäßig erfolgreich. Immer wieder sieht man Flaggen, Banner und Plakate zwischen den Luftballons, auf denen die Rückkehr des Deutschen Reichs gefordert wird. Oder behauptet wird, das Deutsche Reich habe nie aufgehört zu existieren.

Das Stichwort „Ermächtigungsgesetz“ knüpft an die Machtübernahme der Nazis an. Die AfD nimmt es gerne auf.
Das Stichwort „Ermächtigungsgesetz“ knüpft an die Machtübernahme der Nazis an. Die AfD nimmt es gerne auf.

© Christoph Soeder/dpa

Die Demonstranten schmähen das neue Gesetz als „Ermächtigungsgesetz“, welches an die Machtübernahme der NSDAP anknüpfte. Das Gegenteil sei der Fall, sagt der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner drinnen im Bundestag: Man debattiere hier ein „Regierungsbegrenzungsgesetz“. Statt einer Generalklausel wie bisher, ergänzt seine Kollegin Bärbel Bas, gebe es künftig eingeschränkte, befristete und begründungspflichtige Maßnahmen. „Das Gesetz, das die große Koalition vorlegt, ist schlecht“, sagt FDP-Geschäftsführer Marco Buschmann Richtung AfD. „Aber es errichtet keine Diktatur.“

Die Grünen stimmen der Vorlage als einzige Oppositionsfraktion zu. Das Werk gewinne „keinen Schönheitspreis“, sagt deren Abgeordnete Manuela Rottmann; aber es sei im Lauf der Beratungen deutlich besser geworden. FDP und Linke lehnen ab. FDP-Fraktions- und Parteichef Christian Lindner nennt es einen „Freifahrschein“ für „weitere Freiheitseinschränkungen“. Der Linke Jan Korte merkt an: „Das Verfahren ist zulässig – politisch klug ist es in diesen Zeiten nicht.“

Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben

Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

Indirekt geben auch die Befürworter zu, dass das Gesetz aus der Not geboren ist, weil Gerichte immer wieder Corona-Maßnahmen kassiert haben. Die Ermächtigung zur Willkür ist es nicht. Aber das schleichende Gift der Desinformation verbreitet sich, die Mails und Anrufe ehrlich besorgter Bürger zeigen die Gefahr. Jens Spahn sieht sich genötigt, dem giftigsten der Gifte entgegenzutreten: „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf“, sagt der Gesundheitsminister, „es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben!“

Vor dem Brandenburger Tor ordert die Einsatzleitung am Nachmittag Wasserwerfer-Nachschub an. Man hatte gehofft, das sanfte Bewässern der Demonstranten würde die Situation zügig entspannen. Aber um 15 Uhr stehen und skandieren und trillern sie immer noch. Ein direkter Strahl des Wasserwerfers ist weiterhin nicht möglich, sagt der Polizeisprecher, weil sich auch Kinder in der Menge befinden. Dafür gibt es schon mehr als 100 Festnahmen.

Die Berliner Querdenker spalten sich ab

Was sich an diesem Mittwoch auch fortsetzt, ist die seit Wochen zu beobachtende Zersplitterung der Szene. Die Berliner Sektion von Querdenken hat sich vom Rest abgespalten und eine neue Gruppierung namens „Menschen stehen auf“ gegründet. Grund sind interne Konflikte und ein eigenes Erschrecken über die weitere Radikalisierung.

Michael Ballweg, der Stuttgarter Gründer und Frontmann der Bewegung, hat sich am Wochenende in Thüringen mit Reichsbürgern getroffen. Mit dabei war der selbsternannte „König von Deutschland“ Peter Fitzek. Es war ein Arbeitstreffen, heißt es. Vor Wochen war Ballweg beim Lügen erwischt worden: Er hatte zunächst behauptet, sich nie mit dem rechtsextremen „Volkslehrer“ getroffen zu haben, musste dann aber zugeben, dass er dies sehr wohl getan hatte. Und Ballwegs Sprecher Stephan Bergmann wollte nicht nur das Grundgesetz abschaffen, weil er es für „Besatzungsrecht“ hält, sondern hat auf Facebook auch rassistische Inhalte verbreitet. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Heilbronn jetzt wegen Volksverhetzung gegen ihn.

Ballweg will Bergmann trotzdem im Team halten. Neben der Berliner Gruppe spalten sich noch drei weitere Sektionen von Querdenken ab.

Nicht in Berlin gesehen wird am Mittwoch die entscheidende Figur der Proteste von Ende August: Tamara K., die Heiltherapeutin aus der Eifel, die auf der Reichstagswiese zum Sturm auf das Parlament aufgerufen hatte. Weil dies scheiterte, ist K. zum Hassobjekt vieler Aktivisten geworden. Sie werfen ihr vor, eine Agentin der Regierenden zu sein. Mit ihrer Aktion habe sie die Bewegung lächerlich machen wollen.

Auch Rechtsextremist Attila Hildmann fehlt zunächst. Am Vortag hatte er Besuch von Ermittlern, sie nahmen zur Beweissicherung Laptops, Handys, Sim-Karten und USB-Sticks mit. Zur Gefahrenabwehr, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Potsdam sagte – also um sicherzustellen, dass der Brandenburger keine weiteren Straftaten begeht. Gegen ihn läuft eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung und Bedrohung.

Auf Telegram geht das Gerücht um, Hildmann sei am Tag zuvor zum Berliner Flughafen Tegel gebracht worden, dort gebe es im Keller eine unterirdische Impfstation. Womöglich sei der Staat gerade dabei, Attila Hildmann zwangszuimpfen. Der Freund eines Aktivisten kenne einen Anwalt, und der könne die Existenz dieser Impfstation bestätigen, hieß es. Das Gerücht sei also ganz sicher korrekt.

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