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Long Covid und das Ende der Maßnahmen: Lasst die Masken auf!

Unsere Autorin war im vergangenen Winter an Covid-19 erkrankt, jetzt leidet sie unter den Langzeitfolgen – und hat einen dringenden Appell.

Von Heike Behnke

Als ich Anfang Dezember meinen Impfdurchbruch hatte, ging es mir grauenhaft. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, anderthalb Wochen in totaler Isolation das Bett zu hüten, weil Müdigkeit, Schwindel und Atembeschwerden es mir unmöglich machten, aufzustehen.

Dennoch zählte der Verlauf als mild und zumindest mein Geschmacks- und Geruchssinn kehrten schnell zurück, sodass ich annahm, dass auch die anderen Symptome rasch verschwinden würden.

Heike Behnke.
Heike Behnke.

© privat

Als ich nicht mehr ansteckend war und endlich Besuch – und damit Hilfe im Alltag – empfangen konnte, hieß es, ich solle mich noch zwei Wochen ausruhen, und danach sei ich wieder die alte. Anfang 30, fit und ohne Vorerkrankungen hatte ich mir um langfristige Folgen keine Gedanken gemacht. Aber auch als mein Husten langsam zurückging und die Schmerzen in der Lunge nachließen blieben Müdigkeit und Erschöpfungszustände bestehen. Die neue Prognose für die Genesung lautete Anfang März.

Viele Menschen machen sich keine Vorstellung davon, was es bedeutet, mal eben drei Monate seines Lebens im Kalender zu streichen.

Heike Behnke

Meine Form von Long Covid ist nicht schwer. Kein Vergleich zu den schrecklichen Berichten, die ich im vergangenen Jahr in der Zeitung gelesen habe. Dennoch habe ich den Eindruck, viele Menschen machen sich keine Vorstellung davon, was es bedeutet, mal eben drei Monate seines Lebens im Kalender zu streichen oder aber mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

Nach vier Wochen Krankheit und völliger Arbeitsunfähigkeit sah ich mich mit zwei weiteren Monaten konfrontiert, in denen mein Gesundheitsstatus ungewiss bleiben würde.

Im Januar war die Ungewissheit besonders groß, denn ich hatte mit kognitiven Folgen zu kämpfen. Mein Ultrakurzzeitgedächtnis war betroffen und ich konnte die einfachsten Verwaltungsaufgaben nicht mehr erfüllen, weil ich nur unter höchstem Konzentrationsaufwand ein Wort von einer Datei in eine andere übertragen konnte, ohne es zu vergessen.

Das Gefühl, mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Wand zu prallen

Manchmal hatte ich auch totale Aussetzer, bei denen in meinem Kopf von einem Moment auf den anderen völlige Leere herrschte. Da das besonders erschreckend war, wenn es mitten im Satz passierte, gewöhnte ich mir an, langsam und etwas schleppend zu sprechen, um nicht mehr das Gefühl haben zu müssen, mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Wand zu prallen.

Am 20. März werden die meisten Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen. Die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln soll aber bis auf Weiteres fortbestehen.
Am 20. März werden die meisten Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen. Die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln soll aber bis auf Weiteres fortbestehen.

© Boris Roessler / dpa

Als Person, für die nachdenken und sprachlicher Ausdruck beruflich wie privat im Mittelpunkt steht, begleiteten mich die Ängste, mit denen diese Zeit verbunden war, noch lange, obgleich das Symptom ab Februar nicht mehr auftrat.

Schon eine leichte Form von Long Covid sorgt dafür, dass man einerseits nicht mehr planen kann und andererseits ständig planen muss. Mein Alltag wird gerade von Dingen bestimmt, über die ich mir vorher nie Gedanken machen musste.

Meist kann ich nicht sagen, ob ich morgen arbeiten kann oder den Tag über liegenbleiben muss.

Heike Behnke

Die Müdigkeit nimmt zwar langsam ab, ist aber unberechenbar. Meist kann ich nicht sagen, ob morgen ein guter oder ein schlechter Tag ist, ob ich normal im Homeoffice werde arbeiten können oder den Tag über liegenbleiben muss.

Zum Glück kann ich meine Arbeitszeiten relativ flexibel legen. Vor festen Terminen lege ich gezielt einen Ruhetag ein. Überstunden machen, spontan flexibel reagieren oder „einfach mal durchpowern“ fühlt sich an wie eine ferne Erinnerung an einen Arbeitsalltag, der für mich vorerst nicht mehr in Frage kommt. Ruhe, ein geregelter Tagesablauf und wenig Aufregung sind der einzige Modus, in dem ich momentan funktioniere.

Ein weiterer Grund, aus dem ich das Homeoffice so schnell nicht wieder verlassen werde, ist das Infektionsrisiko. Mein Immunsystem war nach der Erkrankung so überlastet, dass ich zunächst jede Erkältung mitgenommen habe, die bei anderen gar nicht erst ausgebrochen wäre. Auf den Booster musste ich lange warten, sodass auch eine Neuinfektion mit Omikron nicht ausgeschlossen war.

Das Fahrrad steht unbenutzt im Keller

Ich meide also Menschenmengen, Supermärkte zu Stoßzeiten und vor allem öffentliche Verkehrsmittel. Das bedeutet, dass ich überall zu Fuß hingehe. An guten Tagen kann ich zwei bis drei Kilometer zurücklegen, bevor ich müde werde und die Schmerzen in der Lunge zurückkehren. Das bedeutet, dass ich für längere Strecken Zwischenstopps einplanen muss.

Meine ganze Wahrnehmung der Stadt hat sich verändert: sie besteht nun aus einer begrenzten Menge möglicher Strecken, die von Pausenort zu Pausenort führen. Bevor ich das Haus verlasse, muss ich sicherstellen, dass die Freunde, in deren Wohnung ich mich auf halbem Wege zum eigentlichen Ziel ausruhen möchte, zu Hause sind. Das Fahrrad, zuvor mein liebstes Fortbewegungsmittel, bleibt bis auf weiteres unbenutzt im Keller.

Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel und Depressionen gehören zu den Long-Covid-Symptomen.
Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel und Depressionen gehören zu den Long-Covid-Symptomen.

© mauritius images / Maskot

Natürlich leidet auch das Privatleben darunter, wenn man ständig erschöpft ist. Die Treffen mit Freunden sind selten unbeschwert. Anfangs konnte ich nicht folgen, wenn Menschen durcheinandergeredet haben, und auch, wenn sich das inzwischen gegeben hat, bleibt das Gefühl, irgendwie außen vor zu sein.

Jede zugesagte Einladung fühlt sich an wie ein Risiko. Wenn ich lange aufbleibe, zahle ich mehrere Tage lang die Rechnung in Form von Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Alkohol ist überhaupt keine Option mehr. Bereits nach einem winzigen Glas Sekt zum Anstoßen geht es mir schlecht und mein Herz pumpt wie nach einem Dauerlauf.

Die Unsicherheit, ob ich je wieder so leben werde, wie vor der Erkrankung, bleibt.

Heike Behnke

Inzwischen ist es März und während die Symptome noch immer nicht weg sind, habe ich mich mit meinem neuen Leben mehr schlecht als recht arrangiert. Der Genesungsprozess dauert an und es ist davon auszugehen, dass ich irgendwann im Sommer wieder ganz gesund sein werde. Die Unsicherheit, ob ich je wieder so leben werde, wie vor der Erkrankung, bleibt. Was, wenn die Müdigkeit auch dann nicht weggeht? Was, wenn ich mein Leben ab jetzt auf Sparflamme leben muss?

Bei all den Sorgen ist mir doch bewusst, dass ich in einer äußerst privilegierten Position bin, was den Umgang mit meinen Symptomen angeht. Meine Arbeitsstelle ermöglicht mir ein hohes Maß an Flexibilität. Ich habe keine Kinder oder Haustiere, sodass ich an einem schlechten Tag einfach liegenbleiben kann. Aus meinem Umfeld kommt wertvolle Unterstützung.

Ich werde, wie alle Vorerkrankten, darauf angewiesen sein, dass meine Mitmenschen die Masken trotzdem tragen.

Heike Behnke

Ich frage mich, wie andere Menschen, bei denen diese Faktoren nicht gegeben sind, durch ihre Long-Covid-Monate kommen sollen. Zugleich ist mein neuer Alltag von Vorsichtsmaßnahmen geprägt, die Menschen mit Behinderung ihr Leben lang treffen müssen. Was für mich eine radikale Einschränkung ist, ist für sie Alltag.

Bei der Vorstellung, dass in wenigen Tagen die Maskenpflicht fällt und wir wieder so leben, als sei das alles nicht passiert, schnürt sich mir die Kehle zu.

Ich bin noch immer nicht gesund und wenn mir Supermärkte und Busse vorher schon nicht sicher erschienen, so werden sie nun gänzlich unbetretbar, bis sich mein Immunsystem erholt hat. Die Vorstellung, jetzt noch einmal krank zu werden, wieder drei Monate zu verlieren, nach denen ich vielleicht gar nicht mehr zu meinem alten Selbst zurückfinde, ist mir unerträglich.

In den nächsten Monaten werde ich, genau wie alle Vorerkrankten, darauf angewiesen sein, dass meine Mitmenschen die Masken trotzdem tragen. Tun sie das nicht, verlieren wir den Zugang zum öffentlichen Leben und sie gehen das Risiko ein, in ein paar Wochen genauso auf Sparflamme zu leben wie ich.

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