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Wladimir Putin ist beliebt bei Querdenkern.

© Imago Images (2), Montage: Tsp

Die verschworene Gemeinschaft: Deutschlands Querdenker und ihre Liebe zu Wladimir Putin

„Die Brutalität der Ukraine, das ist der Grund für die russische Intervention“ – so wird es von bekannten Köpfen der Impfgegner-Szene verbreitet. Unterstützung kommt von rechts wie links.

Man könnte denken, es handle sich um Pressemitteilungen direkt aus dem Kreml. Auf Telegram verkünden Querdenker, Russland habe diesen Krieg nicht begonnen, sondern verteidige sich nur. Demonstranten skandieren „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“, protestieren damit aber nicht etwa gegen Wladimir Putins Angriffskrieg, sondern gegen die Maskenpflicht in Deutschland. Und der Arzt Bodo Schiffmann verbreitet die Botschaft: „Die Brutalität der Ukraine, das ist der Grund für die russische Intervention.“

In der Szene der Querdenker, Coronaleugner und Impfgegner wird der russische Präsident Wladimir Putin für seine Invasion massiv in Schutz genommen. Teilweise als Held bejubelt.

Der wahre Aggressor, so wird seit Tagen in Livestreams und Internetforen verbreitet, sei die Ukraine. Oder die Nato. Oder eine Gruppe geheimer Eliten. Ganz sicher jedenfalls nicht Putin.

Warum verteidigen Aktivisten, die seit bald zwei Jahren vor einer angeblich dikatorischen Bundesregierung warnen, nun ausgerechnet das Vorgehen des russischen Regimes?

Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Dresden.
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Dresden.

© dpa/Sebastian Kahnert

Die Vermutung liegt nah, dass die „Querdenker“ grundsätzlich allem misstrauen, was seriöse Medien, anerkannte Experten, die Bundesregierung oder sonstige Vertreter der Bevölkerungsmehrheit von sich geben. Dass die Einschätzung des „Mainstreams“ ohnehin verdächtig und abzulehnen ist. Wenn die „Tagesthemen“ also behaupten, Putin breche das Völkerrecht, dann muss das Gegenteil wahr sein.

Die Putin-Verehrung gehört zur DNA der Bewegung

Aber die Parteinahme für Wladimir Putin und die Bereitschaft, in diesen Tagen über Kriegsverbrechen hinwegzusehen, hat noch einen anderen, wahrscheinlich entscheidenderen Grund: Es liegt in der DNA dieser Bewegung.

Als sich im Frühjahr 2020 die ersten Proteste gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung formierten, waren von Beginn an maßgeblich Akteure beteiligt, die seit Jahren im Netz wie auch im analogen Leben Verschwörungsmythen verbreiteten.

Viele von ihnen kannten sich zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens sechs Jahre lang, denn sie hatten ab dem Frühjahr 2014 unter dem Etikett der sogenannten „Neuen Friedensbewegung“ in etlichen deutschen Städten Demonstrationen organisiert. Auch damals wurde lautstark ein „Systemsturz“ in der Bundesrepublik gefordert – und Verständnis für Wladimir Putin geäußert, der soeben die Krim überfallen hatte.

Immer montags fanden sich damals Verschwörungsgläubige, Reichsbürger, Israelhasser und Esoteriker zu sogenannten Mahnwachen zusammen. Als Feinde dieser „Friedensbewegten“ wurden meist die USA und der liberale Westen ausgemacht, aber auch jüdische Bankiersfamilien.

Einer der Wortführer dieser Bewegung war Ken Jebsen, der vom Rundfunksender Berlin-Brandenburg (RBB) entlassene Moderator mit Hang zu Verschwörungstheorien. Als Chef des Internetorgans „KenFM“ sollte er 2020 zu einem Star der Coronaleugner avancieren und sich zusammen mit Querdenken-Gründer Michael Ballweg auf einer Bühne bejubeln lassen.

Ken Jebsen bei einer Rede in Berlin.
Ken Jebsen bei einer Rede in Berlin.

© Florian Schuh/imago stock&people

Damals, im Juli 2014, sprach Jebsen am Brandenburger Tor vor hunderten Demonstranten und behauptete, Europa solle in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland getrieben werden: „Wir bewegen uns mit Riesenschritten auf die Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs zu!“ Jebsen erklärte, die derzeitige Staatsform in Deutschland werde hoffentlich bald verschwinden, die Regierung sowieso.

Eine der „wenigen Aufrechten“

Zu den Akteuren dieser „Neuen Friedensbewegung“ gehörte damals auch Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtsextremen, inzwischen vom Verfassungsschutz beobachteten Magazins „Compact“. Das Heft nimmt seit Jahren Putin in Schutz, seit 2020 hofiert es massiv die Querdenker-Bewegung und ihre Wortführer.

Besonders lobenswert fand Elsässer, dass es bei den „Querdenkern“ keinerlei „Abgrenzung nach rechts“ gebe. Seit Beginn der russischen Invasion ergreift „Compact“ nun wieder verstärkt Partei für Putin – und unterstellt Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Ministern, sie wollten einen Krieg provozieren.

Zu den Akteuren der „Neuen Friedensbewegung“ 2014 zählte auch der umstrittene Linken-Politiker Diether Dehm. Er trat bei der Berliner „Mahnwache“ auf und verbreitete eine Stellungnahme mit dem Titel „Gegen die Dämonisierung der Montagsmahnwachen“. Sechs Jahre später veröffentlichte er einen Coronasong, in dem er sang: „Ein junger Virus plus uralte Mächte, ja, dieser Mix macht geil auf unsre Rechte“.

Die Aggressivität mit der ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, also die ist ja schon bemerkenswert.

Sahra Wagenknecht

Im vergangenen Jahr ist Diether Dehm nicht wieder in den Bundestag gewählt worden, auf Facebook prangert er aktuell die „völkerrechtswidrigen Bestialitäten der Nato“ an, beschimpft die Nato, die CIA und das Pentagon als Teile einer „der größten Verbrecher-Organisationen der gesamten Weltgeschichte“.

Innerhalb der Partei „Die Linke“ sind Akteure wie Diether Dehm zunehmend isoliert - und ernten offenen Widerspruch. Als eine der „wenigen Aufrechten“ in seiner ehemaligen Fraktion rühmt Dehm nun Sahra Wagenknecht, die noch kurz vor Beginn der Invasion erklärt hatte, Russland habe kein Interesse an einem Einmarsch in der Ukraine: „Die Aggressivität mit der – vor allem von amerikanischer Seite – ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, also die ist ja schon bemerkenswert“, sagte sie bei „Anne Will“.

Sahra Wagenknecht in der Talkshow „Anne Will“ vom 20. Februar. Vier Tage später überfiel Russland die Ukraine.
Sahra Wagenknecht in der Talkshow „Anne Will“ vom 20. Februar. Vier Tage später überfiel Russland die Ukraine.

© Jürgen Heinrich/imago images

Die Liste derer, die bereits 2014 Putin nach dessen Einmarsch auf die Krim in Schutz nahmen und ab 2020 dann die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung anheizten, zum Teil an zentraler Stelle mitorganisierten, ist lang. Einige von ihnen haben zwischendurch noch ganz andere Angstszenarien beschworen.

Jürgen Elsässers Magazin „Compact“ etwa hetzte ab 2015 gegen „Merkels Invasoren“, „orientalische Gangbang-Rudel“, die „Landnahme ausländischer Mächte“ und ein „Umvolkungsprogramm“. 

Die alten Akteure, neue Strukturen

2018 sah man dann viele bekannte Gesichter der Mahnwachen bei den rechtsoffenen Protesten gegen den UN-Migrationspakt auf den Straßen. Sollte dieser verabschiedet werden, hieß es, sei der Untergang Deutschlands nicht mehr abzuwenden. Der Pakt wurde verabschiedet, die Katastrophe blieb aus.

Einige Akteure der putinfreundlichen sogenannten „Neuen Friedensbewegung“ von 2014 haben die Jahre nach dem raschen Abflauen der damaligen Proteste genutzt, um eigene Strukturen wie Social-Media-Plattformen und Zeitschriften zu gründen. Dort griffen sie dankbar die Inhalte russischer Propaganda-Kanäle auf, fungierten gleichzeitig als regelmäßige Interviewpartner auf eben diesen Kanälen. Dazu verfügten sie über rhetorische Erfahrung und das Wissen, wie Demos organisiert werden.

Bevor Russland das Messer an die Kehle gesetzt wird, erfolgt der Präventivschlag.

Hermann Ploppa, Autor

Als 2020 der Unmut über die Coronamaßnahmen dann auch Menschen auf die Straßen brachte, die bisher nicht politisch aktiv gewesen waren, fiel es den Erfahrenen leicht, die Proteste in ihrem Sinn zu gestalten und vor allem ihre eigenen Verschwörungs-Narrative durchzusetzen. Wer ursprünglich bloß gegen den ersten Shutdown oder die Maskentragepflicht demonstrieren wollte, erfuhr auf den Kundgebungen, wie böse die Kräfte des Westens seien – und dass Putins Russland zu Unrecht kritisiert werde.

„KenFM“, die Verschwörungs-Plattform von Ken Jebsen, ist mittlerweile von „Apolut“ ersetzt worden. Neben Verschwörungsmythen über Corona und Impfstoffe erscheinen hier seit vergangener Woche Texte, in denen Putins Invasion verharmlost und verteidigt wird.

Der Autor Hermann Ploppa etwa behauptet, Putin habe in der Vergangenheit „jede Frechheit der westlichen Wertegemeinschaft“ mit „Engelsgeduld“ ertragen, doch damit sei nun Schluss: „Bevor Russland das Messer an die Kehle gesetzt wird, erfolgt der Präventivschlag“, schreibt Ploppa.

Der Autor ist Beobachtern der Querdenker-Szene unter anderem aus dem Sommer 2020 bekannt. Damals stand Hermann Ploppa im Berliner Tiergarten auf der großen Querdenken-Bühne und warnte vor geheimen Eliten, die „genetisch“ niedriger stünden.

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