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Sollte Telegram reguliert werden?

© Foto: freepik; Montage Tsp | Kostrzynski

Hass und Hetze per App: Wie der Staat jetzt auf Telegram reagieren kann

Rechtsextreme und Impfgegner begehen auf Telegram täglich Straftaten – bislang meist folgenlos. Muss die App besser reguliert werden?

Der Verschwörungsideologe Oliver Janich fantasiert davon, „sämtliche Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern standrechtlich hinzurichten“. Der Kanal „Vereinigte Wahrheitsbewegung“ verbreitet ein Video, wonach die Regierung aktuell einen Genozid durchführe und jetzt auch noch „unsere Kinder totspritzen“ wolle. Im Kanal „Die Juden sind unser Unglück“ wird behauptet, Adolf Hitler habe eigentlich Frieden gewollt statt Krieg. Eine ganz normale Woche auf Telegram.

Der Messenger-Dienst gilt seit langem als digitales Sammelbecken für Rechtsextremisten und radikale Impfgegner, für Corona-Verharmloser und andere Verschwörungsgläubige. Ungestört können sie auf Telegram gegen Andersdenkende hetzen und offen zu Straftaten aufrufen. Seit die Radikalisierung der Impfgegner in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, diskutieren Politiker über eine stärkere Regulierung des Dienstes. Aber ist das nötig – und wie lässt sich der digitale Hass am effektivsten stoppen?

Verschwörungsschleuder oder demokratisches Werkzeug?

Vor acht Jahren gegründet, zählt Telegram mittlerweile zu den zehn meistgenutzten Apps der Welt. Außerhalb Deutschlands hat der Dienst dabei einen völlig anderen Ruf: In vielen autoritär geführten Ländern ist Telegram ein wichtiges Instrument der demokratischen Opposition. In Belarus und Iran zum Beispiel vernetzt sich so die Zivilgesellschaft. Glaubt man App-Gründer Pawel Durow, ist dies auch der ursprüngliche Zweck von Telegram. Durow, ein russischer Staatsbürger und Start-up-Milliardär, sieht sich selbst als Unterstützer liberaler Werte weltweit.

Reich wurde der 37-Jährige durch die Entwicklung des in Russland populären Facebook-Pendants Vkontakte, deshalb gilt er als „russischer Mark Zuckerberg“. Der Firmensitz von Telegram ist offiziell Dubai, allerdings zweifeln Beobachter, ob das stimmt: Die im Impressum angegebene Adresse führt in die 23. Etage eines Büroturms, Mitarbeiter wurden dort bislang nicht angetroffen. Auch auf das Schreiben des Bundesamts für Justiz, das Telegram zur Löschung strafbarer Inhalte aufrief und andernfalls mit Millionenstrafen drohte, gab es nie eine Antwort.

Die Zahl der Gruppen, in denen gehasst, gedroht und zur Abschaffung der Bundesrepublik aufgerufen wird, hat sich im Laufe der Pandemie vervielfacht. Das von Bund und Ländern eingerichtete Kompetenzzentrum jugendschutz.net bezeichnet die App als „Verschwörungsschleuder“ – Telegram diene als „zentrale Ausweichplattform für rechtsextreme Propaganda“.

Innenministern Nancy Faser (SPD) kündigte deshalb am Montag an, im Umgang mit Hass und Hetze auf Telegram neue Seiten aufzuziehen. Offen ließ sie dabei aber noch, welche Maßnahmen sie sich hier genau vorstellt. Die Klagen des Bundesamts für Justiz basieren auf den Verstößen Telegrams gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das NetzDG soll strafbare Inhalte auf sozialen Netzwerken bekämpfen.

Inwiefern das bestehende NetzDG greift

Problem ist dabei aber, dass das NetzDG auf soziale Medien wie Facebook oder Twitter ausgelegt ist, nicht auf Messengerdienste wie Telegram. Trotzdem ist die Klage des Bundesamts rechtlich gedeckt, sagt Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienforschung. „Telegram erfüllt eine doppelte Funktion. Einerseits ist es ein Chatdienst, andererseits gibt es durch seine Gruppen und öffentlichen Kanäle durchaus die Möglichkeit zur Massenkommunikation.“ Damit greift das NetzDG wieder.

Telegram-Gründer Pawel Durow
Telegram-Gründer Pawel Durow

© picture alliance / Robert Schles

Ein Problem bleibt ungelöst: Mit einem Firmensitz in Dubai kann Telegram auch Bußgelder nach einem verschärften NetzDG genauso entspannt ignorieren wie die Klagen aus dem Sommer. Kettemann sieht hier die Lösung in einem Gesetzesvorschlag der Europäischen Union: Der geplante Digital Services Act soll auf EU-Ebene regeln, wie Plattformen mit strafbaren Inhalten umgehen müssen. Darin soll auch festgelegt werden, dass Plattformen einen Ansprechpartner in der EU stellen müssen.

Sollte Telegram die europäische Regulierung ignorieren, könnte die deutsche Politik versuchen, Apple und Google dazu zu bringen, den Dienst nicht mehr in ihren App-Stores anzubieten. Sollte sich auch so bei dem Messengerdienst nichts bewegen, bleibt die Option einer Netzsperre, die bei illegalen Streamingportalen zum Einsatz kam. Damit wäre Telegram in Deutschland nicht mehr nutzbar. „Vor deutschen Gerichten ist eine solche Sperre kaum durchzusetzen“, sagt Kettemann, „vor allem, wenn nur ein Bruchteil der Inhalte auf Telegram rechtswidrig sind“.

Wie Telegram unter Druck gesetzt werden kann, seine Kanäle besser zu moderieren, sei aber eine nachrangige Debatte, sagt Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linken: „Wir kennen doch viele Namen der Täter.“ Digitale Gewalt müsse durch die Ermittlungsbehörden konsequenter verfolgt werden, damit sich etwas ändert. „Hier könnten die Behörden und die Politik sofort wirksam handeln. Dazu braucht es weder Google noch Apple und auch keine neue Regulierung.“

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