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© Arlett Mattescheck

„Hi, ich bin Rebecka und ich habe Brustkrebs“: Dinge, die ich gerne gewusst hätte, als die Diagnose kam

Eine Frage schwebte über allem: Was, wenn ich vielleicht nicht mehr lange lebe? Eine Suche nach Antworten, warum Reden hilft und was die Ärzte nicht sagen.

Von Rebecka Heinz

| Update:

Da ist sie, die öffentliche Bekanntgabe. „Hi. Ich bin Rebecka. Und ich bin eine von acht. Die achte Frau in der Reihe. Eine von den vielen Frauen, die Brustkrebs haben.“ So steht es seit kurzem auf meiner neuen Website, auf der ich mich mit der Krankheit beschäftige. Ich beginne also tatsächlich, meine Geschichte zu erzählen.

„Hast Du Lust, etwas zu schreiben?“, hatte K. mich gefragt. „Klar!“, habe ich gesagt, und war selbst schon gar nicht mehr überrascht über meine Antwort.

Vor ein paar Monaten hätte ich den Gedanken an diesen Beitrag absurd gefunden. Kurz nach der Diagnose hatte ich für einen Moment noch gedacht, dass ich es einfach keinem sagen könnte, dass man das Ding vielleicht einfach wegschneiden könnte und dass niemand etwas davon mitbekommen würde. So wie bei Muttermalen. So, dass ich nicht in die Situation komme, meinen Kunden sagen zu müssen: „Sorry, ich bin krank, ich bin für ein paar Monate raus.“ Das war ein Irrtum.

„Worauf muss ich mich einstellen, wie lange dauert das?“, habe ich meine Ärztin gefragt. Heute muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, und bewundere ihre Ruhe, mit der sie mir erklärt hat, was die nächsten Schritte sind und was hier eigentlich gerade passiert. Dass das Ding in meiner Brust mich umbringen könnte, habe ich trotz ihrer Erklärungen erst viel später verstanden.

„Frauenärztin“ steht am 8.10. in meinem Kalender. Ich hatte morgens angerufen, weil diese eine „Milchdrüse“ auch sechs Wochen nach dem Abstillen nicht weggehen wollte. Und weil mein Mann mich gedrängt hatte, das mal checken zu lassen.

Rebecka Heinz beginnt ihren Weg durch die Krankheit mit Schnappschüssen zu dokumentieren.
Rebecka Heinz beginnt ihren Weg durch die Krankheit mit Schnappschüssen zu dokumentieren.

© Rebecka Heinz

„Sie können gleich heute noch kommen, Knoten in der Brust gucken wir uns sofort an.“ Zwei Stunden nach meinem Anruf war ich in der Praxis, zwei Stunden nach meinem Anruf sah ich zum ersten Mal diesen schwarzen Fleck, den ich in den kommenden Wochen noch oft sehen würde, in allen möglichen Auflösungen, mit immer neuen Details.

Jetzt müssen wir erstmal gucken, ob er gestreut hat

Frauenärztin am Telefon

Das letzte Mal, als ich auf so ein Ultraschallgerät gestarrt habe, habe ich die Bewegungen meiner Tochter verfolgt und mich gefreut. Dieses Mal lag ich da und dachte: What the fuck!

Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass sich in meiner vollen Milchbrust irgendetwas außer Milch bilden könnte. Und dass es so groß sein könnte, dass man mir später die ganze Brust abschneiden wird, hätte ich mir erst recht nicht vorstellen können.

Brustkrebs, ausgelöst durch die Schwangerschaft.

Ich wusste nicht, dass man durch Schwangerschaften ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben kann. Das habe ich erst im Gespräch mit meiner Ärztin erfahren und dann in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt nachgelesen, der mir geschickt wurde. Nicht, dass ich dann nicht hätte schwanger sein wollen, aber ich hätte es gern gewusst. Denn dann hätte ich alles dafür getan, dass meine Brüste auch in der Stillzeit streng kontrolliert werden. Ich weiß nicht, ob man in dem vollen Milchgewebe irgendetwas gesehen hätte, aber ich hätte es versucht. Gefühlt hat man nichts.

Es folgen Wochen des Wartens. Immer mit dem Bangen, das etwas gefunden wird.
Es folgen Wochen des Wartens. Immer mit dem Bangen, das etwas gefunden wird.

© Rebecka Heinz

„Jetzt müssen wir erstmal gucken, ob er gestreut hat“, hat meine Frauenärztin am Telefon gesagt, als sie mir mitteilen musste, dass ich Krebs habe. „Haben Sie ein Brustzentrum, in das Sie für die weiteren Untersuchungen gerne gehen möchten? Oder soll ich Ihnen einen Termin besorgen?“ Termin besorgen, bitte.

Am nächsten Tag sitze ich im Brustzentrum. Und im Gespräch mit meiner neuen Ärztin ist da schon wieder dieser Satz, den ich höre, aber nicht weiter hinterfrage, der so selbstverständlich und für mich in dem Moment überhaupt nicht bedrohlich klingt: „Als erstes gucken wir jetzt beim Staging, ob er gestreut hat.“

Wir haben an diesem Abend auf dem Sofa gesessen und geweint. Einfach nur geweint. Uns leer geweint

Rebecka Heinz

Ich sitze da und nicke. Klar, gestreut, ich weiß, dass Tumore das machen, ich weiß, dass man Metastasen kriegen kann. Aber ich habe in dem Moment nicht gecheckt, was das heißt, welche Relevanz das hat. Dass es hier von einem Moment auf den anderen um die Frage geht, ob ich noch heilbar bin oder nicht. Dass es darum geht, ob ich überlebe.

All das verstehe ich erst zehn Stunden nach dem Gespräch mit der Ärztin, abends auf dem Sofa. Und das ist der Moment, in dem meine Welt zusammenbricht. Es ist der 19. Oktober 2021.

Wir haben an diesem Abend auf dem Sofa gesessen und geweint. Einfach nur geweint. Uns leer geweint.

Und dann haben wir angefangen, zu reden.

Bei uns gibt es keine Tabuthemen. Wir reden über alles. Auch über den Tod. Also reden wir nun auch über die Option, dass ich vielleicht nicht mehr lange lebe, dass meine Familie ohne mich weiterleben muss. Für einige mag das früh sein, darüber zu sprechen, nach dem Motto: erstmal abwarten – für uns war das gut. Die Gedanken waren eh da.

Der Slogan auf dem Plakat wird das Motto ihrer Therapie.
Der Slogan auf dem Plakat wird das Motto ihrer Therapie.

© Rebecka Heinz

Wir reden über Finanzen, wir reden über ein Leben ohne mich. Sind alle Konten zugänglich? Wie sieht es mit Vorsorgevollmachten aus? Bankvollmacht? Patientenverfügung? Testament? Witwerrente? Wie kann meine anderthalbjährige Tochter mich kennenlernen, falls das Ergebnis der Untersuchungen sein sollte, dass ich zu früh sterbe, als dass sie sich an Gespräche mit mir erinnern könnte? Was kann ich ihr mit auf den Weg geben? Wie kann ich ihr helfen, durch die Wirren des Lebens zu kommen und sich persönlich zu entwickeln, zu lernen, ihren eigenen Weg zu gehen, für sich einzustehen, wenn ich nicht mehr da bin? Was kann ich ihr hinterlassen?

Es folgen stundenlange Gespräche. Neue Fragen kommen auf, neue Pläne werden geschmiedet. Was würden wir noch gemeinsam erleben wollen? Was will ich beruflich hinterlassen? Worin investiere ich meine Zeit und meine Energie? Über solche Fragen sprechen wir sonst auch, aber wenn auf einmal ein „potenziell Tod bringendes Karzinom“ an Bord ist, wie ein Chirurg zu mir sagte, bekommen sie eine andere Tragweite.

Tagsüber gehe ich von einer Untersuchung zur nächsten. Mein ganzer Körper wird nach Metastasen durchforstet, und jedes Mal wieder sitzen wir mit der Angst im Wartezimmer, dass die Tür aufgeht und jemand sagt: „Frau Heinz, es tut uns leid, wir haben da leider etwas entdeckt.“

Deine Mama wird wieder gesund, aber jetzt kommt die Therapie

Behandelnder Arzt zur Tochter

Am Wochenende lenken wir uns ab, gehen in Ausstellungen, gehen essen, verbringen Zeit mit Familie und Freunden, lassen es uns gut gehen. Es ist ein Auf und Ab.

Ich hatte Glück. Ich darf eine Chemotherapie machen. Das heißt, dass der Tumor nicht gestreut hat und die Krankheit bei mir dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit gut heilbar ist. „Deine Mama wird wieder gesund“, meinte meine Ärztin zu meiner Tochter, „aber jetzt kommt die Therapie.“

Am 5. November, nur 2,5 Wochen nach der Diagnose, habe ich dank der Unterstützung meiner Ärztinnen die erste Infusion bekommen. Seit dem 5.11. weiß ich, was es heißt, eine Chemotherapie zu machen. Und seit dem 5.11. sitze ich jedes Mal wieder da, bin dankbar und freue mich, dass ich eine Therapie machen darf, dass mir geholfen werden kann.

Die Chemo beginnt. Dann folgt die Operation: Mastektomie.
Die Chemo beginnt. Dann folgt die Operation: Mastektomie.

© Rebecka Heinz

Nach der Chemotherapie kommt die OP. Eine Bestrahlung brauche ich wohl nicht, da nicht „brusterhaltend“ operiert werden kann, wie das so schön heißt und dann schlichtweg nichts mehr zum Bestrahlen da ist. Ablatio mammae. Mastektomie. Brustamputation. Das mag vielleicht erst einmal dramatisch klingen, ist aber nüchtern betrachtet unwichtig im Vergleich zu dem, was auf dem Spiel stand: mein Leben. Was das mit mir macht, wenn ich keine Brüste mehr habe, darüber kann ich im Moment nur spekulieren – und später darüber schreiben.

Die Welle an Themen, die einen mit der Diagnose „Brustkrebs“ überrollt, ist gewaltig. Zumal sie einen in einer Phase überrollt, in der man körperlich und psychisch-emotional am Rand ist.

Jede achte Frau wird in dieses Chaos geschleudert. Jede achte Frau bekommt irgendwann in ihrem Leben Brustkrebs. Jede achte Frau muss nach der Diagnose durch diese Phase, in der sie nicht weiß, ob ihr Tumor gestreut hat oder nicht.

Jede achte. Wenn man sich auf der Straße oder im Büro mal umguckt und (rein statistisch) mal abzählt, kann man nur zusammenzucken. Das sind ganz schön viele. Viele Geschichten, viele Leben, die von einen Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt wurden. Und die Leben ihrer Familien und Freunde gleich mit.

Einige von ihnen müssen dann den Satz hören, vor dem wir uns so gefürchtet haben, müssen hören, dass sich Metastasen gebildet haben – und müssen damit umgehen.

Jede Geschichte ist anders. Das hier ist ein kleiner Auszug aus meiner Geschichte. Das hier ist mein Anfang.

Ich spreche für mein neues Projekt www.einevonacht.de gerade mit anderen Brustkrebspatientinnen, mit anderen achten Frauen in der Reihe. Sie haben alle viel zu sagen – und ihre Geschichten könnten eine Inspirationsquelle für einige der neuen achten Frauen in der Reihe sein, die die Diagnose Brustkrebs erhalten und vielleicht denken: Shit, was nun?

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