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Bei der Verhaftung von Maximilian S. fand die Polizei 320 Kilo Drogen in seinem Kinderzimmer.

© dpa

Fünf Jahre im Darknet unterwegs: Kulante Drogendealer, frustrierte Polizisten

Der Journalist Daniel Mützel hat intensiv im Darknet recherchiert und seine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet. Hier erzählt er, was ihn überrascht hat – und was schockiert.

Als Darknet gilt der Teil des Internets, der nur über spezielle Software erreichbar und nicht durch Suchmaschinen zu finden ist. Weil Nutzer darin anonym bleiben, wird es sowohl von Whistleblowern und Dissidenten als auch von Kriminellen geschätzt. Der Journalist Daniel Mützel recherchiert seit fünf Jahren im Darknet und hat nun mit seiner Kollegin Theresa Locker ein Buch veröffentlicht.

Herr Mützel, weiß man, wie groß das Darknet ist?
Es gibt unterschiedliche. Das größte, das Darknet des Tor-Netzwerks, umfasst zwischen 6000 und 75.000 Seiten, je nach Zählmethode. Bis zu 50 Prozent von ihnen verbreiten kriminelle Inhalte. Man erreicht sie nur über den Tor-Browser.

Das Erste, was mir ins Auge sprang, war eine gebrauchte Kalaschnikow für 1500 Euro

Daniel Mützel

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Besuch?
Ich klickte mich durch einen Kryptomarkt, einen Schwarzmarkt für Waffen und Drogen. Das Erste, was ich mir ins Auge sprang, war eine gebrauchte Kalaschnikow für 1500 Euro. Eine selbst gebaute Handgranate kostete 225 Euro, aus heutiger Sicht wohl ein Schnäppchen. Für bolivianisches Kokain verlangte ein Händler 80 Euro pro Gramm.

Was dachten Sie?
Ich wunderte mich, wie so etwas möglich ist. Die Offenheit, mit der Händler Landminen und Toxine bewarben, als wären es Schuhe oder Bücher, war bizarr. Überrascht hat mich auch die Aufmachung dieser Seiten.

Wieso?
Die Betreiber legen Wert auf buntes, ansprechendes Design, das Konsumenten ein angenehmes Shoppingerlebnis verspricht. Es gibt Produktbeschreibungen, Hochglanzfotos der verbotenen Waren und detaillierte Kundenbewertungen der einzelnen Händler: Wie sicher war die Ware verpackt? War die Qualität wie angepriesen? Hat sich der Dealer gleich zurückgemeldet?

Fast wie bei eBay.
Vergangene Woche las ich in einem Forum, wie sich ein Kunde beschwerte, weil er zehn Gramm Speed und fünf Gramm Heroin bestellt hatte, aber nur das Speed im Briefkasten lag. Zwei Tage später schrieb der Kunde: „Hat sich erledigt, der Händler war kulant und hat das Heroin nachgeliefert.“ „Seriöse“ Anbieter reagieren sofort auf Negativbewertungen, sie wissen, dass sie ganz schnell Marktanteile verlieren und die Käufer zur Konkurrenz abwandern. Gleichzeitig gibt es natürlich auch extrem viele Abzocker und Betrüger.

Daniel Mützel lebt in Berlin und Unterfranken.
Daniel Mützel lebt in Berlin und Unterfranken.

© Michael Koerner

Für Ihre Recherchen haben Sie und Ihre Kollegin in einem Berliner Café Maximilian S. alias „Shiny Flakes“ interviewt. Der betrieb als 19-Jähriger einen der größten Online-Drogenversandhäuser Deutschlands – während er noch bei seiner Mutter wohnte. Welchen Eindruck machte er auf Sie?
Ich konnte mir schwer vorstellen, dass dieser Knilch ein solch gewaltiges Unternehmen aufgezogen hatte. S. ist ein typischer Fall: am Computer versiert, auch mit krimineller Energie, aber ohne den Mut, so etwas im analogen Leben zu stemmen. Das Darknet ermöglicht auch Personen außerhalb der klassischen Milieus, ein Drogenimperium hochzuziehen.

Als die Ermittler Maximilian S. festnahmen, fanden sie 320 Kilogramm Drogen in seinem Kinderzimmer. Das klingt nicht sehr clever.
Max ist an seinem eigenen Erfolg zugrunde gegangen. Der hat ihn nachlässig und unvorsichtig gemacht. Max hat immer dieselben Packstationen genutzt und von dort seine Drogenpakete verschickt. Er ließ sich mit dem Taxi hinchauffieren, mit mehreren Sporttaschen voller Ware drin.

Was machte ihn so erfolgreich?
Die größten Gewinne fährt im Darknet nicht ein, wer seinen Kunden gegenüber besonders glaubwürdig und ehrlich ist – sondern wer die Glaubwürdig- und Ehrlichkeit am besten simuliert. Max hatte die Masche perfektioniert. Bei unserem Treffen erzählte er uns, wie er sich die ersten 50 Kundenbewertungen selber geschrieben hat. Er hat unter verschiedenen Accounts jeweils eine kleine Menge Drogen bei sich bestellt, sich den Bitcoin-Betrag selbst überwiesen und dann immer fünf Sterne gegeben. Danach kamen die Kunden von allein. Schlechtes Kundenfeedback löschte er einfach.

Ergebnis der Razzia gegen die Betreiber von „Wall Street Market“.
Ergebnis der Razzia gegen die Betreiber von „Wall Street Market“.

© picture alliance/dpa

Maximilian S. ist nicht der einzige deutsche Darknet-Verbrecher, der im großen Stil aufflog. Voriges Jahr stürmte die Polizei einen alten Bunker im rheinland-pfälzischen Traben-Trarbach und beschlagnahmte die Server des „Wall Street Market“, des damals zweitgrößten Darknet-Marktes der Welt. Sind die Ermittler gar nicht so hilflos?
Der klassische Weg geht so: Verdeckte Ermittler machen einen „kontrollierten Kauf” einer Droge oder Waffe, versuchen nachzuvollziehen, von wo die Ware verschickt wurde, und observieren die Packstation oder Postfiliale. Oder sie analysieren die Bitcoin-Flüsse. Meist unterlaufen den Dealern Fehler. Sie frankieren Sendungen falsch, verschlüsseln ihre Mails nicht, eröffnen Bitcoin-Konten auf ihren Klarnamen. Märkte werden regelmäßig zerschlagen, die meisten haben eine Lebenserwartung von vielleicht anderthalb Jahren. Andererseits schrecken die Festnahmen kaum ab. Max hat uns erzählt, dass ihn das Auffliegen des ersten Darknet-Schwarzmarktes „Silk Road” und der schlagartige Ruhm des inhaftierten Betreibers erst auf die Idee für sein eigenes Geschäft brachte. Er hat gesehen, wie schnell man reich werden kann.

Nach Razzien und Festnahmen heißt es gelegentlich, dies sei nun ein entscheidender Schlag gegen das Darknet gewesen.
Das ist Polizei-PR. Seit fünf Jahren lese ich, dieser oder jener Fahndungserfolg bedeute jetzt das Ende des Darknets, das „dunkle Netz“ sei endlich „ausgeleuchtet“. Das Gegenteil ist der Fall. Das goldene Zeitalter der Online-Drogenmärkte hat erst begonnen. Ständig tauchen neue auf, die Preise sind stabil, die Nachfrage riesig. Bisher hat sich die Szene nach jeder großen Polizeioperation rasch erholt. Aus Sicht der Strafverfolgung ist das natürlich frustrierend. Andererseits scheinen die Prioritäten auch woanders zu liegen: In Deutschland ist schätzungsweise nur ein halbes Prozent der Beamten mit Cybercrime beschäftigt. Die Aufklärungsquote ist relativ niedrig, bei hoher Dunkelziffer. Sicher ein Mitgrund, warum sich viele in der Szene für unantastbar halten.

Auch die Polizei hat aufgerüstet

Daniel Mützel

Wie hat sich das Darknet im Laufe der Jahre verändert?
Die Szene hat sich professionalisiert. Heutige Dealer lernen von den Fehlern der alten, technische Schutzvorkehrungen werden immer ausgefeilter. Doch auch die Polizei hat aufgerüstet: Zu Beginn meiner Recherchen wurden auf den großen Plattformen noch offen Waffen angeboten, die hatten dort eigene Rubriken. Das hat sich nach dem Anschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 gewandelt. Der rechtsextreme Attentäter, der neun Menschen ermordete, hatte seine Tatwaffe im Darknet bestellt. Seitdem gehen Ermittler dort viel stärker gegen Waffenhändler vor. Um nicht in den Fokus der Polizei zu geraten, verbieten die etablierten Portale heute den Handel mit Waffen und Sprengstoffen. Die Plattformbosse wollen sich aus der Schusslinie nehmen. Daneben scheint es allerdings auch Verbote aus „ethischen“ Gründen zu geben.

Wie bitte?
Ein populärer Schwarzmarkt verbietet etwa esoterische Wundermedizin gegen Corona. Handel mit Computerviren, gestohlenen Kreditkartendaten und hoch dosiertem Fentanyl sind okay, aber wer ein Produkt als Heilmittel gegen Covid-19 bewirbt, wird gebannt. Ähnliches lässt sich bei „Crimenetwork“ beobachten, dem Platzhirsch in der deutschen Cybercrime-Szene. Zur Hochzeit der Pandemie im Frühjahr hatten sich Nutzer darüber ausgetauscht, wie man sich illegal Corona-Soforthilfen erschleicht. Der Betreiber machte kurzen Prozess: Der Thread wurde geschlossen, jede weitere Diskussion verboten. „Crimenetwork“ sorgte sich plötzlich um „dringend benötigte Hilfsgüter“ für die Schwächsten in der Gesellschaft. Das ist natürlich absurd.

Haben Sie im Darknet schon mal etwas richtig Harmloses gefunden?
Chaträume für Blind Dates, Blogs über Katzenbilder oder die Online-Bibel „Bible4u”, weil irgendwer meint, dass auch im Darknet das „Licht des Allmächtigen” scheinen sollte. Oder Lese- und Literaturclubs, wo Nutzer ihre Lieblingsbücher besprechen, Tolkiens „Der Hobbit”, Klassiker von Tolstoi oder Asterix ...

Gibt es Ecken im Darknet, die Sie meiden?
Natürlich alle Seiten, auf denen Kinderpornografie angeboten wird. Allein schon deswegen, weil das Anschauen ohnehin strafbar wäre. Die Anzahl der Seiten, die Vergewaltigungen von Kindern zeigen, ist erschreckend. Es ist wohl der Bereich im Darknet, in dem Klischee und Realität am stärksten übereinstimmen, sagen Ermittler. Es gibt riesige Plattformen, auf denen brutalste Misshandlung von Kleinkindern dargestellt wird, und Chaträume, in denen sich Täter zum gemeinsamen Missbrauch verabreden.

Einer der Betreiber der Seite „Elysium“, auf der Kinderpornografie verbreitet wurde.
Einer der Betreiber der Seite „Elysium“, auf der Kinderpornografie verbreitet wurde.

© imago/onemorepicture

Auch hier gelingen Ermittlern Erfolge, wie etwa die Aufdeckung der Seite „Elysium“ mit 110 000 Nutzerkonten.
Sicher: Polizei und Staatsanwaltschaften werden immer besser, ihre Befugnisse wachsen. Aber: „Elysium“ wurde 2017 zerschlagen, die global vernetzte pädokriminelle Szene hat längst eine neue Plattform gefunden, auf sie sich austauscht und neues Material hochlädt. Hinzukommen Tausende kleinere Seiten, die Kindesmissbrauch zeigen. Täter haben leichtes Spiel. Es gibt mittlerweile Stimmen, die fordern, alternative Wege einzuschlagen: etwa den Tor-Browser so umzuschreiben, dass Nutzer bestimmte Darknet-Seiten nicht mehr ansteuern können. Damit könnte man den Zugang zu Missbrauchsseiten zumindest erschweren. Die Tor-Community lehnt das bislang kategorisch ab. Ihr Argument: Wenn wir einmal anfangen, Inhalte zu zensieren, öffnen wir die Büchse der Pandora. Ich denke nicht, dass das ein Dammbruch wäre, eher die Einführung eines ethischen Mindeststandards im Darknet.

Das Buch „Report Darknet“ von Daniel Mützel und Theresa Locker ist im Verlag Kunstmann erschienen.
Das Buch „Report Darknet“ von Daniel Mützel und Theresa Locker ist im Verlag Kunstmann erschienen.

© Kunstmann

Haben Idealisten das Darknet nicht mal als das bessere Internet gefeiert?
Diese Hoffnung gab es vielleicht bei manchen. Ich sehe nicht, dass das Darknet derzeit als positiver Gegenentwurf taugt. Manche vergleichen es mit dem Internet der Neunziger. Aber es gibt keinen Entdeckergeist, innovativ ist eigentlich nur die kriminelle Unterwelt. Die Zahl der Nutzer, die aus der absolut gewährten Freiheit im Darknet sinnvolle, interessante, unterhaltsame Inhalte erstellen, ist nach wie vor überschaubar. Das Darknet ist vielmehr ein Rückzugsgefecht: Viele sehen es als letzte Verteidigungslinie gegen übermächtige Überwachungsbehörden und datenhungrige Silicon-Valley-Konzerne. Das muss per se nichts Schlechtes sein. Das Bedürfnis nach Privatsphäre im Netz wird weiter wachsen. Dissidenten in autoritären Staaten nutzen das Darknet zur sicheren Kommunikation, Whistleblower zum anonymen Versenden von Dokumenten. Die Technologie hinter dem Darknet gehört zu den stärksten Anonymisierungstools auf dem Markt.

Stimmt es, dass man Auftragsmorde bestellen kann?
Das ist eine Urban Legend. Tatsächlich gibt es Seiten, die vorgeben, über ein weltweites Netzwerk von Auftragskillern zu verfügen. Die Betreiber liefern auch angebliche Belege für erledigte Jobs, indem sie fiktive Listen über ungeklärte Mordfälle erstellen, inklusive Fotos der Opfer. Ohne jeden Beweis, dass sie selbst etwas damit zu tun haben. Das Ganze ist eine elaboriertes Betrugsmodell: Naive Leute werden geködert, Morde in Auftrag zu geben und Geld zu überweisen. Traurigerweise funktioniert das hin und wieder: Es soll tatsächlich Leute geben, die einem Pseudokiller aus dem Darknet Tausende Euro überwiesen haben, um jemanden um die Ecke zu bringen. Betrug im Darknet hat also auch etwas Gutes.

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