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 Wildpferde am Horizont.

© Panagis Kavallieratos

Urlaub in Griechenland: Die wilden Pferde von Kefalonia

Die griechische Insel Kefalonia lädt zum Wandern und Baden ein. Touristenhorden findet man hier keine. Dafür wilde Pferde, die wie Gämsen leben.

Der Ranger unten in der Stadt hat gesagt, er könne nichts versprechen. „Mit etwas Glück“, prophezeite er, „werden Sie dort oben die Pferde finden.“ Mit etwas Pech bleibe nur der Ausblick auf die grandiose Landschaft.

Auf Kefalonia Pech zu haben, kann ziemlich bezaubernd sein. Serpentinenförmig windet sich der steinige Weg zum Gipfel hinauf, alle paar Hundert Meter lädt eine neue Panoramaaussicht zum Innehalten. Über Felsen und Hügel schaut man runter zum Strand, raus aufs Meer, bis hinüber zum griechischen Festland.

Die hellroten Hausdächer des nächstgelegenen Dorfs sind mittlerweile auf Ameisengröße geschrumpft. In der Ferne läuten Ziegenglocken. Ansonsten hört man nur das Knirschen unter den Schuhsohlen und gelegentlich das eigene schwere Atmen. Denn es geht zwischendurch steil hinauf.

Etliche Wanderwege durch den Nationalpark

Der Berg Enos ist die größte Erhebung auf Kefalonia. Im Südosten der Insel gelegen ragt sein Gipfel 1600 Meter in den Himmel. Der Enos ist ein beliebtes Postkartenmotiv. Bekannt für seine Wanderwege, seinen bewaldeten Nationalpark. Und für seine wilden Pferde.

Wie genau sie dorthin kamen, ist nicht restlos gesichert. Es heißt, einige Exemplare wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt. Sie hätten sich vermehrt, eine Herde gebildet und bald den Kontakt zum Menschen verloren. Als die Herde zu groß wurde, habe sie sich aufgespalten, seitdem zögen die Tiere in kleineren Familienverbänden durch die zerklüftete Landschaft.

Pferde, die wie Gämsen leben. Wenn das keine Attraktion ist. Aber was nützen Attraktionen, solange man sie nicht zu Gesicht bekommt?

Blick auf den Myrtos Beach.
Blick auf den Myrtos Beach.

© imago images/CSP_Jurij

George Ismailos, der Ranger, kennt die Tiere wie kaum ein anderer Bewohner Kefalonias. Sein Büro befindet sich in Argostoli, der kleinen Inselhauptstadt mit 13.000 Einwohnern, eine halbe Autostunde nordwestlich in einer malerisch gelegenen Bucht. Entlang der Uferpromenade mit Palmen reihen sich dort Cafés an Fischrestaurants und Boutique-Hotels. Etwas abseits steht das Hauptquartier der Nationalpark-Ranger. Ismailos ist Anfang 50, er sagt, die wilden Pferde von Enos hätten ihn schon in der Kindheit fasziniert. Seine Eltern nahmen ihn zu Sonntagsausflügen mit auf den Berg, erzählten ihm Geschichten von den Pferden, als wären es Sagengestalten. Aber selten, ganz selten, habe er tatsächlich welche aus der Ferne erblickt. Das sei inzwischen anders, sagt er. „Die Chancen sind gestiegen.“ Man müsse bloß die richtigen Orte kennen, an denen sich die Tiere meist aufhalten. Im Internet kann man lesen, die Pferde lebten im umzäunten Areal des Naturschutzgebiets von Enos. Das stimme aber gar nicht.

Da ist zum Beispiel ein altes Kloster, auf halber Höhe am Berg gelegen. In der Nähe befinden sich zwei Wasserstellen. Dorthin kehrten die Pferde immer wieder zurück.

Die Straße, die zum Kloster führt, ist zunächst gut asphaltiert, schlängelt sich den Berg hoch bis ins Dorf Arginia. Ab hier wird es mit einem Mal abenteuerlich. Der Boden ist nun voller Schlaglöcher und Schotter, der Regen vom Vortag hat ihn aufweichen lassen. Wie soll das gelingen ohne Allradantrieb?

Man solle ganz beruhigt sein, hatte der Mann von der Autovermietung bei der Übergabe am Flughafen gesagt. „Ihr Wagen ist komplett versichert.“ Also alles bis auf die Reifen und den Unterboden und, na ja, die Technik eben! Das Auto wird im Dorf abgestellt.

Unterwegs spaziert man an einigen Höfen vorbei, an in der Sonne dösenden Hunden und an Einheimischen, die perfektes Englisch sprechen. Von den Wildpferden haben sie alle gehört. Dass sich Fremde zu denen durchfragen, scheint hier auch niemanden zu verwundern.

Blick ins Tal.
Blick ins Tal.

© imago images/Jurij

Im Vergleich zum etwas kleineren, weiter nördlich gelegenen Korfu ist der Tourismus auf Kefalonia noch überschaubar. Zwar finden sich entlang aller Küstenstraßen etliche Badebuchten und Strände. Regelmäßig überfüllt ist jedoch nur der schneeweiße, 800 Meter lange und von steil ansteigenden Kalksteinfelsen umschlossene Myrtos Beach im Nordwesten der Insel. Es gibt auch noch ein paar Tropfsteinhöhlen und einen unterirdischen See in einer Höhle, der Tagesbesucher anlockt. Und eben die wilden Pferde.

Warum ihre Vorfahren vor bald 80 Jahren ausgesetzt wurden, darüber kursieren verschiedene Theorien. Eine besagt, Bauern hätten ihre altersschwachen Tiere in die Berge zum Sterben gebracht. Der Ranger aus Argostoli hält das für ausgeschlossen, sonst hätten sich die Pferde wohl kaum dermaßen vermehrt. Er vermutet eher, dass sie einst Soldaten gehörten. Vielleicht hätten italienische Militärs diese von Bauern beschlagnahmt, als sie die Insel besetzten. Oder deutsche Landser, die auf die italienischen Truppen folgten. Als die Wehrmacht dann abzog, ließen sie die Tiere zurück. Die Nazi-Pferde von Kefalonia.

Der Wunsch, sie an diesem Tag zu finden, wächst mit jedem zurückgelegten Kilometer. Das ist erstaunlich, bedenkt man, dass die Umgebung Berlins eigentlich genug Koppeln bietet, auf denen sich Pferde beobachten ließen. Es gibt eine Statistik aus der psychologischen Forschung, die das vielleicht erklärt: Einem Kinogänger gefällt der gesehene Film im Durchschnitt umso besser, je weiter das Kino von der eigenen Wohnung entfernt liegt. Die Anfahrt muss sich gelohnt haben.

Ganz früher, lange vor den ersten Pferden, hauste angeblich ein noch wilderes Wesen auf dem Berg Enos. Im Jahr 1509 soll der damalige Inselverwalter die Bewohner vor einem schafe- und sogar menschenverschlingenden Drachen gewarnt haben. Zwei Brüdern sei es dann gelungen, das Ungeheuer im Kampf zu besiegen, worauf man es verbrannte. Leider vergaßen sie wohl, die Knochen aufzubewahren, sodass seine Existenz nicht bewiesen werden kann.

Die Drachengeschichte mag erstunken sein. Aber die Pferde existieren. Es gibt Beweisfotos, und im Netz schwärmen sich Touristen gegenseitig von ihren Sichtungen vor.

Wildpferd in Aktion.
Wildpferd in Aktion.

© Panagis Kavallieratos

Zumindest das orthodoxe Kloster, von dem der Ranger gesprochen hatte, ist schließlich gefunden. Ein schlichter, lang gezogener Steinbau, von einer mannshohen Mauer umgeben, in die ein hellblau gestrichenes Tor eingelassen ist. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Man könnte meinen, hier sei die Zeit stehen geblieben, stünde nicht die Flasche Cola Zero auf dem Fenstersims.

Hier oben am Berg sollte man besser einen Pullover dabeihaben. An manchen Tagen zieht Nebel durch die Sträucher und Kiefern.

George Ismailos, der Ranger aus Argostoli, hatte geraten: „Achten Sie auf die Haufen.“ Wenn da etwas liege, was nicht aussieht, als könne es von Ziegen oder Schafen stammen, dann seien sie nicht mehr weit. Und tatsächlich, was da plötzlich vor einem am Wegesrand liegt, groß und rund wie Äpfel, wie Pferdeäpfel, das lässt hoffen.

Bitte nicht zu nahe kommen

Und dann steht eines einfach so da, keine 30 Meter den Abhang herunter. Weißgraues Fell, der helle Schweif schwingt ruhig hin und her. Das Pferd schaut in Richtung des Touristen, scheint sich aber nicht zu stören. Dann kommt ein zweites hinter einem Gebüsch hervor. Und dahinter gleich ein drittes.

Es ist wichtig, ihnen nicht zu nahe zu kommen, auf keinen Fall hinterherzuklettern. Denn Pferde sind bekanntlich Fluchttiere. Während Esel, sobald sie erschrecken, stur stehen bleiben, geraten Pferde in Panik und können sich auf dem unebenen Untergrund leicht verletzen. Brechen sie sich ein Bein, schicken die Ranger einen Arzt, sagt George Ismailos. Aber das gehe selten gut aus.

Vor Jahren versuchten die Ranger, die Tiere zu füttern. Sie haben Heu ausgelegt und Hafer. George Ismailos hat die Pferde aus der Ferne beobachtet. Ein paar waren neugierig, haben dran geschnuppert, bald stand ein Dutzend um das Futter herum. Aber keines hat es angetastet, nicht mal probiert.

Vielleicht waren sie skeptisch, weil sie es nicht kannten, sagt Ismailos. Vielleicht hätten sie auch die Pestizide gerochen. „Danach kamen die Ziegen und waren weniger wählerisch, die haben alles aufgefressen.“

Wildpferd unter Beobachtung.
Wildpferd unter Beobachtung.

© Panagis Kavallieratos

Einige Weggabelungen weiter grast schon das nächste Pferd, steht mitten auf dem Weg. Am Ende der Wanderung werden es sieben sein. Jedes eine kleine Sensation.

Weil es auf der Insel keine Wölfe gibt und auch sonst keine natürlichen Feinde, ist ihre Zahl in den vergangenen Jahren noch einmal deutlich gewachsen, sagt der Ranger. Erst vor drei Tagen sei wieder ein Fohlen geboren worden. „Bald werden es 50 sein.“

Einige lebten inzwischen mehrere Kilometer weiter unten am Hang. Und würden dort beginnen, das Verhalten der domestizierten Artgenossen zu kopieren. „Sie verlieren die Scheu vor den Menschen.“ Mittlerweile erreichten ihn Anrufe von Dorfbewohnern. Die beschwerten sich, dass die Pferde ihre Gärten demolierten.

An diesen Tieren könne man nun sogar mit dem Auto vorbeifahren, ohne dass diese Reißaus nähmen. Aber wer will das schon. Sind ja keine echten Wildpferde mehr.

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