zum Hauptinhalt
Nicht mehr ziemlich beste Freunde: Bushido und Abou-Chacker.

© Foto: imago/Mauersberger | Montage: Tagesspiegel

Bushido, Fler und Arafat Abou-Chaker: Heimliche Mitschnitte geben verstörende Einblicke in die Rapszene

Die Aufnahmen von Bushido, Fler und Arafat Abou-Chaker sollten nie an die Öffentlichkeit kommen. Genau dies ist nun geschehen. Welche Folgen hat das?

Kaum zu glauben, dass dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden haben soll. In dem Mitschnitt, der sich seit zwei Tagen im Internet verbreitet, hört man mutmaßlich Arafat Abou-Chaker, wie er sich von einem ehemaligen Freund wüst beschimpfen lässt. Ausgerechnet jener Mann, der in der Öffentlichkeit seit Jahren als gefährlicher Clan-Boss gilt. Als einer, der im Milieu gefürchtet wird. Dem man besser mit Respekt begegnet.

In dem Telefonat lässt sich Abou-Chaker als „Hund“ bezeichnen. Als „Ehrenloser“ und „Piç“, was türkisch ist und Bastard bedeutet. Später muss sich Abou-Chaker anhören, er stehe nicht seinen Mann. Er sei „im Inneren dreckig“. Der Beschimpfte bleibt ruhig, räumt sogar ein, er habe Fehler gemacht. Sagt dann: „Ja, ich schäme mich.“

Bei dem Mann, der ihn am Telefon so drastisch demütigt, soll es sich um Veysel Kilic handeln. Einen mehrfach verurteilten Gewalttäter, der lange Abou-Chakers Vertrauter war und in der Szene als Vollstrecker, als „Mann fürs Grobe“, galt. Die beiden haben sich vor Jahren zerstritten – und obwohl Kilic als Zeuge im aktuell laufenden Prozess gegen Abou-Chaker vorgesehen war, wurde er im März dieses Jahres in die Türkei abgeschoben. In dem Telefonat droht er nun, trotzdem gegen Arafat vor Gericht auszusagen, was zu einer Verurteilung Abou-Chakers führen könnte. Er warte lediglich auf den Anruf aus Berlin.

Dem Tagesspiegel bestätigen beide die Echtheit des Mitschnitts nicht.

Arafat Abou-Chaker beim Prozess im März 2021.
Arafat Abou-Chaker beim Prozess im März 2021.

© imago/Olaf Wagner

Das Telefonat ist der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Aufnahmen, die in den vergangenen Tagen „geleakt“, also von unbekannter Seite und wohl gegen den Willen der Beteiligten im Internet veröffentlicht wurden. Sie gewähren überraschende, verstörende Einblicke in ein Milieu, in dem sich Gangstarapper, Showbranche und Organisierte Kriminalität miteinander vermischen.

Die publik gewordenen Mitschnitte sind detailreich, geben lange geheim gehaltene Hintergründe und Szenegepflogenheiten preis und zeigen persönliche Verbindungen, die sonst vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Sie dokumentieren den in der Szene verbreiteten Sexismus genauso wie Schwulenfeindlichkeit. Vor allem verdeutlichen sie, was in diesem Milieu als Normalzustand gilt.

Das Material wirft aber auch Fragen über die Rolle des Rechtsstaats auf. Ob er tatsächlich so überfordert und hilflos ist, wie es in den Aufnahmen scheint.

Einen wichtigen Zeugen abgeschoben

Veysel Kilic, der Mann, der Arafat Abou-Chaker in dem Telefonat so beleidigt, ist überraschend abgeschoben worden. Dabei wäre er einer der wenigen, die einige der erhobenen Vorwürfe im Prozess gegen Abou-Chaker womöglich bezeugen könnten. Denn er soll an jenem Tag im Januar 2018, an dem der Angeklagte seinen Ex-Partner Bushido laut Staatsanwaltschaft in einem Büro eingeschlossen und bedroht, ihn mit einer Wasserflasche und einem Stuhl attackiert haben soll, ebenfalls vor Ort gewesen sein.

Dass Kilic, der türkischer Staatsbürger ist, vor seiner Zeugenaussage abgeschoben wurde, hat nicht nur den Richter verärgert. Die Staatsanwältin erklärte, sie sei über den Vorgang nicht informiert worden. Aussagen könnte Kilic theoretisch trotzdem. In dem jetzt geleakten Gespräch erklärt er, dass er dazu bereit wäre, aber sich das Gericht bis jetzt nicht bei ihm gemeldet habe. Er habe dafür extra seine alte Telefonnummer behalten.

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärt ein Gerichtssprecher am Freitag, das Gericht habe bereits versucht, Kilic telefonisch in der Türkei zu erreichen. Dies habe allerdings nicht geklappt. Vorerst wolle das Gericht ihn nicht als Zeugen vernehmen.

Das Gespräch zwischen Kilic und Abou-Chaker muss – sollte es authentisch sein – innerhalb der vergangenen sieben Tage stattgefunden haben. Denn es bezieht sich auf ein weiteres gerade geleaktes Gespräch. Und den Grund, weshalb Kilic derart aufgebracht ist.

Dabei handelt es sich nicht um ein Telefonat, sondern ein persönliches Gespräch zwischen Arafat Abou-Chaker und dem Rapper Fler, das mutmaßlich per Smartphone aufgezeichnet wurde. Es stammt aus dem Spätherbst 2018, ist jedoch ebenfalls erst in dieser Woche an die Öffentlichkeit gelangt. Darin werden diverse gemeinsame Bekannte und andere Rapper massiv beleidigt.

Bushido als Nebenkläger im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker.
Bushido als Nebenkläger im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker.

© imago images/Olaf Wagner

Abou-Chaker wirft mit Wörtern wie „Hurentochter“, „Schlampe“ und „Schwuchtel“ um sich. Der dunkelhäutige Rapper Manuellsen wird mit dem N-Wort beleidigt. Thema ist auch der Streit zwischen den einstigen Partnern Abou-Chaker und Bushido: Es geht um von der Behörde angeordnete Baumpflanzungen auf dem gemeinsamen Grundstück in Kleinmachnow, um einen geplanten Swimmingpool, abgesteckten Zaun – und weshalb Abou-Chaker auf keinen Fall wollte, dass Bushidos Frau auf dem Gelände einziehe: Das Areal solle schließlich kein Bordell werden.

Veysel Kilic wird in dem Mitschnitt ebenfalls mit Namen genannt. Abou-Chaker bezeichnet ihn als „V-Mann“, also einen Informanten, der mit der Polizei zusammenarbeite. Für den Langzeitkriminellen Veysel Kilic ist das eine drastische Beleidigung – und der Anlass, nun nach Publikwerden des fast drei Jahre alten Mitschnitts gegen Abou-Chaker zu wüten.

Ich weiß, dass du kein V-Mann bist

Arafat Abou-Chaker

Wäre er wirklich ein V-Mann, hätte er sicher nicht 15 Jahre im Gefängnis gesessen, beklagt sich Kilic am Telefon. Abou-Chaker räumt ein, dass die Beschuldigung unwahr sei: Er habe das „nur vor Wut gesagt. Ich weiß, dass du kein V-Mann bist.“ Zum Zeitpunkt der Aufnahme sei er schlicht „wütend und gestresst“ gewesen vom offen ausgetragenen Konflikt mit Bushido. „Diese Zeit war sehr hart für mich“, sagt Abou-Chaker.

Weiter muss er sich dafür rechtfertigen, dass überhaupt derartige Gesprächsmitschnitte existieren.

Veysel Kilic fragt: „Warum nimmst du das auf? Unsere ganzen Gespräche?“

Antwort: „Weil ich zu der Zeit niemandem getraut habe.“

Das geheime Mitschneiden von Gesprächen ist eine verbreitete Praxis in der Szene. Die Aufnahmen können später als Druckmittel eingesetzt werden, sollten die oft brüchigen Freundschaften oder Geschäftsbeziehungen nicht halten. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Drohungen, in denen ein Rapper behauptete, er besitze belastendes Material, das er jederzeit veröffentlichen und somit die Karriere eines Kontrahenten ruinieren könne.

Bislang blieb es bei den Ankündigungen. Das hat sich nun geändert.

Altes Videomaterial von Bushido
Altes Videomaterial von Bushido

© Screenshot: Youtube

Die Kaskade der geleakten Aufnahmen begann am Sonnabend vergangener Woche. Da veröffentlichte ein bisher eher erfolgloser Rapper namens Cashmo ein 16 Jahre altes Video, welches Bushido in einem Hotelzimmer im Gespräch mit einer jungen Frau zeigt. Sie sitzt auf dem Bett, er hockt vor ihr, nur in Boxershorts bekleidet. Es scheint, als setze Bushido die Frau unter Druck, mit ihm in Gegenwart zweier anderer Männer Geschlechtsverkehr zu haben. Außerdem äußert Bushido Zweifel daran, ob die Frau überhaupt volljährig sei.

Noch am Abend der Veröffentlichung räumte Bushido die Echtheit des Materials ein: „Das, was dort gezeigt wurde, ist tatsächlich passiert.“ Gleichzeitig entschuldigte er sich für sein Verhalten an jenem Abend. Die Art und Weise, wie er damals mit Frauen umgegangen sei, sei „absolut nicht in Ordnung“ und „nicht vertretbar“. Zu dieser Zeit sei es für ihn die übliche Art gewesen, nach einem Konzert „mit den Mädchen dort umzugehen“. Überhaupt sei Frauenfeindlichkeit im Rap ein ernstes Problem, ja eine Krankheit. Er bereue seine alten Verhaltensmuster: „Ich hoffe, dass meine Töchter, wenn sie groß sind, nicht solchen Menschen über den Weg laufen wie mir – als der, der ich damals gewesen bin.“

Es war nur ein Ausschnitt des Videos

Den Vorwurf, die Frau könnte minderjährig gewesen sein oder er selbst habe sie zum Sex nötigen wollen, bestreitet Bushido allerdings. Zudem, sagt er, handle es sich bei dem gezeigten Videoschnipsel nur um einen Ausschnitt der Aufnahme. Dieser verzerre das Geschehen mutwillig mit der Absicht, ihm größtmöglich zu schaden. Bereits am Sonntagabend hat der Rapper deshalb das gesamte Video in voller Länge selbst veröffentlicht und kommentiert.

Es zeigt, dass es in Wahrheit die ebenfalls im Zimmer anwesenden Männer waren, die versuchten, die junge Frau zu bedrängen und auch nackt zu filmen. Mehrfach zogen sie die Decke, die über der Frau lag, gegen ihren Willen weg. Mehrfach behaupteten die Männer fälschlicherweise, die auf sie gerichtete Kamera zeichne gar nichts auf. Bushidos Rolle bleibt uneindeutig. Er verhält sich passiv, obwohl die Frau ihn mehrfach bittet, sie zu beschützen. „Ich war anwesend“, sagt Bushido in seinem Entschuldigungs-Statement: „Ich habe auch nicht gesagt: Mach die Kamera aus. Ich habe nicht gesagt: Lass das Mädchen in Ruhe.“ Dies sei ein schlimmer Fehler gewesen, aber rechtfertige keinesfalls die Vorwürfe, er selbst sei übergriffig gewesen.

Das Video und Bushidos Erklärungen spalten seitdem die Hip-Hop-Szene. Manche sprechen von einer Kampagne gegen den Künstler. Andere werfen ihm vor, sich nun selbst als Opfer zu inszenieren. Weitgehende Einigkeit besteht in der Annahme, die an die Öffentlichkeit gelangte Szene zeige keine Seltenheit, sondern ein gängiges, seit Jahren verbreitetes Verhalten in der Branche. Gangstarappernormalität.

Zu dem Zeitpunkt, als die Szene im Hotelzimmer stattfand, bestand zwischen Bushido und Arafat Abou-Chaker bereits eine enge Geschäftsbeziehung. Vor Gericht hat Bushido ausgesagt, Abou-Chaker habe ihn seit 2004 unter Druck gesetzt, damit er an allen Einnahmen des Künstlers beteiligt werde. Bei der Trennung der beiden 14 Jahre später soll es dann zum Streit im Büro gekommen sein – weswegen Arafat Abou-Chaker jetzt wegen Beleidigung, Freiheitsberaubung, versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht steht. Ob die ausführliche Zeugenaussage Bushidos für eine Verurteilung ausreicht, ist ungewiss – und durch die Abschiebung des potenziellen Zeugen Veysel Kilic noch unwahrscheinlicher geworden.

Als Veysel Kilic und Arafat Abou-Chaker noch Freunde waren.
Als Veysel Kilic und Arafat Abou-Chaker noch Freunde waren.

© Screenshot: Instagram

Dass es überhaupt dazu kam, liegt an einem blutigen Vorfall, der sich Ende 2020 in der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag in der Kreuzberger Stresemannstraße in der Nähe der SPD-Parteizentrale zutrug. Dort geriet Veysel Kilic in eine Schießerei, wurde schwer verletzt. Sein mutmaßlicher Kontrahent musste aus dem Landwehrkanal gezogen werden. Wegen unerlaubten Führens und Besitzes einer Schusswaffe erließ das Gericht Haftbefehl gegen Kilic.

In den vergangenen Jahren war Kilic immer wieder auffällig gewesen, soll ein Jahr zuvor vor dem „Café Einstein“ in der Budapester Straße in Charlottenburg sieben Mal mit einer Pistole in die Luft gefeuert haben, wurde mit Kokain erwischt, soll während eines früheren Gefängnisaufenthalts aus der Zelle heraus den Drogenhandel gesteuert haben. Nach der Schießerei Ende 2020 erschien nun die Gelegenheit günstig, ihn loszuwerden. Deshalb wurde er – mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft – direkt aus der Haftanstalt Moabit in die Türkei abgeschoben. Die Maßnahme wurde in der Öffentlichkeit als Erfolg im Kampf gegen Berlins Clankriminalität gefeiert. Für den Richter im Bushido-Prozess war es eher ein Ärgernis.

Im jetzt aufgetauchten Telefonmitschnitt zwischen dem aufgebrachten Veysel Kilic und Arafat Abou-Chaker kommt auch die Schießerei in der Stresemannstraße zur Sprache. Kilic beschwert sich, Abou-Chaker habe sich damals nicht um seine Eltern gekümmert, während er selbst im Krankenhaus lag: „Wo die mich abgeknallt haben, bist du nicht mal zu meiner Familie gegangen. Meine Mutter hat gefragt: Wo ist er?“

Arafat antwortet, er habe sich nicht getraut: „Ich habe doch gesagt, ich will nicht in deine Nähe kommen, komplett.“ An anderer Stelle sagt er: „Ich hatte Angst, dass die uns erwischen, dass wir miteinander reden.“

Veysel Kilic will außerdem wissen, warum Abou-Chaker gegenüber Fler über den Diebstahl der Goldmünze aus dem Bodemuseum gesprochen habe. Und behauptet habe, Mitglieder der Großfamilie Remmo hätten dies getan, sie hätten das Gold in einem Geschäft in der Sonnenallee einschmelzen lassen. Arafat Abou-Chaker verteidigt sich wieder. Er habe damals kein Insiderwissen verraten, sondern nur wiedergegeben, was er zuvor in einem Bericht von „Spiegel TV“ gesehen habe.

Zur Startseite