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Barrie Kosky im Zuschauerraum der Komischen Oper

© Jan Windszus

Barrie Kosky im Interview: „Nirgendwo fühle ich mich so verstanden wie in Berlin“

Zehn Jahre hat er die Komischer Oper geleitet. Jetzt gibt er die Intendanz ab - und schaut im Gespräch zurück auf Höhen und Tiefen seiner Amtszeit.

Barrie Kosky, 1967 in Melbourne geboren, begann seine Karriere als Regisseur zunächst in seiner Heimat, wo er unter anderem Leiter des Adelaide Festivals war. 2001 kam er nach Europa, um Co-Direktor am Wiener Schauspielhaus zu werden. 2008 inszenierte am Deutschen Theater Strindbergs „Ein Traumspiel“ sowie „Kiss me, Kate“ an der Komischen Oper. Daraufhin wurde ihm die Intendanz des Musiktheaters angeboten. Mittlerweile ist Barrie Kosky einer der gefragtesten Opernregisseure weltweit.

Herr Kosky, gleich zu Ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt: Ich bleibe maximal zehn Jahre lang Intendant der Komischen Oper. Fiel es Ihnen jetzt schwer, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen?
Nein, absolut nicht, denn es war die richtige Entscheidung. Das nächste Kapitel meiner Karriere will ich als Freiberufler gestalten. Ob ich danach noch einmal eine Festanstellung annehme? Kann sein. Vielleicht bei einem Festival. Jedenfalls nicht bei einem Opernhaus. Denn so frei wie hier an dieser fantastischen Kulturinstitution in dieser fantastischen Stadt werde ich als Intendant an keinem Opernhaus wieder arbeiten können

Was ist der anstrengendste Aspekt des Intendantenjobs?
Wie viel Energie es kostet, die Ohren immer offen zu haben, für alle Probleme, die großen wie auch die ganz kleinen. Zehn Jahre lang war ich also ständig als Problemlöser gefragt, neben meiner Arbeit als Regisseur. Aber das ist ein Teil des Jobs, jedenfalls wenn man ihn so definiert wie ich. Auch dafür werde ich bezahlt. Bei der künstlerischen Arbeit kann ich immer Energie tanken, aber Mama der Kompanie zu sein, das kostet auf die Dauer sehr viel Kraft. 

Szene aus „Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“
Szene aus „Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“

© Foto: Monika Rittershaus

Und jetzt können Sie ihre Musiktheaterfamilie frohen Herzens sich selbst überlassen?  
Ich habe dem Haus neue Flügel gegeben – und jetzt muss es allein fliegen. Und es ist ein sehr gutes Gefühl zu wissen, dass es stark genug dafür ist.

Wobei es sicher dadurch leichter wird, dass ihre Nachfolger aus dem Haus kommen, die bisherige Geschäftsführerin Susanne Moser und der bisherige Operndirektor Philip Bröking, die ab dem Herbst eine Doppelspitze bilden?
Es wäre ein extremes Risiko gewesen, wenn in dem Moment, in dem die Generalsanierung des Stammhauses beginnt und die Komische Oper Berlin mehrere Wanderjahre vor sich hat, ein komplett neues Team angefangen hätte. Unsere Identität über diese Zeit aufrechtzuerhalten, das wird Susanne Moser und Philip Bröking gelingen. Und ich bin ja auch noch als Regisseur präsent, mit zwei Inszenierungen pro Spielzeit. Das ist eine organische, authentische Weiterentwicklung.

Als Klaus Wowereit Ihnen 2008 die Intendanz der Komischen Oper angeboten hat, wussten Sie noch gar nichts von der Operettentradition des Hauses. Gerade deren Wiederbelebung aber wurde dann zu Ihrem Markenzeichen. Wie kam das?
Mit meinem Chefdramaturgen Ulrich Lenz habe ich damals darüber nachgedacht, wie wir uns das Profil des Hauses vorstellen. Da ist natürlich die Tradition von Walter Felsenstein, der die Komische Oper 1948 gegründet und mit seinem Konzept des Musiktheaters hier etwas Einmaliges geschaffen hat. Dann aber haben wir auf die Zeit davor geschaut – und eine vergessene Welt entdeckt. Eben die strahlende Zeit der Operette in der Weimarer Republik, als hier das Metropol-Theater residierte. Da wurde uns klar, dass das ein roter Faden meiner Amtszeit sein solle. Wir hätten aber nie gedacht, dass daraus eine Renaissance dieser Partituren wird, dass „Ball im Savoy“, „Die Perlen der Cleopatra“ oder „Eine Frau, die weiß, was sie will“ jetzt auch wieder von anderen Bühnen gespielt werden.

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill

© Iko Freese / drama-berlin.de

Operette hat für viele Menschen in Deutschland einen ramponierten Ruf, durch die Art, wie sie in der Nachkriegszeit im Fernsehen präsentiert wurde.
Das war furchtbar: staubig, spießig, verharmlosend, unerotisch. Ich sage immer: Es war nicht genug, dass die Nazis die Musik der jüdischen Operetten verboten haben – dann kamen auch noch die 50er und 60er Jahre…

Umso erstaunlicher, dass sich der Erfolg Ihrer Ausgrabungen unmittelbar einstellte.  
Theater ist immer about Zeitgeist! Es war einfach die richtige Kombination der richtigen Menschen zur richtigen Zeit im richtigen Theater. Zwanzig Jahre früher hätte das noch nicht funktioniert. Jetzt trafen Berliner Stars wie Dagmar Manzel, Katherine Mehrling und die Geschwister Pfister auf unser tolles Ensemble, und wir haben die Produktionen mit der angemessen prachtvollen Ausstattung gemacht. Opulenz und Virtuosität sind sehr wichtig, wenn man Operette spielt…

…oder auch Musical.
Ja, Musical ist als Kunstform bedeutend für mich. Dass ich 2008 an der Komischen Oper „Kiss me, Kate“ inszeniert habe, war einer der Gründe für Klaus Wowereit, mir die Leitung des Hauses anzubieten. Unser Unterhaltungs-Erfolgsrezept war, dass wir Gäste und eigene Ensemblemitglieder kombiniert haben. Jeder Erfolg am Theater hängt von der Besetzung ab. Es ist egal, welche brillante Idee der Regisseur hat, solange er die Darsteller:innen nicht hat, die sie auch glaubhaft umsetzen können. Um zu wissen, wer mit wem zusammenpasst, muss man allerdings eine Nase haben.

Sich als Diva aufführen? So funktioniert das bei uns nicht, Schatzi!

Barrie Kosky

Wie schwierig ist es für die Gäste, wenn sie in so eine eingeschworene Künstlertruppe kommen wie hier an der Komischen Oper?
Sehr einfach. Ich lade ja nur solche Gäste ein, von denen ich weiß, dass sie außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeiten sind. Und wenn es doch mal zu einem Diva-Moment kommen sollte – dann ist am Augenrollen des Ensembles ziemlich leicht zu erkennen: Das funktioniert hier nicht, Schatzi!

In der Länge der Probenzeit liegt für Sie der Schlüssel zur Qualität.
Wenn ich nicht genug Probezeit bekomme, kann ich kein gutes Theater machen, so einfach ist das. Wir würden niemals Jonas Kaufmann zu uns einladen – er ist ein großartiger Sänger, aber er würde nicht acht Wochen lang bei uns proben.

„Eine Frau, die weiß, was sie will!“ mit Max Hopp und Dagmar Manzel
„Eine Frau, die weiß, was sie will!“ mit Max Hopp und Dagmar Manzel

© Iko Freese / drama-berlin.de

Wird das Inszenieren mit der Zeit leichter?
Nein, weil meine Proben eine Mischung aus Improvisation und Ausprobieren sind. Ich bin kein Regisseur, der vor dem Bühnenbildmodell sitzt und vorher alles im Detail austüftelt. Die Inszenierung muss sich im Probenraum entwickeln, im Zusammenspiel mit den Akteuren. Ich bin nicht dafür da, den Solist:innen zu sagen: Du kommst jetzt von dort, setzt dich hierhin und in Takt drei umarmst du ihn.

So kann man aber Oper in vier Wochen auf die Bühne stellen. Das spart Steuergelder.
Und erzeugt Routine! Bei meinem System ist Risiko dabei, und es hängt extrem viel davon ab, mit wem ich zusammenarbeite. Ich kann Ihnen verraten: Ich habe eine schwarze Liste mit Namen, die ich niemals in meinem Haus sehen möchte. Aber mit Menschen, die sich auf das Abenteuer einlassen, wird das Risiko zum Spaß. Man kommt morgens zur Probe und fragt sich: Was wird wohl heute passieren?

Da haben Sie aber viel Vertrauen in die Inspiration des Augenblicks!
Ich führe jetzt seit 35 Jahren Regie, aber bei jedem neuen Stück fange ich wieder von Null an. Durch das Vertrauen, das ich den Künstler:innen entgegenbringe, wird die Probenbühne zum echten Laboratorium. Anders kann ich nicht arbeiten.

Am eindrücklichsten waren für mich immer Ihre Inszenierungen, die fast ohne Bühnenbild auskommen.
Operette mag ich opulent, aber bei Opern mache ich das Gegenteil. Je komplizierter das Stück ist oder auch die Musik, desto weniger möchte ich auf der Bühne haben. Das ist nicht nur ästhetisch gedacht, es resultiert auch aus meinem brennenden Glauben an die darstellende Kunst. It’s all Personenführung! Die Leute sollen nicht über ein Regiekonzept nachdenken, sie sollen sich hinterher an die Darsteller:innen erinnern.

Seid stolz auf eure Vielfältigkeit, habe ich dem Orchester immer gesagt

Barrie Kosky

Die Chefdirigenten Ihrer Amtszeit, Henrik Nanasi und Ainars Rubikis, vermochten beide kein eigenes Profil zu entwickeln. Kann es an einem Opernhaus immer nur eine prägende Persönlichkeit geben?
Dirigenten haben es relativ schwer an der Komischen Oper Berlin. Wer erinnert sich an die Musikchefs zu Felsensteins Zeiten? Wir machen ja Musiktheater, bei dem sich Gesang und Schauspiel auf Augenhöhe begegnen. Dadurch fällt die Aufmerksamkeit für den Dirigenten natürlich geringer aus.

Er kann wenig Glanz entfalten.
Die Komische Oper ist das einzige Opernhaus der Welt, das von einem Regisseur gegründet wurde. Es ist Teil unserer DNA, dass Dirigent:in, Solist:innen und Regie alle auf eine Einheit hinarbeiten müssen. Das heißt nicht, dass die musikalische Arbeit unwichtig wäre. Unser Orchester zeichnet sich durch seine Vielfältigkeit aus. Die Staatskapelle oder das Orchester der Deutschen Oper könnten niemals französische Barockmusik, die „West Side Story“, Mozart, Operette und ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts wie „Moses und Aron“ in einer Woche spielen. Unser Orchester schon. Seid stolz darauf!, das habe ich den Musiker:innen immer gesagt.

Als Sie damals aus Wien nach Berlin kann, war Ihre Selbstinszenierung als „bunter Vogel“ sehr offensiv. Wann merkten Sie, dass das in Berlin nicht nötig war?
Ich bin traumatisiert von meinen Wien-Jahren. Ich hatte mir mein äußeres Erscheinungsbild als eine Art Schutzschild zugelegt. Vertrauen ist sehr wichtig für mich. Einerseits das Vertrauen in die Mitarbeiter:innen, ebenso aber auch das Vertrauen, das uns das Publikum entgegenbringt. Es ist nicht notwendig, dass die Leute alles mögen, was wir anbieten – das wäre auch fast unmöglich bei 100 Inszenierungen, die wir in meiner Amtszeit auf der großen Bühne herausgebracht haben. Doch von Anfang an habe ich mich umarmt gefühlt vom Berliner Publikum. Es gibt keine Stadt auf der Welt, wo ich mich so verstanden fühle wie hier. Es macht mich froh, ein Publikum froh zu machen.

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