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Pipeline in Sibierien

© Maxim Shemetov/Reuters / Maxim Shemetov/REUTERS

Sanktionen gegen Panzer: Ist der Westen machtlos gegen die Aggression?

Die Mittel des Westens wirken schwach, Sanktionen sind aber mehr als Symbolpolitik. Was die Forschung dazu sagt. Ein Gastbeitrag.

Von Christian von Soest

Mit dem Einmarsch in die Ukraine schafft Präsident Putin eine schockierende Eindeutigkeit: Russland bricht einen Krieg vom Zaun, im Europa des 21. Jahrhunderts. Da die USA, die EU und Verbündete wie Großbritannien und Kanada eine militärische Antwort schon früh ausgeschlossen haben, liegt die „Eskalationsdominanz“ klar auf der Seite von Präsident Putin: Er spricht mit Waffen und nutzt damit den größtmöglichen Zwang, um seine Ziele zu erreichen.

Die Regierungen des Westens setzen in diesen dramatischen Stunden dagegen „nur“ auf Sanktionen, also wirtschaftliche und diplomatische Beschränkungen. Was können sie mit diesem milderen Mittel der Außenpolitik überhaupt (noch) erreichen? Kann der Westen Präsident Putin treffen oder gar zur Umkehr bewegen?

Die Sanktionsforschung zeigt zunächst, dass die glaubhafte Androhung von Sanktionen besser wirkt als auferlegte Sanktionen, die im Durchschnitt nur in einem Drittel der Fälle eine Änderung des Verhaltens erzwingen. Über dieses Stadium hat sich Präsident Putin jedoch in Windeseile hinweggesetzt. Bereits am Montag, als er die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkannte, war er offenbar entschlossen, nicht nur das „Hilfeersuchen“ der abtrünnigen Gebiete anzunehmen und „Friedenstruppen“ zu entsenden, sondern die gesamte Ukraine anzugreifen.

Dies bedeutet aus Sicht der Sanktionierenden zweierlei: Entweder war die Sanktionsdrohung nicht glaubhaft, das heißt, dass Präsident Putin nicht an umfassende Zwangsmaßnahmen des Westens glaubte. Der Blick in die jüngere Vergangenheit mag sein Denken beeinflusst haben. Möglicherweise empfand er die westliche Reaktion auf die Annektierung der Krim im Jahr 2014 als zu lasch.

Möglicherweise wiegen nach Putins Logik die innenpolitischen Vorteile des Angriffs die wirtschaftlichen Kosten mehr als auf.

Christian von Soest

Oder Präsident Putin war von Anfang an bereit, auch höchste Kosten wie die rasante Abwertung des Rubels oder den Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem Swift für die Kontrolle über die Ukraine in Kauf zu nehmen. Nach dieser Logik wiegen die innenpolitischen Vorteile des Angriffs die wirtschaftlichen Kosten mehr als auf. Tatsächlich ist die Gegnerschaft zur verhassten Nato und den USA längst zu einer zentralen Legitimationsquelle geworden - das gilt für Iran oder Kuba und eben auch Putin. Umfassende Sanktionen des Westens stützen dann dieses Narrativ.

Sanktionen stehen zwischen Worten und einem Krieg

Damit sind weitere Sanktionen jedoch keineswegs nutzlos: Sie wirken ja nicht nur als Mittel zur Verhaltensänderung (die im Augenblick unmöglich erscheint: Sanktionen werden den Vormarsch der russischen Truppen in der Ukraine nicht stoppen), sondern können auch den Handlungsspielraum des Ziels beschränken und ein Signal sein, wie kostspielig es ist, sich über zentrale Normen des Völkerrechts wie die staatliche Integrität hinweg zu setzen.

Dies wird häufig als Symbolpolitik abgetan und mag angesichts des augenblicklichen russischen Einmarschs in die Ukraine lächerlich oder sogar zynisch klingen. Jedoch zeigen Sanktionen damit, dass die Verletzung dieser Prinzipien einen hohen Preis. Sanktionen stehen damit als Mittel der Außenpolitik zwischen einfachen Worten und einem Krieg.

Entscheidend ist jetzt, dass Putin schnell echte Kosten entstehen.

Christian von Soest

Für den weiteren Weg ist deswegen entscheidend, dass schnell echte Kosten für Präsident Putin und seine Regierung entstehen. Er setzt dagegen darauf, dass liberal-demokratische Gesellschaften schmerzempfindlich sind und deren Regierungen wirklich harte Maßnahmen, die auch die eigene Wirtschaft und Bevölkerung treffen, nicht „durchziehen“. Ohne solche Sanktionsentscheidungen wird es aber nicht gehen. Die gliedern sich in drei Bereiche:

Individualsanktionen: Kontensperrungen und Reiseverbote für Mitglieder der Elite und politisch eng verbundene Oligarchen gehören zum Standardwerkzeug der internationalen Sanktionspolitik. Der Vorteil dieser Maßnahmen ist, dass sie Entscheidungsträger und nicht die breite Bevölkerung treffen. Die Europäische Union, die USA, Großbritannien und weitere Partner hatten schnell nach Putins Ankündigung, die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anzuerkennen, zahlreiche Personen auf die Sanktionslisten gesetzt; die EU unter anderem jene 351 Abgeordnete der Duma, die für die Anerkennung der „Volksrepubliken“ stimmten.

Auch der Präsident selbst kann sanktioniert werden

Großbritanniens Regierung sanktionierte dagegen zunächst nur drei Unterstützer Putins und fünf Banken. Um aber wirklich glaubhaft zu agieren, müssten vor allem London und EU-Staaten wie Malta, Bulgarien und Zypern umgehend ihre laxen Finanzkontrollen verstärken und die Praxis der „goldenen Visa“ für reiche ausländische Oligarchen, die Geld ins Land bringen, stoppen. Bei anderen Sanktionsregimen wie in Belarus, Venezuela und Simbabwe wurde zudem der Präsident selbst in den Blick genommen und sanktioniert.

Bankensektor: Finanzsanktionen sind das schärfste Schwert der internationalen Sanktionspolitik. Die USA und die EU haben bereits entsprechende Sanktionspakte geschnürt und einzelnen russischen Banken wie VEB.RF oder Bank Rossija untersagt, weiter Geschäfte in Europa und Amerika zu treiben. Ebenso erschwerten sie den Handel mit russischen Staatsanleihen. Dies ist bedeutsam, da Russlands Wirtschaft international eng verwoben ist. Weitere Finanzinstitutionen werden nun sanktioniert werden, darunter die größten wie Sperbank und VTB.

Doch nun müssten die westliche Regierungen auch die Abkoppelung russischer Banken vom internationalen Finanzsystem Swift auf den Weg bringen. Irans Banken wurden bereits auf diese Weise vom globalen Markt abgetrennt, für eine Volkswirtschaft dieser Größe ist dieser Schritt jedoch ohne Vorbild. Die drastische Maßnahme würde jedoch auch die russische Bevölkerung treffen, die Präsident Putins Politik kaum beeinflussen kann. Die Auswirkungen müssen deshalb genau geprüft werden. Zudem verfügt Russland im Augenblick über Währungsreserven von mehr als 600 Milliarden Dollar, kann also eine solche Abkoppelung länger durchhalten.

Energiesektor: Die größten Kosten für die europäischen Staaten, aber auch für Russland selbst, drohen im Energiesektor. Hier zeigt sich das Dilemma der Sanktionspolitik: Ungefähr 40 Prozent der EU-Gasimporte stammen aus Russland, das Land ist außerdem bedeutender Lieferant für Öl und Kohle. Auch wenn Gas, Öl und Kohle extrem wichtige Einnahmequellen für den russischen Staat sind, muss vor allem Europa buchstäblich einen kalten Winter fürchten, wenn es den Import von Russlands Gas beendet oder Präsident Putin den Gashahn zudreht.

Die Absage an Nord Stream 2 verursachte dabei keine hohen wirtschaftlichen Kosten, sondern ist eher als Signal der Bundesregierung zu verstehen, dass sie – anders als nach der Annektierung der Krim 2014 – kein „business as usual“ mehr betreibt. Deutschland muss deshalb schleunigst Verträge mit anderen Lieferanten abschließen und die entsprechende Infrastruktur aufbauen. Unmöglich ist das nicht, aber sehr teuer. Exportverbote für Hochtechnologie würde Russland ebenfalls hart treffen, da auch China nicht einfach einspringen kann. Jedoch würden diese Exportverbote erst mittelfristig wirken.

Die EU hat damit weitere Möglichkeiten, um auf das Vordringen russischer Panzer und Luftschläge in der Ukraine zu reagieren. Sie werden Präsident Putin nicht zur Umkehr bewegen und sollten als Mittel nicht überschätzt werden. Auch müssen Ausstiegsszenarien und Anreize mitgedacht werden. Angesichts dieses Angriffs müssen spürbare Sanktionen aber ein wichtiger Teil westlicher Außenpolitik sein.

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