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Passanten mit Einkaufstaschen auf dem Berliner Ku-Damm

© dpa / Monika Skolimowska

Sparappelle in Energiekrise und Inflation: Freiwilliger Konsumverzicht kann glücklich machen

Der Mensch handelt nicht nur aus purem Eigennutz – diese Vorstellung ist überholt. Aufrufe zum Sparen und Einschränken sind daher richtig. Ein Gastbeitrag.

Ein Essay von Ingo Balderjahn

Ist Konsumverzicht Opfer oder Segen? Diese Frage stellt sich in Zeiten, in denen Regierungen die Bürger zum Energiesparen aufrufen und Bürger mit steigenden Preisen aufgrund der hohen Inflation konfrontiert sind.

Während Wirtschaftsminister Robert Habeck schon im April die Menschen zum Energiesparen mit dem Satz „Zehn Prozent Einsparung geht immer“ aufgerufen hatte, fiel seine Haltung kürzlich noch verbindlicher aus: Im Fall einer Gasmangellage müssten „alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten“, verlautete aus dem Wirtschaftsministerium.

Die erkennbare Absicht des Wirtschaftsministers, die Menschen ernst zu nehmen, sie bei der Verhinderung der drohenden Energienotlage mit einzubeziehen und an ihre Verantwortung zu appellieren, ist zu begrüßen.

Denn klar ist doch, dass viele Bürger:innen freiwillig, aus eigenem Antrieb, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Energie sparen könnten. Für die Regierung gilt es, dieses Energiesparpotenzial privater Haushalte erfolgreich zu erschließen.

Dennoch wird die politische und gesellschaftliche Debatte zum Energiesparbeitrag von Bürger:innen recht kontrovers geführt. Da wird argumentiert, dass die Bürger:innen nicht schuld an der aktuellen Gaskrise seien und andere, insbesondere die Regierung und Industrie, das zu richten hätten. Der Betrag von Bürger:innen zur Minderung des Energieverbrauchs gilt bei vielen als vernachlässigbar und viel zu gering, um den drohenden Gasmangel abwenden zu können.

Der Appell von Wirtschaftsminister Habeck an die Bürger:innen wird in der Öffentlichkeit gerne als Aufforderung zum Verzicht interpretiert. Und da Menschen, so die landläufige Meinung, ungern freiwillig auf etwas verzichten, müsse befürchtet werden, dass Sparappelle à la Robert Habeck fehl schlagen. Das Wort „Verzicht“ ist negativ konnotiert. Verzicht wird assoziiert als ein schmerzliches Opfer und ein persönlicher Verlust.

Wer weniger konsumiert, als er sich leisten kann, empfindet dies nicht als Entbehrung.

Ingo Balderjahn

Wissenschaftliche Studien zeigen allerdings, dass Menschen, die deutlich weniger konsumieren als sie sich finanziell leisten könnten, dies nicht als Mangel oder Entbehrung empfinden. Ganz im Gegenteil: Wer sich bewusst entscheidet, nur das persönlich wirklich Notwendige und Nützliche zu kaufen und zu verwenden, erlebt dadurch ein Zugewinn an persönlicher Selbstbestimmung, Autonomie und Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Konsumnormen und -zwängen.

Genügsam konsumierende Personen zeichnet eine gegen verschwenderischen Konsum gerichtete Haltung aus. Bürger:innen, die beispielweise kein Auto besitzen, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, kein Auto besitzen wollen, verzichten nicht. Mit der freiwilligen Ablehnung, bestimmte Produkte zu kaufen, werden psychologische Bedürfnisse wie solche nach Kompetenz, Handlungsfähigkeit und Solidarität befriedigt.

Menschen mit genügsamen Lebens- und Konsumstilen sind deshalb nicht weniger glücklich und zufrieden sind als diejenigen, für die Verschwendung kein Thema ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass genügsam Konsumierende auch die glücklicheren Menschen sein können. Denn genügsamer Konsum kann das Selbstbewusstsein stärken und ein gutes Gefühl für die eigene Kompetenz und Selbstbestimmung stiften.

14 Prozent leisten sich Genügsamkeit

Der Aufruf zum Energieversparen appelliert an die Verantwortung und Selbstwirksamkeit der Menschen etwas zu tun, was nicht nur dem Wohle der Gesellschaft, dem Klima und der Wirtschaft dient, sondern auch dem eigenen Wohlbefinden zugutekommen kann. Natürlich werden und können nicht alle Bürger solchen Appellen folgen.

Eine für Deutschland repräsentative Studie von 2017 zeigte, dass gut 14 Prozent der deutschen Bevölkerung einen genügsamen, nicht verschwenderischen, einfachen Konsumstil führen. Das sind Menschen mit einem überdurchschnittlich hohen Einkommen und einer – zu anderen Bevölkerungsgruppen – vergleichsweise bescheideneren Ausstattung mit Haushaltsgroßgeräten (inklusive Autos).

Der größere Teil der deutschen Bevölkerung mit hohem Einkommen reizt seine Konsummöglichkeiten gerne voll aus.

Ingo Balderjahn

Diese Personen einigt eine ausgeprägte Ablehnung von Verschwendung. Trotz eines hohen Einkommens bleiben sie weit unter ihren Konsummöglichkeiten. Insofern ist sparsam und genügsam zu konsumieren in Deutschland wahrlich nicht Mainstream, aber auch kein Nischenphänomen. Der größere Teil der deutschen Bevölkerung mit hohem Einkommen reizt dagegen seine Konsummöglichkeiten gerne voll aus und manchmal sogar darüber hinaus.

Verbote und Gebote sind kontraproduktiv

Dass freiwilliger Konsumverzicht, soweit er möglich ist, auch glücklich und zufrieden machen kann – das wird diejenigen aus Politik und Wirtschaft, für die ein stetiges Wirtschaftswachstum nicht verhandelbar ist, sicherlich wenig erfreuen.  Studien lassen vermuten, dass rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung nicht nach stetig steigendem materiellen Wohlstand streben. Deshalb wäre es wichtig, dass mehr Politiker:innen dem Vorbild Robert Habecks folgen, und ihr Bild vom Menschen überdenken.

Der Mensch ist kein Homo Oeconomicus, kein Wesen, das stets rational aus purem Eigennutz handelt. Das (reale) Handeln des Menschen ist geprägt von unterschiedlichen Werthaltungen, Bedürfnissen und Motiven, Emotionen, Einstellungen und Überzeugungen. Deshalb ist die Meinung, gesellschaftlich notwendige Verhaltensanpassungen von Bürger:innen können nur über gesetzliche Verhaltensver- und -gebote oder durch finanzielle Belohnungen des Staates erreicht werden, nicht nur kurzsichtig, sondern auch kontraproduktiv.

Hat die Regierung die Absicht, Bürger:innen zum Energiesparen in die Verantwortung zu nehmen, dann müssen öffentliche Kampagnen her, die den Grundregeln professioneller Kommunikation folgen. Kampagnen zum freiwilligen Energiesparen werden nur dann erfolgreich sein können, wenn die Notwendigkeit zum Energiesparen gut und nachvollziehbar begründet wird.

Und wenn die Menschen überzeugt werden können, dass individuelles Energiesparen einen wichtigen Beitrag zur Abwendung einer Gasmangellage leisten kann und dass jeder Beitrag zählt, auch der ganz kleine.

Die Vermeidung gesellschaftlicher und ökologischer Notlagen und Katastrophen erfordert solidarisches und kooperatives Verhalten von allen. Gesetze, Ordnungspolitik und technologische Innovationen sind weiterhin wichtig, aber ohne die solidarische Mitwirkung von Bürger:innen werden solche Krisen weniger oder möglicherweise gar nicht mehr zu beherrschen sein.

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