zum Hauptinhalt
Das obere Ende der Fahnenstange markiert am Nachtigalplatz einen Ort mit schwerer Vergangenheit: Der mit NS-Architektur gesäumte Platz ist nach einem Kolonialisten benannt.

© dpa

Kolonialkritisches Kunstwerk enthüllt: Kein Ende der Fahnenstange

Ein neues Kunstwerk verbindet zwei Berliner Orte mit kolonialer Vergangenheit: Das Humboldt-Forum und das Afrikanische Viertel 

Von Mascha Malburg

Es wirkt, als stoße sie an die Decke und durchbohre den Boden: Kang Sunkoos zweigeteilte Fahnenstange protestiert gegen die beiden Orte, an denen sie steht: „Ich habe mich vom Humboldt-Forum bedroht gefühlt“, sagt der Künstler, „von diesem Schloss, dass für mich Kolonialismus, Rassismus und Imperialismus repräsentiert.“ Im Humboldtforum werden Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien präsentiert, deren Herkunft in vielen Fällen mehr als zweifelhaft ist, einige gelten als Raubgut aus der Kolonialzeit.

Schon 2020 hat Kang Sunkoo die untere Hälfte seiner Skulptur aus schwarz patinierter Bronze „Statue of Limitations“ im Treppenhaus des Humboldt-Forum aufgestellt. Zusammengesetzt ergeben die beiden Teile der Skulptur eine Fahnenstange mit Flagge auf Halbmast. Am Freitag wurde nun auch die obere Hälfte eingeweiht: Auf dem Nachtigalplatz im Afrikanischen Viertel bohrt sich der Mast durch die Erde, die schwarze Fahne steckt im sandigen Boden. Man muss schon wissen, was das sein soll, um es zu erkennen.

Mit Kang Sokoos Kunstwerk sind nun zwei Orte, die in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt der Diskussionen über Berlins koloniale Vergangenheit standen, symbolisch miteinander verbunden.  Man könnte auch sagen: markiert – „hier wurde Kolonialgeschichte lange Zeit unbeobachtet, unkritisiert und undiskutiert in die Gegenwart getragen“, so beschreibt es Kultursenator Klaus Lederer. Wie ein Stachel steche die Stange hier in den Boden, findet der Senator. Er würde sich wünschen, dass sie noch „eine Weile stacheln“ würde.

„Heute ist ein denkwürdiger Tag, allein wenn ich mir anschaue, wer hier zusammenkommt“, beginnt der Kultursenator seine Rede: Vor ihm stehen Anwohner und Aktivistinnen, Lokal- und Landespolitiker, Repräsentanten des Humboldt-Forums und des namibischen Staates. Zur deutschen Kolonialgeschichte haben sie ganz unterschiedliche Positionen.

Das Viertel diskutiert schon lange über sein koloniales Erbe

Da sitzt zum Beispiel Mnyaka Sururu Mboro, der hier schon antikolonialistische Führungen geleitet hat, als die meisten Anwohner noch dachten, der Nachtigalplatz sei eben nach einem Singvogel benannt – und nicht nach Gustav Nachtigal, einem Treiber des deutschen Kolonialismus. „Als ich davon erfahren habe, dachte ich, na gut, schreibt ihr halt noch ein L an den Straßennamen dran“, sagt Gabriele Elms, die seit zehn Jahren im Afrikanischen Viertel lebt. Inzwischen finde sie aber gut, dass der Platz nach jahrelangen Anstrengungen von Aktivisten umbenannt wird: „Man lernt ja auch dazu“, sagt die Frau.

Stephan Dassel, Bezirksbürgermeister von Mitte, sagt, dass der Platz „schon bald“ nach Manga Bell, dem Anführer des Widerstandes gegen die Vertreibung des Duala-Volkes in Kamerun, heißen wird. Dass die neue Statue nun die bundesdeutsche Debatte um die Aufarbeitung des Kolonialismus, die sich meist um das zentrale Humboldt-Forum drehe, mit dem Afrikanischen Viertel verknüpfe, freue ihn sehr, sagt der Bezirksbürgermeister.

Schließlich kämpften hier schon seit Jahrzehnten Betroffene und Aktivisten für einen neuen Umgang ihres Viertels mit seiner Vergangenheit:  Das Afrikanische Viertel erhielt die Straßennamen Anfang des 20. Jahrhunderts, als man noch plante, im angrenzenden Volkspark Menschen aus den Kolonien zur Schau zu stellen. Die Idee für den rassistischen Park zerfiel im Ersten Weltkrieg. Heute wird der Kiez zum Lern- und Erinnerungsort ausgebaut, seine Vergangenheit kann man sogar an der „Schwarzen Volkhochschule“ studieren.

Der Künstler Kang Sunkoo ist 1977 in Seoul geboren, hat Architektur an der RWTH Aachen studiert und unter anderem mit dem Künstler Ai Weiwei zusammengearbeitet.
Der Künstler Kang Sunkoo ist 1977 in Seoul geboren, hat Architektur an der RWTH Aachen studiert und unter anderem mit dem Künstler Ai Weiwei zusammengearbeitet.

© dpa

Nicht alle, die hier anwesend sind, haben sich so intensiv mit dem Kolonialismus auseinandergesetzt – das kritisiert auch der Künstler selbst: „In der Ausschreibungen für den Wettbewerbs um ein modernes Kunstwerk im Humboldt-Forum fiel damals kein Wort über die Kolonialgeschichte“, sagt Kang Sunkoo. Stattdessen wurden die Humboldt-Brüder als Vertreter kosmopolitischer Werte und als Vorbilder einer weltoffenen Gesellschaft gepriesen.

„Weder das eine noch das andere stimmt meiner Ansicht nach“, sagt der Künstler. Aus dieser Frustration heraus habe er dann seine Statue entworfen: Sie sollte aus dem Treppenraum des Forums, aus der zweiten und dritten Etage, wo Sammlungen asiatischer, afrikanischer, amerikanischer und ozeanischer Kunst und Kultur lagern, hinausgehen und es mit einem zweiten Ort kolonialer Geschichte verbinden.

Im Afrikanischen Viertel stach Sunkoo der Nachtigalplatz ins Auge: „Es ist verblüffend, wie sehr dieser Ort in der Proportion und Dimension dem Grundriss des Schlosses ähnelt. Nur dass dort ein Körper ist und hier ein Leerraum“, erklärt Kang Sunkoo. Seine Fahnenstange ist genau geteilt: Elf Meter lang ist sie im Humboldt-Forum, elf Meter ragt sie nun hier aus dem Boden. Auch die schwarze Flagge auf Halbmast hängt genau in der Mitte, zwischen diesen zwei Orten: Sie soll die Trauer und Anteilnahme des Künstlers symbolisieren.  

Eine Statur sprengt die Grenzen des Wettbewerbs – und gewinnt

Das geteilte Kunstwerk ist auch ganz praktisch eine Auflehnung gegen den gesamten Wettbewerb: Was als Kunst im Bau des Schlosses ausgeschrieben war, erweiterte der Künstler um einen Ort, der Kilometer davon entfernt liegt. Das sei auch baurechtlich eine Herausforderung gewesen, sagt Hans-Dieter Hegner, Vorstand der Technik Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. „Herr Kang hat alle Grenzen des Wettbewerbs überschritten“, sagt er.

Die Tatsache, dass der Bund einen Teil seines Bauetats für das Humboldt-Forum verwendete, um die Statue im öffentlichen Stadtraum zu errichten, sei ein Novum. „Ich wollte einfach ausprobieren, ob dieses öffentlich-rechtliche Verfahren in dieser freiheitlichen Gesellschaft auch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit bietet, wenn der Künstler sehr andere Vorstellungen hat und auch andere politische Interessen verfolgt“, kommentiert Kang Sunkoo.

Kang Sunkoos Versuch hat funktioniert: Georg Imdahl, Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Münster und Vorsitzender der unabhängigen Auswahlkommission, sei von dem Kunstwerk sofort begeistert gewesen, sagt er. „Ich war mir spontan ganz sicher, dass dieser Entwurf das Werk ist, dass der Umstrittenheit des ganzen Projekts Humboldt-Forums angemessen ist.“ Die „Statue of Limitation“ (eine Anspielung auf das Statute of Limitation, den juristischen Terminus der Verjährung von Straftaten) bringe die ganze Debatte um das koloniale Erbe auf den Punkt.

Zunächst ist der obere Teil der Fahnenstange für sechs Monate am Nachtigalplatz geduldet. Bezirksbürgermeister von Dassel sagte jedoch, dass er sich gut vorstellen könnte, dass sich die Statue langfristig in das Viertel einfügen könne. Auch eine mögliche Verlagerung der Skulptur in die Republik Namibia wurde schon mit dem Künstler besprochen, erklärt ein Sprecher des Humboldt-Forums. Kang Sunkoos Werk sprengt aber auch jetzt schon Grenzen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false