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Aus Niedersachsen stammen 97 Prozent des heimischen Erdgas.

© picture alliance / Julian Strate / Julian Stratenschulte

Milliarden Kubikmeter Erdgas: Liegt die Alternative zum russischen Gas in Niedersachsens Boden?

Wirtschaftsminister Habeck will, dass in Deutschland mehr Erdgas gefördert wird. Die Unternehmen wittern ein Geschäft, Anwohner sind alarmiert.

Wegen des Erdgases hat Meike Artmann ihre Heimat verlassen. Jahrzehntelang waren die Bohrtürme und Fackeln für sie Alltag. Nur 200 Meter von ihrem Elternhaus im niedersächsischen Völkersen entfernt stand in ihrer Jugend der Förderturm. „Wir waren ein wenig stolz, dass aus unserer Region Gas für viele Haushalte in Deutschland kam. Der Gefahren waren wir uns überhaupt nicht bewusst“, sagt Artmann, inzwischen 39 Jahre alt.

Doch irgendwann wurden die Folgen der offensichtlich. Immer wieder bebte die Erde, das Haus ihrer Kindheit ist inzwischen stark beschädigt, ein langer Riss zieht sich durch die Fassade. Im Dorf gebe es fast in jeder Familie Krebs-Erkrankungen. Das Elternhaus hat sie bewusst nicht übernommen, nun wohnt sie am Stadtrand von Bremen. „Ich wollte nicht, dass meine Kinder in so einer Region aufwachsen müssen“, sagt Artmann.

Eigentlich läuft die heimische Erdgas-Förderung seit Jahren langsam aus. Rund fünf Milliarden Kubikmeter wurden in Deutschland – zu rund 97 Prozent in Niedersachsen – im vergangenen Jahr gefördert. 2019 waren es noch gut sechs Milliarden Kubikmeter gewesen, etwa fünf bis sechs Prozent des Verbrauchs in Deutschland. Doch die Tendenz sinkt weiter. Die Vorkommen in den meisten Förderfeldern erschöpfen sich stetig, die Proteste vor Ort halten an und die Auflagen für Bohrungen wurden immer wieder verschärft.

 Deutschland kann mehr bei der Erdgasförderung machen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck

Doch seit Deutschland dringend von russischem Gas unabhängig werden will, zählt plötzlich jeder Kubikmeter. „Auch Deutschland kann mehr bei der Erdgasförderung machen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zuletzt beim Baubeginn des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven.

Habeck in Wilhelmshaven.
Habeck in Wilhelmshaven.

© dpa / Sina Schuldt

In der Branche wittern viele Unternehmen bereits ein gutes Geschäft: „Die heimischen Ressourcen haben einen hohen Wert für die Versorgungssicherheit, der bestmöglich genutzt werden sollte“, sagt Miriam Ahrens vom Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Dort weiß man von 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die noch im Boden liegen, die konventionell abgebaut werden können. Dabei wird das Gas in rund 3000 bis 4000 Metern aus Sandstein gefördert. Die tatsächlichen Vorkommen schätzt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf mehr als 1000 Milliarden Kubikmeter, doch die Förderfelder sind nicht erkundet und viele dürften sich für die Unternehmen nicht lohnen.

Schiefergas ist reichlich vorhanden - doch das Fracking ist umstritten

Auch das Schiefergas, das in rund 1000 Metern Tiefe liegt und mit der umstrittenen Fracking-Methode gefördert werden müsste, wird seit etwa zehn Jahren in Deutschland nicht mehr angerührt. Dabei würden noch 2,3 Billionen Kubikmeter unter deutscher Erde liegen, schätzt der BVEG. Ein lukrativer Markt, doch die gesellschaftlichen Proteste gegen das Fracken, bei dem unter hohem Druck Millionen Liter Wasser mit Chemikalien in den Untergrund gepresst werden, um das Gas aus dem Schiefer zu lösen, sind enorm. Durch den Krieg in der Ukraine – so hoffen es die Unternehmen – könnte wieder Bewegung in die Diskussion kommen. „Ein denkbarer nächster Schritt wäre, zunächst die gesetzlich vorgesehenen Probebohrungen unter der Führung der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission Fracking durchzuführen“, schlägt Ahrens vor.

Die Unternehmen können alleine schon rein technisch nicht einfach den Hahn aufdrehen und mehr Gas aus dem Boden herausholen.

Eike Bruns, Sprecher des Bergbauamts von Niedersachsen

Doch in der Politik lehnt man diesen Schritt ab. Im Herbst wird in Niedersachsen gewählt, daher will man sich lieber auf die konventionelle Förderung konzentrieren. Doch ganz so einfach ist auch das nicht. „Die Unternehmen können alleine schon rein technisch nicht einfach den Hahn aufdrehen und mehr Gas aus dem Boden herausholen“, sagt Eike Bruns, Sprecher des Bergbauamts von Niedersachsen, das die Lizenzen für Bohrungen vergibt. Neue Felder zu finden und zu erschließen dauere Jahre. Im Bergbauamt rechnet man damit, dass die Fördermengen kurzfristig auf sechs Milliarden Kubikmeter erhöht werden könnten. „Bei uns als Aufsichtsbehörde ist seit Kriegsbeginn am 24. Februar noch keine Goldgräberstimmung angekommen.“

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Tatsächlich scheinen die Energie-Unternehmen die politische und gesellschaftliche Stimmung genau zu beobachten. Sollte wegen der „geopolitischen Lage eine Erhöhung der heimischen Produktion angestrebt werden“, sei man dazu bereit, die eigene technische Expertise zur Verfügung zu stellen, teilt ein Sprecher von Wintershall Dea mit, einem von vier großen Unternehmen, das in Deutschland Erdgas fördert. Doch in dem Unternehmen fordert man Sicherheit, bevor investiert wird: „Um unseren Beitrag leisten zu können, sind wir daher auf verlässliche politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen angewiesen.“

Meike Artmann, die sich in der Bürgerinitiative „NoMoorGas“ engagiert, beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Zwar könne sie nachvollziehen, dass Habeck die Gas-Importe diversifizieren müsse, doch das heimische Gas habe eine schlechte Qualität und sei teuer zu fördern. Auch die LNG-Pläne von Habeck findet Artmann, die für die Grünen im Gemeinderat sitzt, nicht gut. „Dass Deutschland nun gefracktes Flüssigerdgas aus Katar und den USA bezieht, ist klima- und umweltpolitisch eine Katastrophe.“

Herr Habeck soll sich in die Höhle des Löwen wagen

 Andreas Rathjens, Landwirt

Ähnlich sieht das Andreas Rathjens. Der 69-jährige Landwirt engagiert sich ebenfalls in der Bürgerinitiative, schon seit 40 Jahren kämpft er gegen die heimischen Erdöl- und Erdgas-Förderung. „Je mehr man fördert, desto mehr sinkt der Boden ab“, sagt Rathjens. Auch auf seinem Hof findet er Spuren der Erdbeben, die es immer wieder gibt. Zudem hat er auf seinen Äckern Quecksilberbelastungen festgestellt. Vom neuen Erdgas-Boom, den Habeck anstrebt, hält er gar nichts. „Das muss er schon mit den Leuten vor Ort besprechen. Herr Habeck soll sich in die Höhle des Löwen wagen.“

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