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100.000 neue Sozialwohnungen sollen im Jahr in Deutschland entstehen.

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Tagesspiegel Plus

Sozialer Wohnungsbau in Deutschland: Kann Bauministerin Klara Geywitz ihre Versprechen halten?

Die Bundesregierung will 400000 neue Wohnungen pro Jahr bauen. Ein Viertel davon soll an sozial Bedürftige gehen. Sozialverbände zweifeln an der Machbarkeit des Vorhabens.

Wohnen wird immer teurer. Was lange als Großstadt-Problem galt, hat auch die ländlichen Regionen Deutschlands erreicht. In der Corona-Krise sind die Immobilienpreise um rund acht Prozent gestiegen. Steigende Grundstücks- und Immobilienpreise sowie eine Überlastung der Baubranche lassen auch die Mieten in die Höhe schießen. Die neue Bauministerin Klara Geywitz (SPD) will sich des Problems annehmen und hat dabei hohe Ziele: den sozialen Wohnungsbau fördern, dabei auf Klimaneutralität setzen und die Bauindustrie stärken. Wie kann ihr Vorhaben gelingen?

Was plant die Bundesregierung?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ging mit dem Versprechen in den Wahlkampf, seine Parteigenossin und Bauministerin Klara Geywitz soll es nun in die Tat umsetzen: Die Bundesregierung möchte den Mangel an Wohnraum durch den Bau von 400000 neuen Wohnungen im Jahr beheben. Die Besonderheit: Davon sollen 100000, also ein Viertel, sogenannte Sozialwohnungen werden. Geywitz bezeichnete das Vorhaben als „langfristiges Ziel“.

Außerdem will sie „den Bauprozess beschleunigen“ und dafür „Modelle für serielles Bauen starten“. Beim sogenannten seriellen Bauen werden vorgefertigte Baumodule vor Ort zusammengesetzt. Ein Ikea-Prinzip für den Wohnungsbau sozusagen.

Klara Geywitz ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundesministerin für Wohnen Stadtentwicklung und Bauwesen im Kabinett Scholz.
Klara Geywitz ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundesministerin für Wohnen Stadtentwicklung und Bauwesen im Kabinett Scholz.

© Andreas Klaer/PNN

Das entlastet den Bauprozess, macht ihn schneller und vermeidet auch sehr viel Baulärm und lange Bauzeiten in den Innenstädten“, sagte die Bauministerin dem Radiosender Bayern 2 Anfang des Jahres. Zudem wolle sie Gemeinden und Kommunen stärker dabei unterstützen, Flächen für Neubauten zu finden, und mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Fachkräftemangel im Bauhandwerk angehen. 

Wie sind Sozialwohnungen definiert und wer hat Anspruch darauf?

Diese Wohnungen werden staatlich gefördert, damit sie zu Preisen vermietet werden können, die weit unter den marktüblichen Mieten liegen. Vermieter dürfen mit Sozialwohnungen keinen Gewinn machen, sondern müssen sie zu einem behördlich festgelegten Preis vermieten. Damit sind unerwartete Mieterhöhungen nicht möglich. Dieser soziale Wohnraum kommt, so ist es vorgesehen, ausschließlich Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS) zugute.

Diesen können besonders Bedürftige bei ihrem lokalen Bezirks- oder Wohnungsamt beantragen, wenn ihr Haushaltseinkommen bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Für einen Single-Haushalt in Berlin liegt diese bei einem Jahreseinkommen von 16800 Euro. Ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und einem Kind darf nicht mehr als 25900 Euro jährlich verdienen, um einen WBS-Schein ausgestellt zu bekommen.

Wie groß ist der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und Sozialwohnungen in Deutschland?

Insgesamt gab es Ende 2020 in Deutschland 42,8 Millionen Wohnungen, wie aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht. Der Wohnungsbestand stieg hierzulande in den vergangenen Jahren nur minimal: „Im Vergleich zum Jahr 2010 erhöhte sich der Wohnungsbestand um 5,7 Prozent beziehungsweise 2,3 Millionen Wohnungen“, schreibt das Bundesamt. Somit kamen Ende 2020 lediglich 515 Wohnungen auf 1000 Einwohner:innen, was 20 Wohnungen mehr sind als zehn Jahre zuvor.

Plattenbau in der High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln, Symbolbild.
Plattenbau in der High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln, Symbolbild.

© imago images/Schöning

Beim Sozialen Wohnungsbau geht der Trend hingegen abwärts: Dem Bündnis „Soziales Wohnen“ zufolge haben in Deutschland mehr als elf Millionen Haushalte Anspruch auf einen WBS und damit auch auf eine Sozialwohnung. In den vergangenen Jahren ist der Bestand an Sozialwohnungen allerdings zurückgegangen. Grund dafür, ist dass die sogenannte Preisbindung nach 12 bis 20 Jahren abläuft und die Wohnungen danach in den freien Markt übergehen. Dann können Vermieter die ortsüblichen Mieten verlangen.

Wir benötigen dringend mehr Sozialwohnungen, die vor allem auch senioren- und behindertengerecht sind

Bündnis „Soziales Wohnen“

Nach Angaben der ehemaligen Bundesregierung wurden im Jahr 2020 knapp 1,13 Millionen Sozialwohnungen verzeichnet. Das sind rund 30000 weniger als noch 2019, als die Zahl der Sozialwohnungen 1,16 Millionen betrug. Das bedeutet, dass nur für etwa jeden zehnten Haushalt mit Anspruch auf eine Sozialwohnung auch eine solche existiert.

Laut dem Paritätischen Armutsbericht aus dem vergangenen Jahr sind 16,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland arm, das sind rund 13,4 Millionen Menschen – drei Millionen davon sind im Rentenalter. Sie verfügen also nur über bis zu 60 Prozent des mittleren Einkommens. Das bedeutet für einen Singlehaushalt ein Einkommen von 1126 Euro monatlich, für Alleinerziehende mit einem kleinen Kind 1463 Euro und für einen Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern 2364 Euro. Das Bündnis „Soziales Wohnen“, das unter anderem aus der Caritas und dem Deutschen Mieterbund besteht, fordert mit Blick auf die Armutszahlen „dringend mehr Sozialwohnungen, die vor allem auch senioren- und behindertengerecht sind“.

Ich befürchte, dass den Bedürftigen Versprechungen gemacht werden, die am Ende nicht eingehalten werden können. Das frustriert.

Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes

Sind die Ziele der Bundesregierung umsetzbar?

Der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, nennt die Pläne der neuen Bundesregierung „sehr ehrgeizig“. Er begrüße die Zielsetzung, zweifle aber daran, dass die vorgesehenen finanziellen Mittel für den Sozialen Wohnungsbau ausreichen würden. Bauministerin Geywitz sicherte den Bundesländern eine Milliarde Euro pro Jahr zu. „Ich befürchte, dass den Bedürftigen Versprechungen gemacht werden, die am Ende nicht eingehalten werden können. Das frustriert“, sagt Siebenkotten.

Dieser Betrag war bereits von der vorigen Bundesregierung in Aussicht gestellt worden. „Bis 2024 sind für den sozialen Wohnungsbau jährlich eine Milliarde Euro vorgesehen“, heißt es auf einer Themenseite der ehemaligen Bundesregierung. In dieser Legislaturperiode kommt noch eine Milliarde jährlich für die Förderung klimaneutralen Bauens im Rahmen des „Klimapakets für klimagerechte Sanierungen“ hinzu.

Von 2018 bis 2021 stellte der Bund insgesamt fünf Milliarden Euro für die soziale Wohnraumförderung bereit – auf ein Jahr umgerechnet sind das 1,25 Milliarden Euro. Mit dieser Förderung wurden aktuell lediglich 30000 neue Sozialwohnungen pro Jahr gebaut. Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten fürchtet, dass mit den von Geywitz einkalkulierten Fördermitteln eine Finanzierung nicht ausreichend möglich sein wird. Berechnungen des Pestel-Instituts zufolge wären nämlich für den Bau von 100000 Sozialwohnungen im Jahr Fördermittel von mehr als fünf Milliarden Euro jährlich nötig.

Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, Reinhard Quast, sieht Geywitz‘ Vorhaben als „technisch machbar“, jedoch würden Grundstücke und Baugenehmigungen fehlen. Der Engpass bestehe „auf dem Papier, nicht bei den Steinen“. Er forderte deshalb, lieber die Genehmigungsprozesse in den Bauämtern zu erleichtern. Eine bundesweit einheitliche Regelung darüber, wie lange Baugenehmigungsverfahren dauern dürfen, gibt es nicht. Die Dauer kann von Faktoren wie der Lage oder bundeslandspezifischen Regelungen abhängen.

Wie kann sichergestellt werden, dass die Wohnungen wirklich an Bedürftige vermietet werden?

Im Wohnraumförderungsgesetz ist festgeschrieben, wem der soziale Wohnungsbau zugutekommen soll: So sind die Zielgruppe „Haushalte mit geringem Einkommen sowie Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwangere, ältere Menschen, behinderte Menschen, Wohnungslose und sonstige hilfebedürftige Personen“.

 Was ist, wenn Leute sozial aufsteigen und in den Wohnungen bleiben?

Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes

Mieterbundpräsident Siebenkotten sieht in Anbetracht der noch geringen Zahl an Sozialwohnungen und der „Dunkelziffer“ an Bedürftigen, die Anspruch auf einen WBS-Schein hätten, ihn aber nicht beantragen, ein Problem. „Was ist, wenn Leute sozial aufsteigen und in den Wohnungen bleiben?“ Er spricht sich dafür aus, dass die lokalen Behörden regelmäßiger und konsequenter den Anspruch auf einen WBS-Schein kontrollieren sollten. Siebenkotten erkenne auch das Argument an, dass durch den Aufstieg einiger WBS-berechtigter die soziale Vielfalt in geförderten Bausiedlungen vergrößert würde. „Im Streitfall bin ich dafür, dass die besserverdienende Person aus der Wohnung ausziehen muss.“

Welche Standards sind in Sachen Barrierefreiheit notwendig?

Janina Bessenich, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, wünscht sich, dass zehn Prozent der Sozialwohnungen per Quote verpflichtend an Menschen mit Behinderung vergeben würden. Aufgrund des Mangels an Sozialwohnungen und der häufig begrenzten Kapazitäten von Pflegeeinrichtungen, müssten Menschen mit Behinderung oft weiter bei Familienangehörigen wohnen bleiben. Behindertengerechte, barrierefreie Wohnungen auf dem freien Markt seien für viele Menschen mit Behinderung aufgrund der Größe und baulicher Besonderheit zu teuer.

Barrierefreies Wohnen ist immer auch altersgerechtes Wohnen.

Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas

Außerdem wünscht Bessenich sich höhere Anforderungen an die Barrierefreiheit im sozialen Wohnungsbau. „Die meisten Sozialwohnungen sind barrierearm und erfüllen damit moderne Anforderungen. Allerdings sind diese Wohnungen noch nicht komplett barrierefrei.“ Bessenich kritisiert, dass beim Bau mehr mitgedacht werden müsse als nur Raumgrößen und Fahrstühle. „Zu beachten gilt es, wie hoch die Fenster sein müssen, auf welcher Höhe Anschlüsse verbaut werden sollten, damit Menschen mit Einschränkung an sie herankommen.“

Wenn es zu eng wird mit dem Rollstuhl.
Wenn es zu eng wird mit dem Rollstuhl.

© dpa / kiono - stock.adobe.com

Bessenich befürchtet allerdings, dass aufgrund der möglicherweise knappen Geldressourcen, die auch andere Verbände kritisieren, Standards bei der Barrierefreiheit und beim behindertengerechten Wohnen vernachlässigt werden könnten. „Dabei ist barrierefreies Wohnen auch immer altersgerechtes Wohnen.“

Da von den rund 16 Millionen Menschen in Deutschland, die als arm bezeichnet werden können, drei Millionen im Rentenalter und von den acht Millionen Schwerbehinderten in Deutschland auch die allermeisten Senioren sind, seien gerade die älteren Menschen in unserer Gesellschaft die Zielgruppe für Sozialwohnungen. Laut Statistischem Bundesamt war 2019 etwa ein Drittel (34 Prozent) der schwerbehinderten Menschen 75 Jahre und älter. 44 Prozent gehörten der Altersgruppe von 55 bis 74 Jahren an.

Werden die Wohnungen klimaneutral gebaut?

„Wir müssen mehr bauen, gleichzeitig das Klima schützen und den Flächenverbrauch reduzieren“, sagte Geywitz am vergangenen Mittwoch im Bauausschuss. Doch wie genau der Klimaschutz beim Bau der Wohnungen umgesetzt werden soll, ist noch offen. Geywitz will möglichst schnell mit den Bundesländern verhandeln, mit welchen Standards klimaneutrales Bauen umgesetzt werden könne.

Die Bauindustrie gilt als einer der größten CO2-Emittenten.
Die Bauindustrie gilt als einer der größten CO2-Emittenten.

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Ziel sei es, die Treibhausgasemissionen im Bauprozess zu reduzieren. In der Baubranche bestehen bezüglich dieser Vorhaben Bedenken. So befürchtet der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) etwa, dass hohe Ansprüche an Klimaneutralität, der damit verbundene Aufwand und die Kosten Investoren abschrecken könnten, in Neubauten zu investieren.

Der meistgenutzte Baustoff ist weiterhin Beton beziehungsweise Zement. In Deutschland werden jährlich rund 27,5 Millionen Tonnen Zement verbaut. Pro Tonne werden 587 CO2-Äquivalente emittiert. Weltweit betrachtet, produziert die Baubranche 38 Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Deshalb hatte die Zementbranche angekündigt, bis 2025 klimaneutral werden zu wollen. Alternativ kann auf CO₂-arm produzierten Stahl und Holz zurückgegriffen werden, die allerdings in der Herstellung teurer sind als Beton.

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