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Ineza Umuhoza Grace

© Privat

Verlust und Verantwortung: Zahlen die Falschen den Preis für den Klimawandel?

Viele ärmere Länder haben kaum zur Klimakrise beigetragen, leiden aber schon am stärksten. Von den Industriestaaten erwarten sie mehr Unterstützung.

Schon heute führt der Klimawandel zu massiven Schäden in vielen Ländern. Ineza Umuhoza Grace aus Ruanda hat erlebt, was das bedeutet. „Meine Familie hatte ein kleines gemütliches Haus im Norden des Landes“, erzählt die 25-Jährige in einem Videotelefonat. Nach tagelangem Starkregen kam es eines Nachts zu Erdrutschen, Häuser im Dorf wurden verschüttet. Ihre Familie konnte sich gerade noch rechtzeitig retten, andere Dorfbewohner starben im Schlaf.

Wetterextreme haben sich in den vergangenen 50 Jahren nach Angaben der UN-Weltorganisation für Meteorologie (WMO) verfünffacht. Umgerechnet entstanden dadurch Schäden in Höhe von 202 Millionen Dollar am Tag. Wissenschaftler prognostizieren, dass durch die Erderwärmung Stürme, Starkregenfälle oder Hitzewellen häufiger vorkommen werden. Auch Deutschland erlebte das in diesem Sommer: Bei Überschwemmungen im Westen der Republik starben mehr als 180 Menschen. Die Kosten für den Wiederaufbau liegen bei 30 Milliarden Euro.

Die Schäden sind gravierend, die Verluste unersetzlich.

Ineza Umuhoza Grace, Loss and Damage Youth Coalition

Doch was passiert, wenn Länder finanziell nicht in der Lage sind, die Folgen klimatischer Veränderungen zu stemmen? Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow wird diese Frage unter dem Stichwort „Verluste und Schäden“ („Loss and Damage“) diskutiert.

Es ist ein heikles Thema, da es die Frage nach der Verantwortung für die Erderwärmung aufwirft: Viele der Länder, die schon heute am stärksten unter der Klimakrise leiden, haben am wenigsten dazu beigetragen. Das gilt nicht nur historisch gesehen, sondern auch heute: In Ruanda etwa liegt der CO2-Ausstoß pro Kopf laut Weltbank bei 0,1 Tonnen, während es in Deutschland 8,6 Tonnen sind. Die ärmeren Länder fordern daher mehr Unterstützung von den Industriestaaten.

Mit ihrer Organisation „Green Fighters“ klärt Ineza Umuhoza Grace Schülerinnen und Schüler in Ruanda über die Folgen des Klimawandels auf.
Mit ihrer Organisation „Green Fighters“ klärt Ineza Umuhoza Grace Schülerinnen und Schüler in Ruanda über die Folgen des Klimawandels auf.

© Privat

Die Ruanderin Grace ist dafür eigens nach Glasgow gereist. Sie hat in ihrer Heimat die Organisation „Green Fighters“ gegründet, mit der sie an Schulen über den Klimawandel aufklärt. Sie engagiert sich außerdem in der „Loss and Damage Youth Coalition“ – einem Bündnis von Jugendorganisationen, das auf die Probleme in den jeweiligen Ländern aufmerksam machen und Druck auf die internationale Politik ausüben will.

Bei den letzten Starkregenfällen in Ruanda seien viele Menschen gestorben, Straßen und Teile der Infrastruktur zerstört worden. „Die Schäden sind gravierend, die Verluste unersetzlich“, sagt Grace. Ein weiteres Problem: Das Geld, das für den Wiederaufbau nötig ist, fehlt in dem ostafrikanischen Land an anderer Stelle – etwa für den Bau von Schulen oder Krankenhäusern. Der Klimawandel führt dazu, dass nachhaltige Entwicklung langsamer vorankommt.

Und er hat Auswirkungen auf das Wachstum: Diesen Zusammenhang hat die Klima-Analytikerin Marina Andrijevic von der Humboldt-Universität in Berlin untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass den Staaten, die am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffenen sind, ein drastischer klimabedingter Einbruch ihrer Wirtschaftskraft droht.

Überschwemmungen in Ruandas Hauptsadt Kigali im Mai 2020.
Überschwemmungen in Ruandas Hauptsadt Kigali im Mai 2020.

© imago images/Xinhua

Die Wissenschaftlerin hat die Konsequenzen für 65 arme Länder und kleine Inselstaaten modelliert. Bis 2050 drohe im Schnitt ein Rückgang ihres Bruttoinlandsprodukts um 19,6 Prozent. Selbst wenn der globale Temperaturanstieg wie im Pariser Klimaabkommen verabredet auf 1,5 Grad begrenzt würde, käme auf diese Länder immer noch ein Minus der Wirtschaftsleistung von 13 Prozent zu. Besonders stark leidet laut der Untersuchung Afrika: Dort befinden sich acht der zehn am stärksten betroffenen Länder.

Irreversible „Verluste“ durch den Klimawandel: Das betrifft Menschenleben, aber beispielsweise auch die Inselgruppen, die durch den steigenden Meeresspiegel unterzugehen drohen. Die Weltbank schätzt, dass in den nächsten 30 Jahren weltweit bis zu 143 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden könnten, weil die Auswirkungen auf ihren Lebensraum so dramatisch sein werden.

Bisher sind die Verabredungen zum Thema „Loss and Damage“ , die auf den vergangenen Klimakonferenzen getroffen wurden, eher vage. Artikel 8 des Pariser Klimaabkommens, in dem es um „Verluste und Schäden“ geht, beinhaltet keine Haftung und Entschädigung, nicht zuletzt aus Sorge, dass einzelne Länder verklagt werden könnten.

Neue Bewegung in die Debatte brachte auf der COP26 die Gastgeberin: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sagte zu, dass Schottland als erstes Land überhaupt eine Million Pfund für „Verluste und Schäden“ zur Verfügung stellen werde.

Bisher geben die reicheren Länder Zuschüsse und vor allem Kredite, mit denen Klimaschutz-Projekte bezahlt werden, um Emissionen zu senken. Geld fließt außerdem in Anpassung an den Klimawandel. Für schnelle Unterstützung im Katastrophenfall – etwa nach Stürmen oder Starkregen – gibt es abgesehen von der internationalen Nothilfe keine eigene Finanzierung.

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Neben den Finanzen geht es um organisatorische Unterstützung. Auf der letzten Klimakonferenz in Madrid wurde das „Santiago Netzwerk“ gegründet, das eine internationale Koordinierungstelle für Verluste und Schäden schaffen soll. Diese könnte Länder unter anderem beraten, wie sie sich besser auf Extremwetter vorbereiten können.

Jürgen Zattler, Abteilungsleiter für Klimaschutz im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), sieht hier „kleine Fortschritte“. Beim nächsten Klimatreffen in Bonn solle es darum gehen, wie das „weiter operationalisiert“ werde.

Vom Gipfel in Glasgow erhofft er sich darüber hinaus ein klares Signal: „Die Industrieländer sollten zeigen, dass sie offen für ernsthafte Diskussionen sind.“ Aus Sicht der Ruanderin Grace wäre das ein Signal, das überfällig ist.

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