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Solarenergie, wie hier im marokkanischen Noor, hat in Afrika hervorragende Voraussetzungen.

© mauritius images / Alamy Stock Photos / Jerónimo Alba

Unter erneuerbarem Strom: Mit aller Kraft aus der Energiearmut

Die Bevölkerung des Kontinents wächst, die Menschen suchen nach Wegen aus der Armut. Viele Staaten Afrikas werden bald erheblich mehr Energie benötigen.

Die weißen steinernen Häuser Lamus liegen nur knapp über dem Meeresspiegel. Eine kleine Hafenpromenade trennt die Altstadt der Insel im Norden Kenias vom indischen Ozean. Manche Häuser mit ihren Palmwedel-Dächern ragen fast bis an die Wasserkante. Das Unesco-Weltkulturerbe mit der besterhaltenen Suaheli-Siedlung Ostafrikas ist vom Klimawandel bedroht. Uralte Mangroven wachsen rundherum. Und ausgerechnet dort soll ein gewaltiges Kohlekraftwerk entstehen, ein Milliarden-Projekt fossiler Energie?

Umweltorganisationen und Bevölkerung leisteten Widerstand – mehr als die Politik erwartet hatte. Jahrelang erlitt das Projekt Rückschläge, auch vor Gericht, Investoren zogen sich zurück. Während in Glasgow im November Staatschefs über Klimapolitik verhandelten, verfiel für das Kraftwerk ein großer Stromabnahmevertrag. Es könnte endgültig scheitern. Ist Lamu also Teil einer Wende hin zu erneuerbaren Energien in Afrika?

Der Kontinent wird erheblich mehr Energie brauchen

Die Bevölkerung in Afrika wächst rasant, 1,3 Milliarden Menschen leben auf dem Kontinent, um die Jahrhundertmitte könnten es über zweieinhalb Milliarden sein. Viele Millionen Menschen haben bislang keinen Zugang zu Strom. Länder wie Nigeria, Kenia, Tansania, Ghana oder der Senegal entwickeln sich rasant und werden bald erheblich mehr Energie benötigen. Die Sorge, dass sie die Lücken mit fossiler Energie füllen, ist unter Klimaexperten groß.

Die Altstadt von Lamu, das Unesco-Weltkulturerbe mit der besterhaltenen Suaheli-Siedlung Ostafrikas, ist vom Klimawandel bedroht.
Die Altstadt von Lamu, das Unesco-Weltkulturerbe mit der besterhaltenen Suaheli-Siedlung Ostafrikas, ist vom Klimawandel bedroht.

© imago images/VWPics

„Die Klimaschutzziele wären nicht zu halten, wenn die Länder sich mit fossiler Energie industrialisieren“, sagt Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group. Mit seinen Sorgen ist der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen und Autor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht allein.

„Die Notwendigkeit zum Handeln ist jetzt sehr groß“, sagt Jan Steckel, Klimawissenschaftler am Mercator Research Institute in Berlin. Wenn der Ausbau der afrikanischen Energiesysteme zu den Klimazielen passen soll, sind deutlich mehr Erneuerbare notwendig. Doch wie kann das gelingen?

Nach Glasgow sollte es schwierig werden, eine Finanzierung für fossile Energie-Projekte, vor allem Kohle, zu bekommen.

Jan Steckel, Klimawissenschaftler am Mercator Research Institute in Berlin

Den Beschluss der Weltklimakonferenz, schrittweise aus der Kohle auszusteigen, fanden Aktivisten zu halbherzig. Doch Steckel glaubt, dass der Gipfel für die fossilen Energien eine Bremse gewesen sein könnte, weil das Signal an Investoren deutlich genug war. „Nach Glasgow sollte es schwierig werden, eine Finanzierung für fossile Energie-Projekte, vor allem Kohle, zu bekommen“, sagt er.

Für erneuerbare Energien bestehen beste Voraussetzungen

Das könnte die Tür für den Ausbau regenerativer Energien öffnen. „Angesichts der Unterentwicklung des Kontinents und der weit verbreiteten Armut wird der Westen erhebliche Unterstützung leisten müssen, Afrikas Energiesysteme mit Erneuerbaren Energien zu entwickeln“, sagt Fell.

Für Solarkraftwerke bestehen in Afrika beste Voraussetzungen.
Für Solarkraftwerke bestehen in Afrika beste Voraussetzungen.

© Schott/picture alliance/dpa

Gerade für die Solarenergie bestehen in Afrika beste Voraussetzungen. In der ägyptischen Aswan-Wüste etwa steht seit einigen Jahren der Solarpark Benban, einer der größten der Welt, der mehr Energie erzeugt als ein deutsches Atomkraftwerk. Allerdings sind die Hürden beim Ausbau erneuerbarer Energien in vielen Staaten erheblich höher als in westlichen Industrieländern.

Fehlende Stromnetze, Energiespeicher und notwendige Technik hemmen den Ausbau

Während hierzulande gestritten wird, ob zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen reserviert werden, beginnen die Fragen für Investoren in Afrika bereits bei der Einschätzung der langfristigen Lage vor Ort. „Das betrifft die Stabilität der Region, die Sicherheit, die politische Planbarkeit im Land“, sagt Steckel.

Jahrzehntelang sei auch bei Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken viel geplant und wieder abgesagt worden. Das könne nun ebenso gut regenerative Projekte treffen. Oft reiche ein Regierungswechsel und prompt fänden andere Projekte eine Bevorzugung.

Der Westen erhebliche Unterstützung leisten müssen, Afrikas Energiesysteme mit Erneuerbaren Energien zu entwickeln.

Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group in Berlin

Auch fehlende Stromnetze, Energiespeicher und notwendige Technik für Erneuerbare hemmen den Ausbau. Während in Europa die Stromnetze von Portugal bis Rumänien und Sizilien bis Norwegen miteinander verbunden sind, bestehen in Afrika kaum Netze über Ländergrenzen hinweg. Selbst innerhalb eines Landes sind sie begrenzt.

Und den Regierungen fehlt oft das Vertrauen in erneuerbare Energien. „Die Entscheidungsträger vor Ort müssen an die Beherrschbarkeit der Energieform im lokalen Kontext glauben“, sagt Steckel. Wenn große Öl-, Kohle- und Gaskraftwerke zuverlässiger scheinen als Windräder und Solarpanel, ist auch ein Mentalitätswandel notwendig.

Zugeständnisse beim Aufbau der Energiesysteme

Steckel hält aber auch Zugeständnisse beim Weg aus der Energiearmut für notwendig. Aktivisten und Politiker verweisen auf den geringen CO2-Ausstoß Afrikas, an den historischen Emissionen, also den jemals durch menschliches Tun produzierten Treibhausgasen, haben ihre Staaten einen verschwindend geringen Anteil.

Schwellenländer wie Nigeria pochen auf ihrem Weg, frei von Kohlendioxid zu werden, auch auf die Nutzung von Erdgas. Experten für Entwicklungspolitik geben ihnen immer wieder Recht. „Sauber gewonnenes Erdgas könnte in manchen Ländern eine Brücke sein“, sagt auch Steckel.

Dass der Ausbau der Erneuerbaren in Afrika drängt, hat nicht nur mit den Klimazielen zu tun. Es liegt längst auch am Klimawandel selbst. Viele afrikanische Länder setzen auf Wasserkraft. In Nigeria etwa erzeugen Wasserkraftwerke bis zu 20 Prozent des heimischen Stroms, in Ghana sind es rund 40 Prozent. Doch durch Dürren und abnehmende Niederschläge führen die Stauseen weniger Wasser und erzeugen folglich weniger Energie. Es macht den Ausbau von Windkraft und Solarenergie umso wichtiger.

Die Widerstände etablierter Akteure

Ein Blick nach Südafrika zeigt, dass dabei auch Widerstand zu erwarten ist. Fast 90 Prozent seines Stroms gewinnt das Land aus Kohle, dem CO2-intensivsten Energieträger unter den fossilen. Zulieferer stellen Technik bereit, Wartungsfirmen reparieren die Infrastruktur, Transportunternehmen befördern die Kohle. Es geht um zehntausende Jobs, die an der Industrie eines Landes mit extrem hoher Arbeitslosigkeit hängen. Auch der Finanzsektor rund um die Kohle ist groß.

Starke Lobby: Zulieferer, Wartungsfirmen und Transportunternehmen verdienen ebenfalls an der Kohlenergie.
Starke Lobby: Zulieferer, Wartungsfirmen und Transportunternehmen verdienen ebenfalls an der Kohlenergie.

© imago images/Greatstock

„Man kann den Widerstand aufbrechen, indem man finanzielle Kompensation anbietet“, sagt Steckel. Auch dafür sei Südafrika ein Beispiel. Im November schlossen die EU, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die USA mit Südafrika eine Energie-Partnerschaft. 8,5 Milliarden Euro erhält das Land, damit Kohlekraftwerke geschlossen werden und die Wirtschaft dekarbonisiert wird. „Warum sollte es in Südafrika auch anders funktionieren als in Deutschland?“, fragt Steckel. Für den Strukturwandel in den Kohleregionen stellt die Bundesregierung bis zu 40 Milliarden Euro zur Verfügung.

„Der Westen muss Strukturen aufbauen“

Nur 46 Prozent der afrikanischen Bevölkerung haben Zugang zu Strom, heißt es in einer aktuellen Studie der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (Irena). Vor allem ländliche Regionen sind betroffen. Gerade dort muss die Energieversorgung auch ohne Netzzugang bereitgestellt werden. Die Irena-Studie hebt Kleinnetze von erneuerbaren Energien hervor - etwa Strom aus Solaranlagen oder Windrädern für lokale Gemeinden.

„Gerade in Afrika ist die dezentrale Energieversorgung wichtig“, sagt der Energie-Experte Fell. Er denkt bei nicht nur an die lokale und regionale Nutzung von Windrädern oder Solaranlagen, sondern auch an Kleinwasserkraft, Bioenergie und Geothermie. Also etwa an Erdwärme, die sich mit Hilfe von Anlagen in Strom umwandeln lässt.

Es brauche Strukturen für Mikrokredite, beispielsweise kleine Banken vor Ort, um Projekte lokal zu finanzieren. „Der Westen wird gefordert sein, dort mit Geld reinzugehen. Nicht unbedingt mit Krediten oder Spendengeldern – er muss Strukturen aufbauen.“ Auch Steckel sieht das Problem. Es fehle an Programmen, um kleine Netze aufzubauen. „Es ist wichtig, die Probleme der Ärmsten anzugehen. Dort muss man anfangen, denn hunderte Millionen Menschen haben gar keine Energie.“

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