zum Hauptinhalt

© / Martha von Maydell/mvmpapercuts.de

Die Philosophie der Vergesellschaftung: Wohneigentum als Geldanlage ist schon fast Zweckentfremdung

In Berlin will ein Volksbegehren Immobilienunternehmen wie die Deutsche Wohnen enteignen. Viel spricht dafür, dass so Freiheiten gewonnen werden.

Von
  • Daniel James
  • Heiner Koch
  • Esther Neuhann
  • Tim Wihl

| Update:

Eingriffe ins Privateigentum stellen eine Beschneidung individueller Freiheiten dar. Das scheint aus liberaler Perspektive klar zu sein, und so erscheint auch das vom Berliner Senat angenommene Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ kritikwürdig. Bei genauerem Hinsehen verhält es sich jedoch komplexer. Zu dieser Komplexität gehört zwar, dass man die Vergesellschaftung, die Gegenstand des Volksbegehrens ist, auch unter ökonomischen und moralischen Gesichtspunkten betrachten kann. Uns geht es hier aber lediglich um den Gesichtspunkt der Freiheit.

Vor dem 18. Jahrhundert wurde Eigentum nur selten mit Freiheit in Verbindung gebracht. Noch dem Philosophen John Locke ging es hauptsächlich darum, zu zeigen, dass es legitimes Privateigentum gibt, obwohl Gott den Menschen die Erde als Gemeinschaftseigentum übergeben habe. Für Johann Gottlieb Fichte dagegen war privates Eigentum notwendig, um überhaupt frei handeln zu können. G.W.F. Hegel ging so weit zu behaupten, dass persönliche Freiheit und die Anerkennung als Eigentümer (ihm zufolge hatten nur Männer ein Recht auf Eigentum) ein und dasselbe seien.

Nehmen wir an, eine Berlinerin will am Wochenende ihren Balkon bepflanzen. Sie misst die Blumenkästen aus und notiert sich, wie viel Erde und Samen sie besorgen muss. Fichte und Hegel meinen nun, dass sie ihr frei gewähltes Ziel nur erreicht, wenn ihr niemand dazwischenfunkt. Eine Störung des Handlungsvollzugs wäre etwa, dass jemand die Kästen durch größere ersetzt, für die die berechnete Menge an Blumenerde nicht ausreicht.

Was sie mit dem Balkon macht, muss also ihr selbst überlassen bleiben. Sie kann ihr Ziel, den Balkon zu bepflanzen, letztlich nur erreichen, weil es sich um ihren eigenen Balkon handelt und sie mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dass sich dies bis zum Wochenende nicht ändern wird. Hieraus könnte man folgern, dass Menschen das Recht auf Privateigentum haben, um ihre persönliche Freiheit zu verwirklichen.

Wohnungseigentum mit dem Zweck der Geldanlage ist entfremdet

Mit Blick auf das Wohnen stehen, wie die Philosophin Annabelle Lever betont, all die persönlichen Freiheiten im Zentrum, die mit Privatheit zu tun haben: Rückzug, Alleinsein, Anonymität und Intimität. Das Balkon-Beispiel zeigt allerdings auch, dass es vor allem um die Nutzung von Gütern geht, die nicht nur durch das Privateigentum im Besonderen, sondern auch durch Mieten gewährleistet werden könnte.

Anders sieht es bei Wohnungen aus, die sich zwar in privatem Besitz befinden, von den Eigentümern aber nicht selbst genutzt, sondern nur als Geldanlage verwendet werden. Während persönliches Eigentum eng an die Freiheiten gebunden ist, die mit seiner zweckhaften Nutzung verbunden sind, könnte man sagen, dass Wohnungseigentum mit dem Zweck der Geldanlage entfremdet ist. Es weist nur einen mittelbaren Bezug zur Realisierung persönlicher Ziele auf. Für die Anlegerin ist es letztlich egal, ob sie durch den Erwerb einer Wohnung oder Bitcoins ihr Vermögen mehrt. Daher sind die jeweils gewährten Freiheiten von unterschiedlicher Qualität.

Der Eingriff in die Freiheit, eine Wohnung als Wohnraum zu nutzen, ist im Gegensatz zu derjenigen, eine Wohnung als Wertanlage zu nutzen, existenziell. Denn als Wohnraum genutzt, betrifft sie unmittelbar die Gestaltung des eigenen Lebens. Damit möchten wir nicht sagen, dass jede nicht selbst bewohnte Eigentumswohnung besser vergesellschaftet werden sollte. Es macht einen großen Unterschied, ob eine einzelne Wohnung als private Altersvorsorge oder aber von einem Großkonzern zur Erwirtschaftung von Renditen genutzt wird. Dennoch wiegt die fragliche Freiheit anders als die, die mit der unmittelbaren Nutzung einhergeht.

Eine ähnliche Sensibilität beweist das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Eigentumsgrundrecht: Verfassungsmäßiges Eigentum soll gesellschaftlichen Zwecken dienen. Gerade weil es also keinen Selbstzweck darstellt, sind verschiedene Gegenstände und die Beziehungen der Verfügung über sie unterschiedlich stark geschützt.

Erschöpft sich Eigentum in der Befugnis, über eine Sache zu verfügen?

Man muss Karlsruhe zufolge stets fragen: Ermöglicht ein bestimmter Gegenstand eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens? Wie stark tut er das? Ist er der eigenen Entfaltung nützlich, oder erschöpft sich das Eigentum in der bloßen Befugnis, über eine Sache zu verfügen?

Das Bundesverfassungsgericht hat sogar ein grundrechtliches Eigentum der Mieter:innen an ihrer Mietwohnung anerkannt, weil es um deren Lebensmittelpunkt geht. Damit stehen sich zwei gleichwertige Positionen gegenüber. Es ist am Gesetzgeber, die Konflikte zu lösen, ohne dass bürgerlich-rechtliches Privateigentum stets Vorrang hätte.

Daraus folgt, dass der Gesetzgeber auch entscheiden kann, das für einzelne Personen existenzielle und für die Konzerne entfremdete Wohneigentum zu „enteignen“, wenn die Verhältnisse am Mietmarkt aus dem Lot geraten sind. Denn das Marktprinzip selbst ist nicht verfassungsrechtlich geschützt, wie Art. 15 GG veranschaulicht. Karlsruhe spricht daher von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes.

Dass im Alltagsbewusstsein Privateigentum mit Freiheit in Verbindung gebracht wird, dürfte insbesondere den früheren Auseinandersetzungen zwischen kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftsmodellen geschuldet sein. Privateigentum und politische Freiheiten wurden dabei oft als Charakterisierungen „freier“ Gesellschaften gesehen. In der daraus folgenden, oft ideologisierten Debatte geraten aber wichtige Punkte aus dem Blick.

Erstens bedeutet Privateigentum schon begrifflich für viele hauptsächlich die Einschränkung von Freiheit und gerade nicht deren Ermöglichung. Schon im römischen Recht wurde Privateigentum als Ausschluss anderer von der Nutzung einer Sache verstanden. Heutzutage ist dies im Alltagsverständnis nicht mehr so klar verankert.

Privaten Besitz schützt der Staat notfalls mit Gewalt

Der Philosoph Gerald A. Cohen hat dies am Beispiel der fiktiven Yacht eines gewissen Herrn Morgan veranschaulicht. Wenn jemand anders als Herr Morgan die Yacht für einen Ausflug nutzen möchte, sorgt der Staat dafür, dass niemand dies tun kann. Die entsprechende Freiheit wird nötigenfalls mit Gewalt eingeschränkt.

Noch deutlicher wird dies bei dem Aufwand, der betrieben werden muss, um geistiges Eigentum an Impfstoffen, Medikamenten, Saatgut, Filmen oder Musik durchzusetzen. Patente, Überwachung, Kontrollen, Kopierschutz, internationale Abkommen und eine harte zivil- und strafrechtliche Verfolgung waren nötig, um die Freiheit, diese Güter einfach nutzen zu können, zu verhindern.

So könnte auch Herr Morgan für sich alleine die Nutzung der Yacht durch andere ähnlich schlecht verhindern, wie die Aktionäre und der Vorstand von Vonovia Menschen daran hindern könnten, ihre Wohnungen zu nutzen oder keine Miete zu zahlen. Eigentum ist somit stets eine Frage der Verteilung von Freiheit und Unfreiheit, die institutionell abgesichert werden muss. Man sollte daher fragen, ob und in welchem Maße die Vergesellschaftung von Immobilien wirklich ausschließlich ein Freiheitseingriff ist, oder ob durch sie nicht vielmehr Freiheiten gewonnen werden können.

Zweitens ist Privateigentum nicht die einzige Regelung, mit der Freiheiten garantiert werden können. Der Philosoph Daniel Loick weist darauf hin, dass es in der liberalen Tradition seit Locke so erscheint, als ob die Nutzung einer Sache nur sinnvoll möglich sei, wenn Privateigentum an ihr besteht. Bei Lebensmitteln, die während ihrer Nutzung verbraucht werden, mag dies eine gewisse Plausibilität haben.

Gemeinschaftlich genutzte Güter brauchen Regeln

Bei Dingen, die durch ihre Nutzung nicht aufgebraucht werden, ist dies nicht sehr überzeugend. Wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom gezeigt hat, erfordern Güter, die gemeinschaftlich genutzt werden, oft nur eine gemeinsame Regelung, wie diese genutzt werden sollen.

Auch im Falle von Immobilien braucht es kein Eigentum, um die Freiheiten genießen zu können, die mit einer Wohnung einhergehen. Gibt es kein Privateigentum an der Immobilie, benötigt man nur eine Regelung über deren Nutzung. Diese kann auch zeitweise ausschließlich sein. Die Vergesellschaftung privater Immobilien steht der Freiheit, die mit der Nutzung von Wohnraum einhergeht, zumindest nicht im Wege.

Drittens ist ein freiheitseinschränkender Missstand, dem die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen, Vonovia und anderen Immobilienunternehmen direkt entgegenwirken möchte, die Tatsache, dass immer mehr Mieter:innen einen wachsenden Prozentsatz ihres Nettoeinkommens für Miete ausgeben müssen. In unserer Gesellschaft bedeutet es weniger Freiheit, wenn ein Großteil des monatlich verfügbaren Betrags für die Miete reserviert ist.

Wenn ein alleinstehender Kassierer mit einem Nettoeinkommen von 1300 Euro 700 Euro für eine 1,5-Zimmer-Wohnung in Innenstadtlage ausgeben muss, dann bleiben oft nur wenige Hundert Euro übrig, über die er frei verfügen kann: Seine Freiheit, die jüngst wiedereröffnete Außengastronomie zu genießen oder mal wieder in den Urlaub zu fahren, ist stark eingeschränkt.

Nun könnte man erwidern, dass er sich ja auch für eine günstigere Wohnung in einer weniger beliebten Lage entscheiden könnte. Dort sind die Mieten jedoch ebenfalls deutlich gestiegen. Außerdem geht dies mit anderen, die Freiheit betreffenden Kosten einher. Er muss etwa Zeit und Geld fürs Pendeln einsetzen, und er und seine Kinder müssen auf Infrastruktur und Sozialkontakte verzichten. Die Marktpreise entfalten hier offenkundig eine Zwangswirkung.

Rebellisch. Unterstützer;innen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ bringen Kisten mit Unterschriften für einen Volksentscheid zur Enteignung von großen Immobilienunternehmen zur Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Juni 2021). 
Rebellisch. Unterstützer;innen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ bringen Kisten mit Unterschriften für einen Volksentscheid zur Enteignung von großen Immobilienunternehmen zur Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Juni 2021). 

© dpa / Christophe Gateau/dpa

Das drückt sich in Verdrängung aus angestammten Kiezen aus. Demgegenüber fällt der Freiheitsverlust der durchschnittlichen Vonovia-Aktionär:innen (die oft nicht einmal Privatleute sind) durch geringere Mieteinnahmen oder einen Kurs- und Dividendenverlust weit weniger ins Gewicht: Wegen des beschriebenen Entfremdungseffektes – und weil hier Einkommensverluste auf niedrigem Niveau viel stärker spürbar sind als bei Reicheren.

Viertens schließlich ist es ein zentrales Ziel der Vergesellschaftung, „die Mitbestimmung und Kontrolle der Mieter:innen“ auszubauen, indem sie die fraglichen Häuser in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt und dadurch unter demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter:innen zu verwalten erlaubt. Auch diese Forderung nach mehr Mitbestimmung kann auf die Ausweitung menschlicher Handlungsfreiheit – diesmal gemeinsamer Freiheit – hinauslaufen. Denn nicht nur im privaten, sondern auch im staatlichen Wohnungssektor haben Mieter:innen bisher kaum Mitspracherechte.

Durch die Vergesellschaftung wird die Mitbestimmung und Kontrolle der Mieter:innen deutlich ausgebaut. Mieter:innen könnten, wenn es um Sanierung und Klimaschutz, um Gemeinschaftsräume, um Hofbegrünung und Kinderspielplätze, um barrierefreie Wohnungen und alternative Wohnformen geht, frei mitentscheiden - mehr Menschen würden Verantwortung für ihr Umfeld übernehmen. Auch das wäre im wohlverstandenen Sinne liberal.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false