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Tech-Aktien stehen aktuell besonders stark unter Druck. Reißen sie wie zur Jahrtausendwende den gesamten Markt nach unten?

© AFP / Michael M. Santiago

Angst an den Börsen: Was für fallende Kurse an den Märkten und gegen einen Crash spricht

An den Märkten herrscht Angst, vor allem Tech-Aktien fallen. Das weckt Erinnerungen an das Platzen der Dotcom-Blase. Doch es gibt entscheidende Unterschiede zur Panik von damals.

An den Aktienmärkten herrscht Ausverkaufsstimmung. Nach den unerwartet hohen Inflationszahlen aus den USA von Freitag fielen die Kurse auch zum Wochenauftakt weiter. Die Angst vor einem Crash ist zurück. Der deutsche Leitindex Dax fällt am Montag weiter und unterschritt zeitweise die Marke von 13.500 Punkten. Vor Wochenfrist waren es noch 1000 Punkte mehr.

Weltweit stehen vor allem Technologieaktien unter Druck. Der US-Tech-Index Nasdaq Composite, in dem 3000 Unternehmen, meist Wachstumsfirmen, gelistet sind, schloss die vergangene Woche mit dem größten Minus seit Mitte Januar ab. Der Jahresverlust liegt nunmehr bei 27 Prozent.

Und Experten sehen weiteres Abwärtspotenzial. Jim Cramer, ehemaliger Hedgefonds-Manager und nun Experte beim Börsensender CNBC, warnt Aktionäre: „Wenn Ihre Aktie keine Unterstützung durch Dividendenzahlungen hat und kein angemessenes Verhältnis von Unternehmensgewinnen und Bewertung – vorausgesetzt, es gibt überhaupt Gewinne –, gibt es gerade keinen Boden.“

Marktbeobachter haben die Sorge, dass die fallenden Tech-Werte den gesamten Markt mit sich reißen – so wie zur Jahrtausendwende, als die Internetblase an der Börse platzte. Damals verlor der Nasdaq-Index mehr als 70 Prozent an Wert, der marktbreite US-Index S&P 500 gut 50 Prozent. Das wirkte sich auf die Aktienmärkte weltweit aus. Der deutsche Leitindex Dax brach damals um 75 Prozent ein. Droht nun eine Wiederholung?

Auffällig ist, wie schnell derzeit die Bewertungen am Aktienmarkt sinken. Nachdem das Verhältnis von Kursen zu Nettogewinn (KGV) beim marktbreiten US-Index S&P 500 im vergangenen Jahr einen Höchststand von 30 erreicht hatte, ging es seither laut Daten des Finanzdienstes Bloomberg bereits um 40 Prozent zurück. Die hochbewerteten Aktien kehren also rascher zur Normalität zurück als nach dem Platzen der Tech-Blase vor gut zwei Jahrzehnten.

Darin sehen Experten einen entscheidenden Unterschied. Jan Viebig, Chief Investment Officer der Bank Oddo BHF, erklärt: „Damals hatten wir eine irrationale Übertreibung. Heute haben wir eine rationale Übertreibung – und die löst sich gerade auf.

An den Aktienmärkten geht es bergab.
An den Aktienmärkten geht es bergab.

© AFP / Michael M. Santiago

Treiber der aktuellen Börsenkurse war in den vergangenen Jahren die lockere Geldpolitik mit den sinkenden Zinsen. Dadurch stiegen die Bewertungen der Unternehmen: Denn in den Analysemodellen werden die in der Zukunft liegenden Gewinne mit dem aktuellen Zinssatz diskontiert. Je niedriger die Zinsen sind, desto wertvoller sind die Gewinne der Zukunft.

„Dadurch ist der intrinsische Wert von Aktien gestiegen“, erklärt Viebig. Attraktiv wurden vor allem Wachstumswerte, die aktuell noch keinen Gewinn machten, ihre Umsätze und Marktanteile aber stetig steigerten – vor allem dank des billigen Geldes, mit dem sie das finanzierten.

Hinzu kam, dass die Notenbanken gleichzeitig Liquidität ins System pumpten. Die Bilanzsumme der US-Notenbank Fed hat sich seit 2010 fast vervierfacht. Der Überschuss an Liquidität traf auf einen durch die niedrigen Zinsen ausgelösten Anlagenotstand. Zu Aktien gab es lange Zeit keine Alternative.

Wenn das billige Geld verschwindet, verschwindet auch die Blase.

 Gina Martin Adams, Beraterin bei Bloomberg Intelligence

Diese Ausnahmesituation ändert sich gerade: Die amerikanische Fed hat in diesem Jahr ihre Zinsen bereits zweimal angehoben, von einem Zinskorridor von null bis 0,25 Prozent auf zuletzt 0,75 bis ein Prozent. In dieser Woche steht die nächste Zinserhöhung an. Die US-Banken Jefferies und die britische Bank Barclays erwarten nun einen Sprung um 75 Basispunkte auf 1,5 bis zwei Prozent. Gleichzeitig schmilzt die Fed ihre Bilanzsumme ab und entzieht dem Markt Liquidität.

Beide Effekte zusammen lassen die Aktienkurse fallen, erklärt Gina Martin Adams von Bloomberg Intelligence, dem Research-Unternehmen des Finanzdienstes: „Wenn das billige Geld verschwindet, verschwindet auch die Blase.“

Zur Jahrtausendwende war die Situation eine ganz andere, erklärt Christian Kahler, Chefanlagestratege von der DZ Bank: „Damals wurde vereinfacht gesagt das Internet erfunden. Es wurde eine Menge investiert in Webseiten, Telekommunikation, Netzwerkspeicher – in alles Mögliche. Aber der Bedarf war damals gar nicht da. Sehr viele Unternehmen, die damals Stars waren, sind dann pleitegegangen.“

Tech-Riesen sind hochprofitabel

Kurz bevor die Internetblase ab März 2000 zu platzen begann, waren die 100 größten Technologiewerte an der Nasdaq mit einem KGV von knapp 50 bewertet. Ein Großteil der Unternehmen erzielte aber gar keine Gewinne – ihre Daten flossen somit gar nicht in die Durchschnittsbewertung mit ein.

Heute dagegen sind die großen Technologiekonzerne hochprofitabel, und sie steigern ihre Gewinne rascher, als es den Unternehmen in der traditionellen Industrie gelingt. Der iPhone-Hersteller Apple, das Softwareunternehmen Microsoft und der Google-Mutterkonzern Alphabet haben im abgelaufenen Jahr einen Nettogewinn von umgerechnet rund 210 Milliarden Euro eingefahren. Das sind 50 Prozent mehr als im vorangegangenen Geschäftsjahr – und fast doppelt so viel, wie die 40 Dax-Konzerne zusammen verdienten.

Nach Berechnungen von Peter Spijkman, Stratege der Anlagegesellschaft Aegon Asset Management, sind die Unternehmensgewinne im Technologiesektor in den vergangenen Jahren fast doppelt so schnell gewachsen wie die des Gesamtmarkts. Dieser Trend sorgt dafür, dass die Unternehmen so schnell wie in keiner anderen Branche in ihre Bewertungen hineinwachsen. Das heißt, Überbewertungen bauen sich nicht nur durch Kursverluste und Crashs ab, sondern auch durch stetig steigende Gewinne.

Bewertungen sind bereits stark gesunken

Aktuell bezahlen Anleger die Nasdaq-Konzerne nur noch mit einem KGV von 19,8. Im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre liegt der Wert bei nahezu gleich hohen 19,9. Die einst stark überbewertete Branche ist damit wieder angemessen im Sinne von durchschnittlich bewertet.

„Wir haben natürlich nicht mehr die Corona-Sondersituation mit 30 oder 50 Prozent Umsatzplus bei den Tech-Riesen, aber es läuft weiter unglaublich gut“, erklärt Kahler und verweist auf Wachstumsmärkte wie das Cloud-Geschäft. „Der Hunger nach Datenspeicherplatz ist durch neue Techniken wie KI oder autonomes Fahren ungestillt. Das ist ein Trend, der wahrscheinlich erst am Anfang steht. Das ist ein riesiger Unterschied zum Jahr 2000.“

Unternehmensgewinne im Technologiesektor sind in den vergangenen Jahren fast doppelt so schnell gewachsen wie die des Gesamtmarkts.
Unternehmensgewinne im Technologiesektor sind in den vergangenen Jahren fast doppelt so schnell gewachsen wie die des Gesamtmarkts.

© AFP / JUSTIN TALLIS

Konzerne, wie Apple, das allein mit Airpods im letzten Jahr 25 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht hat, können außerdem auch bei Privatkunden immer wieder für neue Trends sorgen. Probleme gebe es lediglich bei Tech-Werten aus der zweiten und dritten Reihe, die keine Gewinne oder nicht einmal Umsätze erzielen.

Zudem sind die Alternativen zu Aktien für Anleger unattraktiver als zur Jahrtausendwende: Für Bankguthaben und Geld auf dem Sparbuch gibt es fast keine Zinsen – damals waren es mehr als vier Prozent. Die realen Renditen von soliden Anleihen sind immer noch negativ, wenn man die Inflation von den nominalen Renditen abzieht. Insofern hat die Börse heute einen Vorteil, der sich aus dem Nachteil der anderen Anlageformen ergibt, einschließlich sehr teurer Immobilien.

Zusätzlich gibt Kahler zu bedenken: „2001 und 2002 konnte ich nicht zurück in den Aktienmarkt, weil es keine guten Unternehmen gab. Es war eben eine Blase. Jetzt geht es den Unternehmen sehr gut, die an der US-Börse wichtig sind – und damit auch für den gesamten Markt.“

Die Notenbanken haben zu lange gewartet und müssen jetzt radikal gegensteuern.

Jan Viebig, Chief Investment Officer der Bank Oddo BHF

Er zählt dazu neben den Tech-Werten die großen US-Banken und Ölkonzerne. „Die Banken verdienen alle 45 bis 50 Milliarden netto pro Jahr – und durch die besseren Zinsprovisionen profitieren sie von den steigenden Zinsen sogar noch. Und bei den Ölwerten sprudeln gerade die Gewinne im wahrsten Sinne des Wortes.“

Rezession könnte Kurse fallen lassen

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Aktienmärkte nicht noch weiter fallen können, warnt Viebig. Das habe aber weniger mit der Ansteckungsgefahr der Tech-Werte zu tun, sondern mit der wirtschaftlichen Situation: „Was wir aktuell sehen, ist ein Angebotsschock.“

Gemeint ist damit eine Störung der Kostensituation der Unternehmen – in diesem Fall durch die steigenden Energiepreise – und dadurch höhere Preise (Inflation). Zunächst waren die höheren Energiepreise der Hauptgrund für die steigende Gesamtinflation. Mittlerweile haben sie sich aber in die Kerninflation reingefressen, die die besonders schwankenden Preise aus dem Energiesektor und für Lebensmittel rausrechnen. Grund dafür sind Zweitrundeneffekte, also Preiserhöhungen als Reaktion auf vorangegangene Kostensteigerungen.

Bei einer starken Rezession könnte der Dax unter 10.000 Punkte fallen.
Bei einer starken Rezession könnte der Dax unter 10.000 Punkte fallen.

© REUTERS / STAFF

Viele Unternehmen wiesen in ihren jüngsten Quartalsberichten bereits auf große Unsicherheiten hin. Beobachter wie Aktienstratege Michael Wilson von Morgan Stanley erwarten deshalb, dass die Unternehmen ihre Gewinnprognosen schrittweise zurückfahren. Eingepreist ist das in den Kursen noch nicht. Einen Crash wie zur Jahrtausendwende erwartet Viebig aber nicht: „Ich bezweifle, dass wir eine ähnlich extreme Abwärtsrally sehen.“

Boden könnte im Herbst erreicht sein

Im Falle einer starken Rezession könnte der Dax nach Berechnungen der DZ Bank bis unter 10.000 Punkte fallen. „Aber so weit ist es noch nicht“, stellt Kahler klar. „Wir rechnen höchstens mit einer leichten Rezession – nicht mit einer starken wie 2002/03 oder 2008/08.“ Die DZ Bank hält deshalb an ihrem Kursziel von 14.500 Punkten zum Jahresende für den Dax fest.

Wilson von Morgan Stanley erwartet, dass die Kurse rund um die Berichtssaison zum zweiten Quartal im Juli und August noch einmal unter Druck geraten könnten und anschließend ihren Boden erreichen. Beim S&P prognostiziert er den Boden bei 3400 Punkten. Das deckt sich mit den Erwartungen der DZ Bank. „Der Markt wird irgendwann drehen. Unsere Erwartung ist, dass es Ende September oder im Oktober passieren wird“, erklärt Kahler.

Kurstreiber könnten dann ausgerechnet Tech-Werte sein, glaubt der Experte der DZ Bank: „Wir haben jetzt Konsumgüter-Unternehmen wie Procter & Gamble, die gut laufen und jetzt so bewertet sind wie Google oder Alphabet. Letztere wachsen aber mit Faktor drei oder vier.“ Anleger würden dann bei niedrigeren Bewertungsniveaus wieder einsteigen und die Tech-Werte wieder nach oben ziehen – und damit den gesamten Markt.

Dieser Text ist zuerst im „Handelsblatt“ erschienen.

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