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Statt in der Kneipe trinken viele daheim.

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Bier, Drogen, Baldrian: Wie die Deutschen ihren Sorgen entfliehen

Die Deutschen kaufen während der Coronakrise mehr Alkohol und Baldrianpillen, um sich zu entspannen. Brauereien haben trotzdem zu kämpfen.

Viele Menschen sorgen sich momentan um ihre Gesundheit, den Job, ihre Zukunft. Manche fühlen sich einsam, andere enorm gestresst. Weil Alkohol eine entspannende Wirkung auf den Körper hat, stellt sich die Frage: Befindet sich das Land gerade im Rausch?

Tatsächlich scheint jeder Dritte während der Krise mehr Alkohol zu trinken als zuvor. Wie eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim in Kooperation mit dem Klinikum Nürnberg zeigt, stieg der Konsum bei 37 Prozent der Erwachsenen an. Acht Prozent gaben an, überhaupt erst mit Beginn der Ausgangseinschränkungen Alkohol zu trinken. 21 Prozent würden seitdem weniger trinken. Die Online-Umfrage mit 3000 Teilnehmern ist laut der Autoren zwar nicht repräsentativ, liefere aber erste Erkenntnisse über Gewohnheiten in dieser schwierigen Zeit.

„Risikofaktoren für eine Vermehrung des Konsums waren zum Beispiel der Wechsel des Arbeitsstatus, etwa ins Homeoffice, ein hohes gefühltes Stressniveau und Zweifel daran, dass die Krise gut gemanagt wird“, sagt Anne Koopmann vom ZI in Mannheim. Menschen mit einer hohen Anspannung und geringerem sozialen Status gaben eher an, mehr zu trinken. Menschen in systemrelevanten Berufen, die weiterhin ihren Job ausübten, tranken eher weniger oder gleichviel. Vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit heißt es: „Schon aus früheren Epidemien ist bekannt, dass Stress und Ängste den Konsum von Alkohol und Tabak fördern sowie Suchtverhalten intensivieren können.“

Zu Hause arbeiten, konnte sehr anstrengend sein.
Zu Hause arbeiten, konnte sehr anstrengend sein.

© imago images/photothek

Direkt im März wurden Wein und Schnaps gekauft

Wie es den Menschen derzeit psychisch geht? Laut einer im Juni veröffentlichten Studie empfinden 44 Prozent der Bevölkerung die Coronakrise als psychisch belastend. In Haushalten mit mindestens drei Personen geht es der knappen Mehrheit so. Die Umfrage ließ der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller durchführen. Aus Sicht von Gebhard Hentschel, dem Vorsitzenden der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung ist es sogar naheliegend, „dass Abstandsregelungen, Kontaktbeschränkungen, soziale Isolation sowie existenzielle Ängste beispielsweise auf Grund von Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen führen können.“

Schon bevor sich das Leben im Frühjahr in die eigenen vier Wände verlagerte, hatten sich die Deutschen mit Wein und Schnapsvorräten eingedeckt. Von Ende Februar bis Ende März kauften sie 34 Prozent mehr Wein als im Vorjahreszeitraum. Spirituosen wie Gin und Korn waren fast ebenso begehrt. Der Bierkonsum stieg um 11,5 Prozent. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), hatte kürzlich an Union und SPD appelliert, Tabak- und Alkoholprodukte von der Mehrwertsteuersenkung auszunehmen. Eine Preissenkung könnte dazu führen, dass noch mehr Flaschen im Einkaufswagen landen.

Neuer Freitagabend: Wein beim Zoom-Treffen.
Neuer Freitagabend: Wein beim Zoom-Treffen.

© imago images/UIG

Die Brauereien machen dennoch weniger Geld

Dabei spüren die Hersteller gar nicht so viel vom Verhalten der Verbraucher. Nach der Steuerstatistik ging der Absatz von Bier kräftig zurück, im Mai sogar um 62 Prozent gegenüber dem Mai 2019. Die Brauer sagen, sie erleben den stärksten Einbruch seit Gründung der Bundesrepublik. Kneipen und Restaurants waren im März immerhin geschlossen worden, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Seit Ende Mai wurden die Beschränkungen zwar gelockert. Dennoch brachte Bier im Mai rund 21 Millionen Euro an Steuern ein – ein Jahr zuvor waren es noch knapp 56 Millionen Euro gewesen. Sekt und andere Schaumweine legten unterdessen leicht zu, Spirituosen ebenso.

Der Brauer-Bund spricht von verheerenden Folgen für seine Mitglieder. Bis zu 88 Prozent haben Kurzarbeit angemeldet. In den ersten vier Monaten hätten die größeren der 1500 Brauereien Umsatzeinbußen von 22 Prozent zu verkraften gehabt, die kleineren von 32 Prozent. „Der Neustart ist für viele Gaststätten und Kneipen wegen der niedrigen Auslastung aufgrund behördlicher Auflagen nicht rentabel“, heißt es. Statt die Nacht hindurch in der Kneipe zu sitzen, trinken viele lieber weiterhin daheim.

Als Folge der Coronakrise befürchten UN-Experten auch eine höhere Nachfrage bei anderen Drogen. Nach bisherigen Erfahrungen sei steigende Arbeitslosigkeit – wie jetzt – immer verbunden gewesen mit einem verstärkten Griff zu Rauschmitteln. Das teilte das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) kürzlich in seinem Jahresbericht mit. Ein erheblicher Teil der Konsumenten sei im Zuge der Ausgangsbeschränkungen von illegalen Drogen auf Alkohol und frei erhältliche Substanzen umgestiegen, wie etwa das aus einem Lösungsmittel gewonnene GBL. Langeweile im Lockdown und Angstzustände sind in einer Umfrage als Gründe genannt worden.

 „Jetzt trinke ich abends Wein und Whiskey, das entspannt mich viel mehr.“ 

Kokainkonsument

Koks ist ohne wildes Nachtleben weniger beliebt

Weniger beliebt seien momentan Kokain und synthetische Drogen wie Ecstasy. Grund dafür sei das fehlende Nachtleben, wo aufputschende Mittel am ehesten konsumiert werden, schreiben die Experten in ihrem Bericht. Darin schildern sie auch den Fall eines Kokainkonsumenten, der wegen des Ausgehverbots in seiner Wohnung fast durchdreht sei und es dann lieber sein ließ. Er sagt: „Jetzt trinke ich abends Wein und Whiskey, das entspannt mich viel mehr.“ Nach Einschätzung der UN-Behörde könnte die Pandemie den weltweiten Drogenhandel anregen. So könnten Bauern in den Produktionsländern aus wirtschaftlicher Not heraus den illegalen Anbau von Drogen beginnen oder ausweiten.

Schlucken die Menschen auch mehr Psychopharmaka, Pillen zur Beruhigung? Die Apotheken in Deutschland können dies noch nicht in besonderem Maße erkennen. Der dm-Geschäftsführer Sebastian Bayer sagt allerdings: „Wir bei dm beobachten, dass in den vergangenen zwei Monaten die Nachfrage nach freiverkäuflichen Baldrian- und Einschlafprodukten gestiegen ist.

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