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Der Absatz von E-Bikes steigt deutlich stärker als die Nachfrage nach „echten“ Rädern.

© dpa-tmn

Tagesspiegel Plus

High-End-Fahrräder als Krisengewinner: Wie Autozulieferer auf den E-Bike-Trend umsatteln

Um unabhängiger vom Auto zu werden, setzen Firmen wie Brose auch auf Zweiräder. Mit Preisen, die man sonst aus dem Autohandel kennt.

| Update:

Zu wenig Luft auf dem Reifen? Das Smartphone meldet sich und empfiehlt den Griff zur Pumpe. Und wenn die Bremsen verschlissen sind, blinkt das Handy-Display. Ein Anti-Blockiersystem könnte künftig das Radfahren ebenso sicherer machen wie automatische Car-To-Bike-Kommunikation.

Corona forciert Innovationen auf dem rasant wachsendem Radmarkt. Die neue Fahrradwelt ist digital und elektrisch und ziemlich schweißfrei. Der Trend geht zum E-Bike inklusive technischer Feature, und das kann gerne ein paar tausend Euro kosten.

Unsere Rahmen entstehen in China in 62 Stunden Handarbeit

Ole Wittrock, Rotwild

Die Oberklassenmarke Rotwild aus dem hessischen Dieburg ist der Lamborghini unter den Mountainbikes. „62 Stunden Handarbeit stecken in jedem Rahmen“, erzählt Rotwild-Marketingmann Ole Wittrock, „1000 einzelne Zuschnitte machen aus dem Carbon ein High-Tech-Produkt“. Wittrock hat sich die Fabrik angeschaut in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzen, wo ein taiwanesischer Spezialist die Rahmen für den Weltmarkt produziert. Fast alle Fahrradteile stammen aus Asien, vor allem aus Taiwan und Japan (Shimano).

Die Produktion von 2021 ist schon verkauft

Manufakturen wie Rotwild oder Massenhersteller wie Kettler kombinieren die Komponenten zu Fahrrädern. Am wichtigsten sind Rahmen und Schaltgruppe sowie der Antrieb beim E-Bike. Bei Rotwild schrauben nur 35 Handwerker 10.000 Räder im Jahr zusammen, die Produktion 2021 ist bereits an 150 Fachhändler verkauft. Qualität ist gefragt und die hat ihren Preis.

„Wir können nicht billig“, sagt Wittrock. Das günstigste Rotwild gibt es für 6000 Euro, das teuerste für 10.000 Euro. Geld ist da. Wittrock erzählt von einem Ehepaar, das eine Harley Davidson verkaufte und sich mit dem Erlös bei Rotwild zwei Tourenräder und zwei Mountainbikes gekauft hat, alle elektrisch und zum Gesamtpreis von 24.000 Euro.

„Radfahren ist eine coole Sache geworden“, sagt Wittrock. „Der Motor ermöglicht genussorientiertes Fahren statt Quälerei.“

Die Zahlungsbereitschaft steigt

Trotz des zeitweiligen Lockdowns, der im April auch den Fahrradhandel betraf, erhöhte sich der Fahrradabsatz hierzulande im ersten Halbjahr um 9,2 Prozent. Vor allem das E-Bike ist das „Verkehrsmittel der Stunde“, wie der Zweirad-Industrie-Verband jubelt. Von einem „Corona-Bonus für die Fahrradbranche“ schreibt der Delius Klasing Verlag, der Radsportmagazine herausgibt und nach eigenen Angaben die größte Fahrradmarktstudie Europas erstellt.

Die jüngsten Ergebnisse: Der stationäre Handel profitierte ebenso wie das Online-Geschäft vom Corona-Boom; der Mai war der bester Verkaufsmonat aller Zeiten; E-Mountainbikes sind am stärksten gefragt; die Zahlungsbereitschaft steigt – wer sich in den kommenden 24 Monaten ein Trekking- oder Tourenrad zulegt, will dafür im Schnitt 3321 Euro ausgeben; im vergangenen Jahr lag dieser Wert noch bei 2855 Euro.

Mit Rotwild ins Gelände. Die speziellen E-Mountainbikes gibt es ab 6000 Euro.
Mit Rotwild ins Gelände. Die speziellen E-Mountainbikes gibt es ab 6000 Euro.

© promo

3,2 Millionen Fahrräder kauften die Deutschen im ersten Halbjahr – so viele wie noch nie. Die Gründe liegen auf der Hand: In der Stadt vermeiden Radfahrer das Infektionsrisiko in Bussen und Bahnen. Einen „Drang nach Bewegung an der frischen Luft mit ausreichend Abstand“ beobachtet der Zweirad-Verband und bescheinigt dem Rad „Systemrelevanz“.

Dazu kommt der Trend zur Radreise in deutschen Regionen, gerne an Flüssen, als Alternative zur Flugreise. „Das Fahrrad geht als Verkehrsmittel und Freizeitgerät als einer der ganz großen Gewinner aus der Corona-Krise hervor“, heißt es in der Studie von Delius Klasing.

Jedes dritte Rad ist elektrisch

Im vergangenen Jahr wurden hierzulande vier Millionen Fahrräder verkauft, darunter 1,4 Millionen E-Bikes. Jedes dritte Rad ist also inzwischen mit elektrischer Unterstützung unterwegs, 2018 war es jedes vierte. „Wir gehen davon aus, dass 2025 hierzulande jedes zweite verkaufte Fahrrad ein E-Bike sein wird“, sagt Thomas Leicht, Chef des Geschäftsbereichs E-Bike des Autozulieferers Brose aus dem oberfränkischen Coburg.

Das Unternehmen mit mehr als sechs Milliarden Euro Umsatz hatte sich nach der Finanzkrise 2008/2009 entschlossen, in das Geschäft mit Elektromotoren für Zweiräder einzusteigen, um etwas unabhängiger vom Auto zu werden. Marktführer für die E-Bike-Ausstattung mit Motor, Akku und Display ist Bosch. Brose stattet eher die Oberklasse aus, Marken wie Rotwild zum Beispiel.

Berlin bietet ausreichend Softwareentwickler und IT-Fachkräfte

Brose-Sprecher Nils Wigger

In Berlin-Moabit produzieren rund um die Uhr und an sieben Tagen die Woche 120 Beschäftigte Brose-Motoren für Fahrräder. 2014 haben man sich für Berlin als Produktionsstandort entschieden, weil hier Brose 1908 gegründet worden sei, erzählt Brose-Sprecher Nils Wigger. „Aber auch, weil Berlin ausreichend Kapazitäten an Fachkräften für Softwareentwicklung und IT bietet.“ Schließlich seien in der Stadt „neue Formen der urbanen Mobilität erlebbar“.

Diese Formen sind häufig elektrisch, ob auf zwei oder auf vier Rädern, und benötigen eine spezielle Infrastruktur: Breite und sichere Radwege, Ladesäulen, Parkplätze und Werkstätten. Dafür bedarf es wiederum politischer Rahmensetzung.

Brose hat bereits 800.000 Motoren gebaut

„Ziel muss ein digitales Verkehrsökosystem sein, in dem etwa Fahrräder, Autos und Motorräder Informationen miteinander austauschen“, sagte Brose-Bereichsleiter Leicht. Solche Systeme würden wichtiger, weil das Verkehrsaufkommen in den Städten stetig zunehme und weil die Radfahrer ihr E-Bike zunehmend ganzjährig nutzten.

„Das wiederum könnte Komfort-Upgrades wie Sitz- oder Griffheizungen zum Durchbruch verhelfen“, sagte Leicht dem Tagesspiegel. Seit zwei Jahren ist Brose mit einem Komplettsystem mit Antrieb, Akku und Display auf dem Markt. Für 50 Kunden wurden bislang rund 800 000 Motoren produziert.

Radfahren ist heute ein coole Geschichte

Ole Wittrock von Brose

Das Wachstumspotenzial ist enorm: Brose erwartet bis 2030 einen Marktanteil von E-Bikes in Europa von 50 Prozent. Der Trend zum Stromrad hat Auswirkungen auf den Handel. Je komplexer und teurer das Rad, desto häufiger wird im stationären Fachgeschäft gekauft, desto wichtiger wird der Service. „Die Händler suchen händeringend Leute für ihre Werkstätten“, sagt Rotwild-Mann Wittrock. „E-Bikes sind ein Segen für den Fachhandel.“

Als einen Treiber des Trends zum E-Bike hat man bei Brose das Dienstfahrrad ausgemacht: Der Arbeitgeber finanziert dem Arbeitnehmer das Rad, und damit der sich nicht beim Trampeln verausgabt, gibt es einen Motor dazu. „Radfahren ist heute eine coole Geschichte“, sagt Wittrock und weiß auch warum: Die Faszination des E-Bikes.

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