zum Hauptinhalt
Die Zinsen steigen wieder langsam - doch die Inflation frisst alles auf.

© Gestaltung: TSP/Manuel Kostrzynski

Tagesspiegel Plus

Leben im Alter: Frisst die Inflation die Rentenerhöhung gleich wieder auf?

Die Rente wird erhöht, doch die Inflation steigt schneller. Was groß ist die Rentenlücke? Und helfen höhere Zinsen? Ein Blick auf Vorsorge und akute Bezüge.

Zum Ende einer langen Haushaltswoche wartet der Bundestag an diesem Freitag mit einem für Millionen Rentnerinnen und Rentner erfreulichen Beschluss auf. Die Koalition will die rekordverdächtige Rentenerhöhung zum 1. Juli sowie Verbesserungen in der Erwerbsminderungsrente auf den Weg bringen.

Beschlossen werden soll ein Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Rentenanpassung 2022 und zur Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand. Mit diesem Entwurf führt die Regierung den Nachholfaktor in der Rentenversicherung wieder ein und macht den Weg für die jährliche Erhöhung der Bezüge frei. Im Westen steigen die Renten zum 1. Juli um 5,35 Prozent, im Osten um 6,12 Prozent. Verbesserungen sind zudem für Menschen vorgesehen, die schon länger eine Erwerbsminderungsrente beziehen.

Infolge der Erhöhung steigt zum 1. Juli zum Beispiel eine monatliche Rente von 1000 Euro, die nur auf West-Beiträgen beruht, um gut 53 Euro, eine gleich hohe Rente mit Ost-Beiträgen um 61 Euro. Es ist die stärkste Erhöhung seit Jahrzehnten. 

Inflation frisst Teile der Erhöhung wieder auf

Angesichts der Inflation von im Mai 7,9 Prozent dürfte das die wenigsten Rentner und Arbeitnehmer beruhigen. Das Mehr an Rente ist durch das Weniger an Lebenshaltungskosten gleich wieder weg - wobei das Rentenniveau bleibt, die Inflation aber wieder absinken dürfte.

Rechnet man aber anhaltend hohe Teuerungsraten in die eigene Rentenberechnung ein, wird die Rentenlücke dennoch vielfach immer größer. Im Internet findet man zahlreiche kostenfreie Angebote, die die bittere Wahrheit ausrechnen, wie viel Kaufkraft die prognostizierte Rente beim Renteneintritt noch hat.

Das Prinzip lautet: Man entnimmt der Renteninformation seinen Rentenwert und rechnet für die verbleibenden Jahre die Inflation ein. Bei einer Bruttorente von 3000 Euro, einem Renteneintritt im Jahr 2030 und einer durchschnittlichen Inflation von 4 Prozent bis dahin, läge der Wert der Rente nur bei rund 1950 Euro. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, aber vor Steuern.

Zinswende ändert vieles bei der Vorsorge

Doch wegen der Inflation steht nun auch die Zinswende bevor. Im Hoch- oder Spätsommer könnte die Europäische Zentralbank sich ihrer US-Kollegin Fed anschließen und die Zinszügel erstmals seit Jahren wieder anziehen. Der Markt nimmt dies teilweise bereits seit Monaten vorweg: Bei Anleihen etwa sind die Renditen bereits massiv gestiegen. Was bedeutet dies für die Altersvorsorge? Licht und Schatten liegen hier eng beieinander. 

Besitzer einer Lebens- oder Rentenversicherung etwa, von denen aktuell immerhin 80 Millionen in deutschen Schubladen liegen, werden von einer Zinserhöhung bestenfalls mittelfristig profitieren. Das hat vor allem mit den Anlagen der Versicherer zu tun: die Kundengelder liegen laut Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zu 82 Prozent in festverzinslichen Papieren, zu 5,2 Prozent in Aktien, zu 3,6 Prozent in Immobilien und zu 6,6 in Beteiligungen aller Art.

Versicherer seien jedoch „klassische Fälligkeitsinvestoren“, so GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Sie halten Anleihen also über die komplette Laufzeit von oft zehn und mehr Jahren. Damit schleppen sie nicht nur die marginalen oder sogar Minuszinsen der vergangenen Jahre weiter in die Zukunft mit. Sie können sie auch gar nicht früher verkaufen ohne Verluste zu realisieren.

Steigende Zinsen, Gift für Anleihen

Denn in Zeiten steigender Zinsen steigen nicht nur die Renditen, sondern fallen parallel auch die Kurse alter Anleihen. Ganz generell sind Zeiten steigender Zinsen Gift für alle, die viel Geld in Anleihen investiert haben. Bei den Lebensversicherern wird folglich der Wert der Bewertungsreserven zumindest temporär fallen.

Wenn der Leitzins steigt, fallen die Kurse alter Anleihen.
Wenn der Leitzins steigt, fallen die Kurse alter Anleihen.

© imago images/Fotostand/Freitag

Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten erwartet durch die rauen Anleihemärkte sogar „weiter massiven Druck auf die Überschüsse“. Versicherer könnten auf die Idee kommen, so Kleinlein, angesichts der sinkenden Werte der Anleihen in den Portfolios Überschüsse zur Seite zu schaufeln um Eigenkapital zu ersetzen. Dabei lebten einige Unternehmen „schon jetzt von der Hand in den Mund“, teilweise sei die Lage „beängstigend“. Umgekehrt jedoch gibt es auch positive Aspekte: so können Versicherer frische Kundengelder nun höher verzinst anlegen als bisher.

Das Volumen von Anleihen mit negativer Rendite sei seit Anfang 2022 von 11,3 auf jetzt nur noch 2,7 Billionen Dollar gefallen, berichtet die Deutsche Bank. Unter den europäischen Staatsanleihen bieten Anleihen ab 1 Jahr Laufzeit fast durchgängig positive Renditen, für zehn Jahre gibt es mittlerweile auch bei sehr guter Bonität über einem Prozent.

Allerdings werden auch die Kurse jetzt zu höherem Zins emittierter Anleihen fallen, wenn die Zinsen weiter steigen, weshalb je nach Zinsentwicklung auch die Anlage von frischen Kundengeldern zum höheren Zins nicht nur positive Aspekte haben könnte. Entspannung, die langfristig für die Lebensversicherten nützlich sein mag, könnte bei der so genannten Zinszusatzreserve warten. 

Bund der Versicherten rät von neuen Verträgen ab

Lebensversicherer müssen auf Weisung der Finanzaufsicht seit mehr als zehn Jahren milliardenschwere Rücklagen bilden, um die Zinszusagen aus alten Verträgen mit höherer Garantieverzinsung auch in Zeiten der Zinsebbe bedienen zu können. In ihren Büchern stehen aktuell immer noch rund 40 Millionen Altverträge mit höheren Verzinsungen, deren Finanzierung herausfordernd ist. Durch die Zinswende könnten die Speisung der Zinszusatzreserve sinken. Denkbar wäre, dass höhere Marktzinsen sich mit etwas Verzögerung positive auf Überschussbeteiligungen und die seit Jahren sinkende laufende Verzinsung auswirken. 

Der Bund der Versicherten rät Lebensversicherungs-Kunden und Alterssparern trotz der anstehenden Zinswende jedoch davon ab, sich um jeden Preis in Umdeckungen bzw. neue Verträge treiben zu lassen, wie es manche Vertreter angesichts der steigenden Zinsen versuchten. Dies führe nur zu massiven neuen Kosten. Ob es sinnvoll sei zu kündigen oder einen Vertrag ruhen zu lassen, hänge von den Konditionen im Einzelfall ab, so Kleinlein. 

Dass Alterssparer kurzfristig von einem höheren Höchstrechnungszins profitieren, solle niemand erwarten, so der Bund des Versicherten. Dieser Satz, meist salopp als Garantiezins bezeichnet, legt fest, welche Rendite der Versicherer den Kunden über die gesamte Laufzeit in der Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung maximal garantieren darf. Seit Jahresbeginn liegt er er bei 0,25 Prozent, zuvor waren es 0,9 Prozent.

Anteil klassischer Lebensversicherungen sinkt

Wer neu über eine Rentenversicherung fürs Alter spart, wird also trotz absehbarer Zinswende wohl weiter mit einem extrem niedrigen Garantiezins leben müssen. Allerdings sinkt der Anteil klassischer Lebensversicherungen ohnehin, die Branche wirbt für abgespeckte Garantiemodelle und fondsgebundene Versicherungen, die renditestärker seien als die klassischen Policen. Die Schwäche der Anleihemärkte in Phasen steigender Zinsen wirkt sich jedoch auch hier negativ aus. 

Die Inflation bedroht die Altersvorsorge. Auch ob die Riester-Rente dank Zinswende attraktiver wird, ist nicht sicher.
Die Inflation bedroht die Altersvorsorge. Auch ob die Riester-Rente dank Zinswende attraktiver wird, ist nicht sicher.

© imago images/photothek/Ute Grabowsky

Dass die Riester-Rente mit der Zinswende wieder attraktiver wird, ist ebenfalls unsicher. Zwar könnten Riester-Banksparpläne mittelfristig wieder mehr Zinsen einheimsen, doch gilt dies vor allem für Altkunden, denn kaum eine Bank oder Sparkasse akzeptiert noch Neukunden. Auch beim Versicherungs- und Fondsriester sind zuletzt immer mehr Anbieter abgesprungen, weil die Verpflichtung zur Beitragsgarantie bei Mini- und Negativzinsen nicht mehr darstellbar war. Im Sommer 2021 hatte die DWS das Neugeschäft eingestellt, im Juni 2022 folgt nun die Deka.

Union Investment nimmt nur noch Kunden mit sehr langfristigem Sparhorizont. Bestandskunden im Bereich Fonds und Versicherungen könnte die Zinswende auch eher schaden denn nützen. Je älter der Kunde und je höher der Anteil an Anleihen, desto höher auch die Renditeeinbußen, mit denen in der Zinswende gerechnet werden muss.

Zwar versuchen die Riester-Anbieter, mit kurzen und weniger zinssensiblen Anleihe-Laufzeiten gegenzusteuern, doch bieten kürzere Laufzeiten neben geringere Kursschwankungen eben auch niedrigere Zinsen. Union Investment sieht hingegen auch positive Effekte, vor allem für jüngere Kunden: bei steigenden Zinsen könne man die Aktienquote erhöhen, da dann ein größerer Anteil des angelegten Geldes in risikoreichere Anlagen fließen könne. 

Führt die Inflation zu einer Altersvorsorge-Krise?

Zu einer regelrechten Altersvorsorge-Krise beitragen könnte die Ursache der anstehenden Zinserhöhungen: die Inflation. Angesichts einer Preissteigerungsrate von 7,4 Prozent wird es für Alterssparer immer wichtiger, sich mit den katastrophalen Auswirkungen einer hohen Inflation für die Absicherung ihres Ruhestands vertraut zu machen. Mit dem 7,4-prozentigen Wertverlust von Geldbeträgen zwischen April 2021 und April 2022 knabbert die Inflation aktuell ein Vielfaches der Lebensversicherungsrenditen oder gar der Bankzinsen weg.

In Großbritannien ist die Inflation kurzfristig sogar auf neun Prozent gestiegen. Zwar bleiben 100 auch in Zukunft nominal 100 Euro, doch kann man mit den gleichen Geldbeträgen eben weniger kaufen. In langen Zeiträumen wirkt sich dies besonders gravierend aus: Nimmt man eine durchschnittliche Inflationsrate von drei Prozent über 30 Jahre an, so hat beispielsweise eine Versicherungssumme von 100 000 Euro in 30 Jahren nur noch eine Kaufkraft von 41 199 Euro. 

Wer in Zukunft über die gleiche Kaufkraft verfügen möchte, die er heute mit 100.000 Euro hat, muss dafür sorgen, dass in 30 Jahren 242 726 Euro auf dem Konto sind. Dies funktioniert nur, wenn die Verzinsung eben zumindest auf der Höhe der Inflationsrate liegt. Selbst bei nur zwei Prozent durchschnittlicher Inflationsrate schrumpft der Wert binnen 30 Jahren auf etwas mehr als die Hälfte. Steigende Zinsen werden hier als Gegenmittel hilfreich sein, wohl aber auch in absehbarer Zukunft unter der Inflationsrate rangieren.

Insgesamt gilt: auch in der Vergangenheit lag der Realzins sehr oft im Minus. Nach Daten der Deutschen Bundesbank übertraf die Inflationsrate seit 1967 in mehr als 50 Prozent der Zeit die Verzinsung (gemessen am kurzfristigen, täglich verfügbaren Satz). Selbst steigende Zinsen werden Alterssparer also weiter zwingen, sich nach langfristig rentableren Möglichkeiten umzusehen. Hier bleiben nur die Aktienmärkte. Trotz der jüngsten Korrekturen und der immer wieder auftretenden Crashs gilt weiter: Eine breit gestreute Mischung aus Aktien und Fonds wirft langfristig Renditen ab, die im Normalfall gute reale Gewinne bieten, die derzeit hohen Inflationsraten aber zumindest neutralisieren. (mit dpa)

Zur Startseite