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Hassziel Trans.

© Bearbeitung: TSP / Getty Images

Belästigt, verhöhnt, bedroht: Wie trans Menschen zum Hassobjekt von rechts und links werden

Die Ablehnung von trans Menschen vereint in den sozialen Medien ganz unterschiedliche Gruppen. Das zeigt auch die Bubble um die HU-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht. Eine Analyse.

Von
  • Dana Mahr
  • Eva Mahr

| Update:

Immer wieder gibt es Ideen oder Sachverhalte, die sehr unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammenbringen können. In der Soziologie und in der Technikforschung sind solche Gegenstände aber auch Ideen als „Grenzobjekte“ bekannt, seit Ende der 1980er Jahre werden diese erforscht.

In der deutschen Diskurslandschaft, angestoßen von den Debatten um das „Selbstbestimmungsgesetz“, welches die Lebensverhältnisse von inter* und trans* Menschen verbessern soll, erleben wir gerade die Genese eines solchen „Grenzobjekts“. Sein Name: Transgenderideologie.

Was ist damit gemeint? Es ist ein Strohmann, laut dem Menschen, die sich für die gesellschaftliche Anerkennung von Vielgeschlechtlichkeit einsetzen (also die Annahme, dass sich biologische und gesellschaftliche Geschlechtsmarker über ein breites Spektrum verteilen), reine Ideologen sind.

Durch diese rhetorische Verkürzung können Argumente und sogar Fakten, die für menschliche Vielgeschlechtlichkeit sprechen, als unwissenschaftlich und realitätsfern markiert werden.

Vielgeschlechtlichkeit? Wird als unwissenschaftlich markiert.
Vielgeschlechtlichkeit? Wird als unwissenschaftlich markiert.

© Gestaltung: tsp | Quelle: Twitter

Ein Streiten im Sinne einer Ideologie kann auch als protofaschistisch deklariert werden - was dazu führt, dass mehr oder weniger jeder, der sich an diesem Diskurs beteiligt, schon einmal mal als Nazi bezeichnet wurde.

Diskursive Nebelkerzen

Tatsächlich schließen sich in der Ablehnung der vermeintlichen „Transgenderideologie“ unterschiedliche Gruppen zusammen. Ob radikale transexklusive Feminist*innen, politische Kräfte von rechts-außen, stark konservative Christ*innen, oder sogar klassische Marxist*innen - sie alle finden in einer zunehmenden Abneigung gegen und Angst vor trans* Menschen einen common ground.

Demonstration gegen den Vortrag der HU-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht vor der HU. Vollbrecht gehört zu einer „Bubble“ auf Twitter, die trans Menschen als die neuen „Anderen“ auserkoren hat.
Demonstration gegen den Vortrag der HU-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht vor der HU. Vollbrecht gehört zu einer „Bubble“ auf Twitter, die trans Menschen als die neuen „Anderen“ auserkoren hat.

© dpa/Christophe Gateau

Wie gefährlich das sein kann, zeigt sich gerade in den Vereinigten Staaten. Dort überschattete der Diskurs über die scheinbare Gefahr von trans* Menschen die stille Vorbereitung der Abschaffung von Roe vs. Wade durch konservative Akteure – bis es schließlich zu spät war. Denn obwohl ein „Grenzobjekt“ wie die Transgenderideologie diskursiv paritätisch über verschiedene Akteursgruppen verteilt sein mag, so kann es doch sein, dass einige wenige dieser Akteure das Geschehen tatsächlich für ihre eigenen politischen Ziele (und zu Ungunsten der anderen) manipulieren.

Ein ähnlicher Diskurs ist gerade auch in Deutschland zu beobachten. Dies zeigen der queer-feindliche Meinungsbeitrag in der „Welt“ oder die seit einigen Tagen immer weiter in den Medien und den sozialen Netzwerken hochkochende Diskussion um den von der Humboldt-Universität zunächst abgesagten Vortrag der Biologie-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht.

Insbesondere die scharfe Diskussion auf Twitter erlaubt eine Momentaufnahme der Genese eines Motivs, welches von wichtigeren gesellschaftlichen Themen, wie etwa der zunehmenden Armut angesichts der drohenden Rezession oder des Klimawandels, abzulenken droht.

Wir gegen „die Anderen“

Vieles wird auf Twitter gerade geraunt. Die „Trans-Lobby“ würde darauf hinarbeiten, die hart erkämpften Rechte von Frauen zu zerstören. Trans* Frauen würden sich an „unsere Kinder“ heranmachen und seien generell sexuell deviant. Trans* Männer seien lediglich verwirrte Lesben, die sich dem Patriarchat „vollständig unterwerfen“ würden.

Und generell würde eine ganz kleine Gruppe von Menschen die für viele so gewisse Sicherheit des eigenen binär verteilten Geschlechts im Namen eines ominösen Transhumanismus nivellieren wollen.

Auch wenn nahezu nichts von dem richtig ist, so sind die Sorgen, Ängste und Fragen auch legitim und vor allem menschlich. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Mann oder Frau noch nie wirklich mit einer trans* oder intersex* Person gesprochen hat und diese Gruppe nur als medial vermitteltes Schreckgespenst kennt.

Das „Grenzobjekt“ Transgenderideologie ist dazu da, eine diffuse Angst in den Adressat*innen zu erzeugen. Es trägt aber zugleich auch zur Bildung eines Gemeinschaftsgefühls bei, welches sich in einem „wir“ gegen „die“ äußert. Die so als „anders“ abgegrenzten Personengruppen werden wahlweise als „pervers“, „dekadent“ (eine Vokabel des NS), „gefährlich“, „unnatürlich“ oder „krank“ bezeichnet.

Auf Twitter hat eine „Bubble“ um Akteure wie Frau Vollbrecht nach diesem Muster in der Vergangenheit vor allem Sexarbeiter*innen belästigt, verhöhnt, und bedroht. Diese Hetz- und Troll- „Bubble“, die zugleich (lose, aber robust) mit umstrittenen Gruppen wie dem „Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit“, den Verfasser*innen des queer-feindlichen „Welt“- Beitrags, konservativen Journalist*innen, oder auch rechten US-amerikanischen Think Tanks wie der „Heritage Foundation“ verbunden ist, hat nun trans* Menschen als die neuen „Anderen“ auserkoren.

Angst und Abscheu: Die Entwicklung der „Transgenderideologie“

Dabei treten die folgenden Diskursfiguren immer wieder in Erscheinung. Das sind zum einen direkte und individualisierte Diffamierungskampagnen , wie sie beispielsweise eine in einer polyamorösen Wohngemeinschaft lebende Userin in den letzten Monaten erfahren musste.

Unter „Frau Summer“ firmiert auf Twitter die HU-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die öffentlich bekannt wurde, nachdem ihr Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit bei der Langen Nacht der Wissenschaften wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde. Hier ein Beispiel für die oben beschriebene Kampagne gegen eine Person. Die Tweets sind inzwischen teilweise gelöscht.
Unter „Frau Summer“ firmiert auf Twitter die HU-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die öffentlich bekannt wurde, nachdem ihr Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit bei der Langen Nacht der Wissenschaften wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde. Hier ein Beispiel für die oben beschriebene Kampagne gegen eine Person. Die Tweets sind inzwischen teilweise gelöscht.

© Gestaltung: tsp | Quelle: Twitter

Vertreter*innen der besagten Akteursgruppen erzeugen zudem auch eine Stimmung des Ekels gegenüber trans* Menschen. So wird beispielsweise die Angstvorstellung perpetuiert, dass sich mit dem Selbstbestimmungsgesetz künftig „Männer im Kleid“ in Frauensaunen ihre Genitalien entblößen wollen würden.

Ein weiteres Beispiel, wie Ekel gegen trans Menschen erzeugt werden soll.
Ein weiteres Beispiel, wie Ekel gegen trans Menschen erzeugt werden soll.

© Gestaltung: tsp | Quelle: Twitter

Aber auch trans* Frauen, die eine geschlechtsangleichende OP hatten, würden eine Gefahr darstellen: Denn diese seien nichts anderes als „Männer mit Axtwunden“, welche womöglich aufgrund ihrer Körper die nächste Pandemie verursachen könnten.

Die Frage, wie sich trans Personen respektvoll gegenüber cisgender Menschen verhalten können, wenn etwa in Saunen Nacktheit involviert ist, ist durchaus valide.

Sie wird aber durch ein derartiges Framing überdeckt, stattdessen wird Angst und Abscheu erzeugt. Außeracht gelassen wird zudem, dass sich die meisten trans* Personen ihrer eigenen Körperlichkeit sowieso schmerzlich bewusst sind und derartige Situationen tendenziell meiden.

Ein drittes Muster: Trans* Frauen und Männern wird die Validität und ihr Dazugehören in unserer Gesellschaft abgesprochen, nivelliert wird sogar der Status als eine Gruppe, die gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ausgesetzt ist. So gibt es im besagten Anti-Trans-Netzwerk auf Twitter auch Accounts auf denen behauptet wird, dass trans* Personen nicht vom Holocaust des NS-Regimes in den 1930er und 40er Jahren betroffen gewesen wären.

So wird über trans Frauen auf Twitter gesprochen.
So wird über trans Frauen auf Twitter gesprochen.

© Gestaltung: tsp | Quelle: Twitter

Ferner werden insbesondere trans* Frauen als antifeministische Agent*Innen dargestellt, welche durch ihre bloße Existenz die Kategorie „Frau“ auslöschen wollen würden. Die Idee dahinter ist es, dass sogenannte Transaktivist*Innen (eine Gruppe, die nie klar bestimmt wird) Stimmung dafür machen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufzulösen.

Basierend auf Judith Butlers Theorie der Performativität von Gender solle einem neuem „Idealismus“ der Weg geebnet werden, der auf „Gender-Seelen“ und immateriellen, formbaren Körpern basiere. Diese Behauptung einer Loslösung von der Körperlichkeit ist jedoch weder im philosophischen Werk Butlers zu finden noch reflektiert es die Lebenswelten von trans* Menschen.

Vielmehr nehmen wir an, dass damit das „Grenzobjekt“ Transgenderideologie anschlussfähig an all jene (vor allem ältere) Feminist*innen gemacht werden soll, die in den 1970er Jahren hart für körperbasierte Frauenrechte gefochten haben. Was würde die politische und soziale Kategorie „Frau“ denn noch bedeuten, wenn ihr die materiellen Grundlagen entzogen werden?

Politik der Angst

Solche Fragen beantworten Twitter-Kulturkämpfer*innen mit einem reduktionistischen Biologismus.  Dass Sex und Gender auf diversen somatischen und sozialen Ebenen vielfältig in der Realität miteinander verbunden sind, fällt dabei unter den Tisch. Wer darauf hinweist, wird als verwirrter Ideologe abgestempelt.

Verdunkelt wird dabei das eigentliche Problem. Warum brauchen wir noch Frauenquoten und spezielle Schutzräume für Frauen? Die Antwort: Weil wir als Gesellschaft die Herrschaftsbedingungen des Patriarchats noch immer nicht vollständig durchbrochen haben. Nahezu unbemerkt werden so zwei gesellschaftlich noch immer benachteiligte Gruppen gegeneinander ausgespielt.

Dies trägt auch zu einer gewissen Verwirrung im linken politischen Spektrum bei. Denn dieses ist traditionell an materiellen Ungleichheiten und weniger an scheinbarer „Identitätspolitik“ orientiert. Folglich entstehen Paradoxien, wie etwa ein Endorsement der linken „Taz“ durch die „Demo für Alle“, einer Bewegung, die nicht nur gegen trans* Menschen agitiert, sondern sich auch gegen Frauenrechte wie das Recht auf Abtreibung stemmt.

Ein Beispiel für einen Tweet, in dem der Verlust der Rechts auf Schwangerschaftsabbruch als notwendig im Kampf gegen die vermeintliche Auslöschung der Kategorie „Frau“ bezeichnet wird.
Ein Beispiel für einen Tweet, in dem der Verlust der Rechts auf Schwangerschaftsabbruch als notwendig im Kampf gegen die vermeintliche Auslöschung der Kategorie „Frau“ bezeichnet wird.

© Gestaltung: tsp | Quelle: Twitter

Diese diskursive Unschärfe führt zu Situationen wie jetzt in den USA. Dort wird von geschlechtskritischen Feminist*innen der Verlust von Grundrechten, wie dem auf Schwangerschaftsabbruch, als ein guter Tausch gegen die angebliche Auslöschung der Kategorie „Frau“ durch trans* Menschen legitimiert.

Feminist*Innen aller Couleur sollten sich darum bemühen, dass wir im bundesdeutschem „Gender Trouble“ dieser Tage die eigentlichen Gefahren für die Rechte von Frauen nicht aus den Augen lassen. Denn das ist die Chance, auf die erzkonservative Kräfte jenseits der gesellschaftlichen Mitte bauen.

Es ist an der Zeit, dass wir wieder miteinander in einen Dialog treten, und zwar jenseits des «Grenzobjekts» der Transgenderideologie. Alle menschlichen Körper sind letztendlich immer auch politisch.

Dana Mahr ist Medizinsoziologin und Wissenschaftshistorikerin (Université de Genève, Faculty of Sciences), Eva Mahr: Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaften..

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