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Nicht so schöne Aussichten: Die häufigste Hirschart Nordamerikas ist teilweise durchseucht mit Sars-CoV-2.

© twildlife/Getty

Corona ist ein Bumerang-Virus: Die ernüchternde Botschaft des Weißwedelhirsches

Darüber, ob Sars-CoV-2 von Tieren oder direkt aus dem Labor stammt, wird noch gestritten. Ein anderer neuer Befund ist aber eindeutig - und für das, worauf wir uns einstellen müssen, wichtiger.

Eine irritierende Nachricht war kürzlich im Fachmagazin „Nature“ zu lesen: Routinemäßige Blutproben von 380 Weißwedelhirschen aus mehreren US-Bundesstaaten im Frühjahr ergaben, dass 40 Prozent von ihnen Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut hatten. Die Hirsche müssen sich also mit dem Virus infiziert haben.

Auch in archivierten Proben schon von Anfang 2020 fanden sich Antikörper. Insgesamt dürfte demnach im Nordosten der USA derzeit ein Drittel aller Weißwedelhirsche (Odocoileus virginianus), immerhin die in Amerika am weitesten verbreitete und auch noch eine sehr häufige Hirschart, Antikörper haben.

Wie die Wildtiere mit den Erregern in Kontakt gekommen sind, ob über Menschen, andere Tiere, Abwässer oder etwas anderes, ist bislang ungeklärt. Offen ist auch die Frage, ob sich Hirsche untereinander oder andere Arten anstecken.

Zoonosen für den Menschen, Humanosen für die Tiere

Die Meldung fällt zusammen mit Warnungen von Virologen, die angesichts der pandemischen Ausbreitung von Covid-19 vor der Möglichkeit sogenannter „reverser Zoonosen“ warnen, wie unlängst ein Team um David Robertson an der Universität Glasgow. Denn von Tieren stammende Viren können nicht nur auf den Menschen überspringen wie im Fall von Sars-CoV-2, sondern umgekehrt von diesem auch an andere Tierarten weitergegeben werden. Damit steigt das Risiko weiterer Mutationen des Erregers in solchen tierischen Reservoirs – auch solcher, die verfügbare Impfstoffe wirkungslos machen.

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Das war bereits die Sorge im vergangenen Jahr, als nach ersten Fällen in den USA auch in mehreren europäischen Ländern massenhafte Infektionen bei Nerzen in Pelzfarmen auftraten. Daraufhin wurden allein in Dänemark Millionen Pelztiere gekeult und die Zucht bis Ende 2021 verboten, ebenso in den Niederlanden.

Mit dem Hirsch rücken tierische Wirtsreservoire erneut in den Blick der Forschung, nachdem die Theorie eines Labor-Ursprungs immer wieder davon abgelenkt hatte. Die Problematik von Zoonosen ist nicht nur vor dem Ausbruch von Covid-19, sondern auch im Verlauf dieser Pandemie oft unterschätzt worden. Viele Indizien deuten aber darauf hin, dass wild lebende Tiere oder auch in Farmen gehaltene Pelztiere der Ursprung der Corona-Pandemie sind. Und dass in Zoonosen, die über Wildtiermärkte in chinesische Millionenstädte gelangen, die große Gefahr weiterer, tödlicher Pandemien lauert.

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Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs haben die Geschichte und Geschicke der Menschheit in dramatischer Weise bestimmt. Oft wurde die Bevölkerung ganzer Landstriche ausgelöscht. Was wir heute noch als Kinderkrankheit erleben, waren einst vom Tier auf den Menschen überspringende Seuchen, an denen Abertausende, gar Millionen innerhalb kürzester Zeit starben.

Die Menscheitsgeschichte als Geschichte eingefangener Tierkrankheiten

Sie kamen oft von massenhaft gehaltenen Nutztieren wie Rindern, Schweinen und Hühnern, aber auch von dem Menschen nahen Nagern wie Mäusen und Ratten. Auch Infektionskrankheiten wie Masern und Röteln, die medizinische Lehrbücher noch bis vor Kurzem allein vom Menschen kannten, haben nach jüngsten Erkenntnissen tierische Wurzeln in Rindern, Mäusen und Fledermäusen.

Ebenso verdichten sich für Covid-19 die Hinweise in diese Richtung. Bereits kurz nach Ausbruch der Lungenkrankheit beim Menschen identifizierten chinesische Forscher um Shi Zhengli die Sars-CoV-2 nächstverwandten Viren. Die Proben stammten nicht von kurz zuvor, sondern von schon 2013 in Höhlen in der Provinz Yunnan untersuchten Fledermäusen.

Ein Bild aus Anfangszeiten: Am 7. Februar 2020 misst in Wuhan eine Gemeindemitarbeiterin mit einem Fieberthermometer die Körpertemperatur eines Passanten.|
Ein Bild aus Anfangszeiten: Am 7. Februar 2020 misst in Wuhan eine Gemeindemitarbeiterin mit einem Fieberthermometer die Körpertemperatur eines Passanten.|

© Xiao Yijiu/XinHua/dpa

Ein internationales Team um den Evolutionsbiologen Edward Holmes von der Universität Sydney hat kürzlich auch zwei weitere Virenstämme identifiziert, die sogar noch näher mit Sars-CoV-2 verwandt sind. Insgesamt sind damit vier Fledermausarten der Gattung Rhinolophus aus Yunnan als Reservoire dieser Coronaviren bekannt.

In einer weiteren Arbeit berichtet das Team um Zhengli von Fledermaus-Coronaviren in insgesamt einem Dutzend chinesischer Provinzen. Aber nur die Sars-Viren aus Yunnan können an ACE2-Rezeptoren menschlicher Zellen andocken, die ihnen die Infektion erlauben. „Damit werden bestimmte Gebiete in Yunnan zu Brennpunkten für ein Überspringen“, so Holmes. Weiter entfernt verwandte Coronaviren haben Forscher inzwischen auch in Rhinolophus-Fledermäusen aus Kambodscha, Thailand und Japan isoliert.

Zumindest Teilentwarnung bei Hund und Katze

Als tierische Wirte für Coronaviren wurden sehr bald nach Ausbruch auch asiatische Schuppentiere ausgemacht. Während nahe Hongkong vom Zoll konfiszierte Exemplare weiter entfernt verwandte Viren aufwiesen, ergaben breiter angelegte Probennahmen in Malaysia keine Hinweise auf Infektionen mit Coronaviren. Ohnehin sind die Sequenzen der Viren aus Schuppentier und Mensch genetisch so weit voneinander entfernt, dass sie sich bereits vor vielen Jahrzehnten evolutiv getrennt haben müssen. Die Tiere sind also eher nicht der unmittelbare Ursprung der Covid-19-Pandemie.

Dänemark, Naestved, im November 2020: Tote Tiere einer Nerzherde, die aus 3000 Nerzmüttern und ihren Jungen bestand, werden verladen. Die dänische Regierung hatte angeordnet, dass alle Nerze im Land getötet werden sollen.
Dänemark, Naestved, im November 2020: Tote Tiere einer Nerzherde, die aus 3000 Nerzmüttern und ihren Jungen bestand, werden verladen. Die dänische Regierung hatte angeordnet, dass alle Nerze im Land getötet werden sollen.

© Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix/AP/dpa

Als tierische Reservoire kommen viele Arten infrage, von exotischen Wildtieren wie dem Larvenroller und anderen Schleichkatzen über massenhaft in Pelzfarmen gehaltene Marderhunde und Marderartige bis hin zu Nutz- und Haustieren. Nachweislich können sogar Hunde und Katzen infiziert werden. Sie erkranken aber nicht und geben das Virus offenbar auch nicht an Menschen zurück.

Mehrere Forscher fordern jetzt, dass zum einen Menschen untersucht werden, die Kontakt mit Wild- und Nutztieren haben. Zum anderen sollten systematisch Proben in Pelzfarmen im Süden Chinas sowie anderen Ländern Südostasiens genommen werden. Nur so ließen sich die von vielen Wildtiervirologen favorisierten Hypothesen zum natürlichen Ursprung von Covid-19 überprüfen.

Der Markt, die WHO und ein grober Fehler

Drei davon gibt es: Ein direkter „Spillover“, also Übersprung eines in Fledermäusen entstandenen Sars-Virus auf den Menschen, ist eine Option. Dazu kommen zwei mögliche indirekte Wege zum Menschen über einen tierischen Zwischenwirt, entweder über das Hantieren mit oder den Verzehr von infiziertem Wildtierfleisch. Diese Infektionswege hat auch das WHO-Expertenteam in seinem jüngsten Bericht als „am plausibelsten“ in den Vordergrund gestellt.

Eine zentrale Rolle bei der Frage nach dem tierischen Ursprung spielte von Anfang an der Wildtiermarkt Huanan in Wuhan, wo die ersten bekannten Erkrankten verkehrt hatten. Inzwischen wurde bekannt, dass gerade in Bezug auf diesen Markt der Bericht des WHO-Teams, das erst nach langem diplomatischen Ringen vor Ort in China recherchieren konnte, einen gravierenden Fehler enthält.

„Bestimmte Gebiete in Yunnan werden zu Brennpunkten für ein Überspringen.

Edward Holmes, Evolutionsbiologe an der Universität Sidney

Entgegen einer Aussage darin wurden auf diesem wie auch anderen Märkten in Wuhan durchaus lebende Säugetiere verkauft. In einer bereits im Juli publizierten Studie haben Zhao Min Zhou und Kollegen darauf hingewiesen, dass nahezu 50.000 Tiere aus 38 Arten meist lebend an 17 Ständen in Huanan und drei weiteren Märkten im Zeitraum von Mai 2017 bis November 2019 verkauft wurden. Keiner dieser Shops hätte Herkunfts- oder Quarantänezertifikate gehabt. Sie betrieben illegalen Wildtierhandel, so Zhou.

Millionen Menschen in Kontakt mit Millionen Pelztieren

Solche auf Märkten gehandelten lebenden Tiere, darunter auch die mit den Zibetkatzen nahe verwandten Larvenroller, sind deutlich bessere Überträger von Viren als ihr frisches oder gar eingefrorenes Fleisch. Daneben fanden sich auch Marderhunde und Nerze auf den Märkten. In Pelzfarmen, in denen diese Tiere gehalten werden, arbeiteten allein in China nach Daten für 2016 etwa 14 Millionen Menschen.

Klar ist inzwischen, dass das neuartige Sars-Virus bereits Ende 2019 in China und vor allem in Wuhan mit seinen elf Millionen Menschen zirkulierte. Die nun verfügbaren Indizien weisen immer deutlicher auf eine Infektionskette hin, die von Wildtieren oder von Tieren in Farmen über die Märkte zu Menschen in Wuhan reicht.

Hunderte Fledermäuse an einer Höhlendecke, Indonesien, Bali.
Hunderte Fledermäuse an einer Höhlendecke, Indonesien, Bali.

© imago/blickwinkel

Und die jüngsten Berichte über reverse Zoonosen zeigen, wie flexibel das Virus zwischen Tier und Mensch als Wirt zu wechseln vermag. Eine noch nicht veröffentlichte Studie eines Teams um Jürgen Richt von der Kansas State University ergab auch hohe Virenlasten bei experimentell infizierten trächtigen Hirschkühen. Dazu kam der Befund, dass die Alpha-Variante auch bei diesen Tieren erfolgreicher zu sein scheint als die ursprüngliche.

Die Befunde sprechen insgesamt dafür, dass die Evolution zukünftig noch einige weitere Überraschungen parat halten wird. Die Auswirkungen von in Menschen entstehenden neuen Varianten kann man mit konsequentem Impfen zumindest mildern. Wenn neben solchen auch von verschiedensten Tierarten immer wieder neue Virenstämme in die Bevölkerung eingespeist werden würden, würde das den Umgang mit Sars-CoV-2 jedenfalls nicht leichter machen.

Und was bei den Weißwedelhirschen auch nicht gerade vorteilhaft ist: Sie gehören nicht unbedingt zu den scheuesten Wildtierarten und halten sich, so stand es auch in „Nature“ zu lesen, gerne in Menschennähe auf, etwa auf Golfplätzen und sonstigen Rasenflächen.

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