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Der Astrophysiker Reinhard Genzel konnte nachweisen, dass sich im Zentrum der Milchstraße ein schwarzes Loch befindet, das alles verschluckt, selbst Sterne und Kommunikationswellen.

© picture alliance / dpa / Illustration Zhaoyu Li/Shanghai Astronomical Observatory

Nobelpreisträger Reinhard Genzel über Schwarze Löcher: „Die Nachbargalaxie Andromeda ist auf Kollisionskurs“

Der deutsche Astrophysiker erhält nun die höchste Ehrung für Forschende. Was er über gefräßige schwarze Löcher denkt und vom nächsten Superteleskop erwartet.

Der deutsche Astrophysiker Reinhard Genzel bekommt zum 10. Dezember den Physik-Nobelpreis verliehen, den er zusammen mit Roger Penrose und Andrea Ghez erhält. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching wird dafür nicht nach Stockholm reisen. Wegen der Corona-Pandemie soll ihm die Medaille zuvor vom schwedischen Botschafter in der Bayerischen Staatskanzlei überreicht werden.

Herr Professor Genzel, der Tradition folgend wird Ihnen jetzt im Dezember der Nobelpreis verliehen. Allerdings haben wir eine Pandemie, wie läuft es dieses Mal ab?
Es gibt keine Verleihung, zu der alle Preisträger nach Stockholm kommen. Es ist schade, dass wir uns nicht sehen, aber die Pandemie lässt nichts anderes zu.
In ein Flugzeug würde ich mich jetzt ohnehin nicht setzen. Geplant ist nun, dass der Schwedische Botschafter mir die Urkunde und die Medaille am kommenden Dienstag in der Bayerischen Staatskanzlei überreicht. Ministerpräsident Markus Söder ist auch dabei. Das wird alles gefilmt und am 10. Dezember bei einer Online-Veranstaltung präsentiert.

Fehlt Ihnen etwas, wenn es nur im kleinen Rahmen stattfindet?
Natürlich ist eine große Verleihung eine tolle Sache. Auf der anderen Seite ist es mir auch recht, dass mir das Reisen erspart bleibt. Es gibt Überlegungen, dass wir bei der Preisverleihung 2021 mit dazukommen. Mal sehen, ob das klappt.

Was ich mit dem Geld vom Nobelpreis mache – das muss ich noch überlegen

Astrophysiker Reinhard Genzel

Was werden Sie mit dem Preisgeld in Höhe von 2,5 Millionen Schwedischen Kronen machen?
Ist das so? Das müssen wir doch noch dividieren ...

... nein, das ist Ihr Anteil, umgerechnet rund 250 000 Euro.
Ich habe in der Vergangenheit schon hoch dotierte Ehrungen bekommen, etwa den Craaford-Preis. Da habe ich das Geld dann teilweise an mein Team gegeben oder an die Max-Planck-Gesellschaft oder nach Berkeley, wo ich ebenfalls forsche. Was ich mit dem Geld vom Nobelpreis mache – das muss ich noch überlegen.

Reinhard Genzel (68) ist Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Den Physik-Nobelpreis erhält er gemeinsam mit Roger Penrose und Andrea Ghez.
Reinhard Genzel (68) ist Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Den Physik-Nobelpreis erhält er gemeinsam mit Roger Penrose und Andrea Ghez.

© Promo / MPE

Sie werden gemeinsam mit dem Theoretiker Roger Penrose ausgezeichnet sowie Andrea Ghez. Die US-Forscherin hat wie Sie nachgewiesen, dass sich im Zentrum unserer Milchstraße ein schwarzes Loch befindet. Wie erklären Sie einem Nicht-Astrophysiker wie mir, was das für ein Objekt ist?
Das ist relativ einfach. Betrachten wir zuerst die größte Geschwindigkeit, mit der Kommunikation möglich ist. Das ist die Lichtgeschwindigkeit. Dann stellen Sie sich zweitens eine Rakete vor, die eine bestimmte Geschwindigkeit braucht, um die Schwerkraft der Erde zu überwinden und ins All zu fliegen.
Die Schwerkraft wird immer größer, je größer die Masse ist. Und sie wird auch größer, je kleiner das Objekt ist. Wenn Sie also die Erde hernehmen und in Gedanken immer kleiner machen bis auf einen Zentimeter Durchmesser, dann würde die Rakete selbst mit Lichtgeschwindigkeit nicht fortkommen.
Und auch kein anderes Objekt, nicht einmal Licht. Damit haben Sie das erste Phänomen. Es gibt keine Kommunikation zwischen dem inneren Bereich des schwarzen Lochs und dem äußeren, jenseits des sogenannten Ereignishorizonts.

Sie können die Rakete auch nicht mehr anhalten oder umkehren, Sie werden hineinfallen

Astrophysiker Reinhard Genzel

Gut, es kommt also nix raus.
Genau. Der zweite Teil ist auch recht einfach zu verstehen. Wenn Sie den Mut haben, mit Ihrer Rakete nicht rausfliegen zu wollen, sondern reinzufliegen, hinter den Ereignishorizont, dann können Sie nicht mehr nach außen funken. Und Sie können die Rakete auch nicht mehr anhalten oder umkehren, Sie werden hineinfallen. Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie ist die Masse eines schwarzen Lochs in einem unendlich kleinen Volumen vereint. Das ist schwer vorstellbar und es ist auch wahrscheinlich falsch.

Warum?
Weil die Allgemeine Relativitätstheorie nur Vorgänge auf großen Skalen beschreiben kann. Auf kleinen Skalen muss es eine Quantentheorie der Gravitation geben. Viele Forscher arbeiten daran, aber wir kennen sie noch nicht. Vielleicht finden wir sie in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht.

Da sieht man, wie erfindungsreich die Natur ist

Astrophysiker Reinhard Genzel

Auch was die Masse von schwarzen Löchern betrifft, könnte es noch Überraschungen geben. Kürzlich mutmaßten Forscher, es seien welche mit bis zu 100 Milliarden Sonnenmassen möglich. Was denken Sie?
Die größten Objekte, die wir derzeit kennen, haben um die zehn Milliarden Sonnenmassen. Dieser Wert ist bedingt durch die Größe der Milchstraßensysteme und dadurch, ob es im jungen Kosmos ausreichend Zeit gab, genug Materie in die schwarzen Löcher hineinzubringen.
Die massivsten schwarzen Löcher sind in den dicksten Galaxien, die früh mit anderen großen Galaxien kollidiert und verschmolzen sind. Nimmt man alles zusammen, erreicht man bei zehn Milliarden Sonnenmassen eine Art Schallmauer; 100 Milliarden, das kann ich mir nicht vorstellen.

Schauen wir ans andere Ende der Skala zu den massearmen schwarzen Löchern, können da noch weitere Spezies gefunden werden?
Da dachte man lange Zeit, dass es sogenannte stellare schwarze Löcher gibt, die aus einem ausgebrannten Stern hervorgehen und fünf bis zehn Sonnenmassen haben – und gut ist. Von wegen! Nun haben Gravitationswellenphysiker welche gefunden mit einigen Dutzend bis 150 Sonnenmassen.
Da sieht man, wie erfindungsreich die Natur ist. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, welche Prozesse dahinterstecken, dass solche mittelschweren schwarzen Löcher existieren. Es ist durchaus möglich, dass es auch Objekte mit 1000 Sonnenmassen gibt, nur haben wir sie noch nicht gefunden. Es könnte ebenso sein, dass es noch kleinere Objekte gibt. Aber es wird schwer, die zu finden, weil sie nur begrenzt wirken.

Mein Universum ist im Computer

Astrophysiker Reinhard Genzel

Müssen wir Angst haben, dass eines um die Ecke kommt und uns verschluckt?
Nein. Nehmen wir das schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Damit es uns gefährlich würde, müsste es mit 100 Millionen Mal mehr Materie gefüttert werden, als es aktuell bekommt. Das passiert schon mal, wenn zwei Galaxien so richtig prächtig zusammenknallen. Womöglich passiert das gerade, die Nachbargalaxie Andromeda ist auf Kollisionskurs. Aber das dauert noch zwei, drei Milliarden Jahre. Das wird uns nicht mehr betreffen.

Schauen Sie des Nachts häufiger in den Sternenhimmel oder reicht Ihnen die Messzeit an großen Teleskopen?
In einer städtischen Umgebung ist ja kaum noch etwas zu sehen wegen des Streulichts überall. Wenn man auf einem Berg wie dem Paranal in Chile, wo die Teleskope der Europäischen Südsternwarte stehen, nachts nach oben schaut, das ist schon toll. Aber normalerweise ist meine Beziehung dazu weniger romantischer Art. Mein Universum ist im Computer.

Wie geht es für Sie persönlich weiter? Sie haben die Pensionsgrenze erreicht, müssen Sie Ihre Position als Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik verlassen?
Ich habe das Glück, dass die Max-Planck- Gesellschaft mir bereits erlaubt hat, noch einige Jahre weiterzuforschen. Eigentlich sollte ich ja schon im Ruhestand sein. Aber es gibt noch so viel Tolles zu tun, und es wäre fantastisch, wenn ich da noch mitmachen könnte. Wir bauen gerade das erste Instrument für das Extremely Large Telescope (ELT), das 2025 in Betrieb gehen soll. Ich würde das gern noch erleben.

Es wird das größte optische Teleskop der Welt sein. Was wollen Sie damit ansehen?
Da gibt es ganz vieles. Das ELT ist aufgrund der riesigen Sammelfläche 30- bis 50-mal empfindlicher als alles, was wir bisher haben. Damit wird man vielleicht die ersten großen Sternhaufen sehen, die sich nur wenige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall gebildet haben. Wenn wir heute in die Weiten des Alls schauen, können wir sozusagen in der Zeit zurückblicken bis rund 800 Millionen Jahre nach dem Urknall. Da noch weiter zu kommen, bis man die erste Generation von Sternen sieht, und zu erforschen, was in dieser Zeit geschehen ist, das wäre schon toll.

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