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Wann und wie das Bundesgesundheitsministerium die Ärzteausbildung reformieren wird, ist teilweise unklar.

© Kitty Kleist-Heinreich

Falsche Prioritäten: Lauterbach spielt Impfkommission – und vernachlässigt die Reform des Medizin-Studiums

Statt Impfempfehlungen auszusprechen, sollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Ärzteausbildung endlich reformieren, meint unser Kolumnist.

Karl Lauterbach scheut keinen Konflikt, wenn er etwas für richtig hält. Gerade legt er sich wieder einmal mit der Ständigen Impfkommission an, die eine vierte Corona-Impfung erst für Menschen ab 70 für sinnvoll erklärt hat. Der SPD-Gesundheitsminister hält im Spiegel dagegen: Er würde den erneuten Booster auch Jüngeren empfehlen, „da hat man einfach eine ganz andere Sicherheit“.

Ob es für einen Gesundheitsminister angemessen ist, Stiko zu spielen, darüber lässt sich womöglich noch streiten. Irritierend ist in jedem Fall, dass Lauterbach Aufgaben, die zweifelsohne zum Kernbereich seiner Jobbeschreibung gehören, schleifen lässt. Selbst wenn sie für das langfristige Wohlergehen der Gesellschaft ebenfalls von großer Bedeutung sind.

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Vor fünfeinhalb Jahren haben die Wissenschafts- und Gesundheitsminister von Bund und Ländern den „Masterplan Medizinstudium 2020“ beschlossen. Nach jahrelangem Poker. Denn seine 37 Punkte buchstabierten nicht nur die schon damals überfällige Generalüberholung der Ärzteausbildung aus, vor allem mit einer frühzeitigen Praxisorientierung „am Patienten und seinen Bedürfnissen“. Sondern die Reform, das war schon damals klar, würde teuer werden.

So teuer, dass sich Bund und Länder, Wissenschafts- und Gesundheitspolitiker seitdem um die Rechnung streiten. Deren genau Höhe allerdings selbst Konfliktgegenstand ist. Der Medizinische Fakultätentag (MFT) hat einmalige „Transformationskosten“ von rund 175 Millionen Euro errechnet, dazu dauerhaft 32.000 bis 40.000 Euro mehr pro Erstsemester-Studienplatz und Jahr – weil bessere Betreuungsverhältnisse nötig seien, eine intensivere Lehre auch im ambulanten Bereich und aufwendigere Prüfungsformate.

Kein Zeitplan und keine Details bei der überfälligen Reform

Hat der MFT Recht, würde das dauerhaft rund 400 Millionen Euro mehr pro Jahr bedeuten. Während die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), in einer allerdings ungleich schlichteren Rechnung, nur auf knapp 6000 Euro mehr pro Studierendem kommt, die Angaben der Fakultäten aber ihrerseits für „nicht nachvollziehbar“ hält.

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

So oder so hatten viele große Hoffnung in Lauterbach gesetzt, dass er nach seiner Amtsübernahme auf einen Kompromiss hinarbeiten würde. Das Vehikel: die Novelle der Ärztlichen Approbationsordnung, die sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) nicht über einen von Ländern und Verbänden verrissenen Referentenentwurf hinausgebracht hatte. Sie soll wesentliche Anforderungen an die Medizinstudium-Reform festlegen. Und gleichzeitig die Kostenfrage klären.

Doch Lauterbach drückt auf die Bremse. Bei der MFT-Jahresversammlung Mitte Juni sagte der Gesundheitsminister lediglich, er wolle die Novelle „gern voranbringen“, ohne Details oder einen Zeitplan zu nennen. Will er die Sache aussitzen? Angesichts von geschätzt vier, fünf Jahren Vorlauf, den Länder und Fakultäten für den flächendeckende Umbau der Ärzteausbildung brauchen, könnte sich am Ende sogar eine Umbenennung in „Masterplan Medizinstudium 2030“ als zu optimistisch erweisen.

Der Bund schürt Konflikte mit seinen fehlenden Finanzzusagen

Dafür gab es hinter den Kulissen Signale des Gesundheitsministeriums an die Länder zum Thema Zusatzkosten: Der Bund zahlt gar nichts. Was angesichts der diskutierten monetären Größenordnungen in den Ländern für Fassungslosigkeit sorgt. Und den dortigen Konflikt weiter schürt.

Denn so wie Bund und Länder pokern, tun das auch die Fachministerien. Die Gesundheitsseite sieht die Finanzierungsverantwortung vor allem bei den Wissenschaftsministerien. Die Wissenschaftsministerien sagen, sie hätten schon jetzt zu wenig Geld, um die Universitäten auskömmlich zu finanzieren.

Blieben sie auf den Reformkosten sitzen, müssten andere Fachrichtungen für die Medizinreform bluten. Oder, wahrscheinlicher, die Zahl der Medizin-Studienplätze müsste sinken. Obwohl spätestens durch die Corona-Pandemie der Ärztemangel eklatant geworden ist.

Einen Abbau würden die Ministerpräsidenten wohl kaum zulassen, aber die Drohung allein zeigt, dass die Wissenschaftsministerien sich in die Ecke gedrängt fühlen. Während Karl Lauterbach den mutigen Anwalt der Patienteninteressen gibt, ändert sich dank seines Mittuns im Medizinstudium des Jahres 2022: gar nichts.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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