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© Nancy Lytle

Fiktive Wilde und reale Despoten: Erste Retrospektive der Künstlerin Coco Fusco

Ihr Werk ist so gewaltig wie ihr Einfluss auf die Kunstdiskurse in Amerika und Europa. Im KW Institute for Contemporary Art sind nun Arbeiten aus drei Jahrzehnten zu sehen.

Die junge Frau auf dem Foto trägt ein Baströckchen und eine Zopffrisur mit eingeflochtenen Muscheln. Ein knallrot geschminktes Gesicht, ein Grinsen für die Kamera hinter Gitterstäben: Gemeinsam mit ihrem ebenso karnevalistisch-krass ausstaffierten Künstlerkollegen Guillermo Gómez-Peña ging Coco Fusco zwischen 1992 und 1994 mit der Performance „Two Undiscovered Amerindians Visit the West“ auf Tour. Die angebliche Sensation eines Insulanerpärchens aus dem Golf von Mexiko, erstmals in Kontakt mit „der Zivilisation“, wurde auf öffentlichen Plätzen und in Museen in Madrid, London oder New York präsentiert.

Neben dem Käfig mit den klischeehaft agierenden „Eingeborenen“ erläuterten zwei Dozenten deren Herkunft und Lebensweise. Nicht wenige im Publikum fielen auf den Mummenschanz herein. Andere blickten zwar durch, bezahlten aber trotzdem einen kleinen Beitrag für ein Selfie mit dem ausgestellten Paar. „Die Idee des Wilden ist eine Fiktion, aber sie hat kulturelles Gewicht“, sagt Coco Fusco 30 Jahre später in Berlin, „also will man die Exoten mit Bananen füttern, sie tanzen sehen und will ihnen dämliche Fragen stellen.“

Die Zurschaustellung indigener Menschen hat Tradition

Kulturelle Missverständnisse und Missverhältnisse sind ein zentrales Thema ihrer Kunst. Die Retrospektive der US-Künstlerin in den Berliner Kunst-Werken setzt mit der legendären „Undiscovered Amerindians“-Performance ein. Der so viele auf den Leim gingen, weil die Zurschaustellung indigener Menschen – in Zoos oder aristokratischen Salons – auf einer uralten Tradition beruhen. Fusco, die auch als Autorin gefragt ist, hat diese Geschichte der „Otherness“ und der Präsentation von „Wilden“ seit Columbus in Texten und filmischen Essays aufgearbeitet.

Die Künstlerin, Autorin und Kuratorin Coco Fusco.

© Aurelio Fusco

Die drei Jahrzehnte umspannende Schau macht mit einer Künstlerin und Denkerin bekannt, deren Einfluss auf die jüngeren Kunstdiskurse in den Amerikas und in Europa riesig ist. Gewaltig ist auch die Breite ihres multidisziplinären Werks: Fusco hat über ethnografische Ausstellungen, Sextourismus in der Karibik, Arbeitsbedingungen in Freihandelszonen und Verhöre im „War on Terror“ gearbeitet. Dass in Berlin nun ihre erste Überblicksschau überhaupt stattfindet, hängt sicher auch mit ihrem Weitblick zusammen, mit ihrer Neugier auf zuvor übersehene Zusammenhänge. Jede Performance, jede Video- oder Fotoarbeit geht sehr speziell auf das jeweilige Thema ein. Ästhetische Lösungen wiederholen sich kaum. Es gibt bei Fusco keine „Markenzeichen“, die beim breiten Publikum Aha-Effekte auslösen. Sie ist ein „Artists’ Artist“ – eine Künstlerin, die vor allem von anderen Kulturschaffenden wertgeschätzt wird.

In der Souterrainhalle der KW sind fünf ihrer Filme über Kuba zu sehen, die in den vergangenen acht Jahren entstanden sind. Fusco widmet sich darin den komplizierten Beziehungen zwischen Dichter:innen, Poesie und revolutionärer Politik auf Kuba. Der Ausstellungstitel „Tomorrow, I Will Become an Island“ bezieht sich auf ein Gedicht des kubanischen Poeten Virgilio Piñera. „Ich bin auf einer Insel, Manhattan, geboren“, sagt Fusco, „und ich bin sehr mit Kuba, der Insel in der Karibik, verbunden, denn meine Mutter stammt von dort und ich bin immer wieder dort gewesen.“ 2015 hat Fusco, die auch als Kuratorin tätig ist, ein Buch über Performancekunst in dem Inselstaat herausgebracht: „Dangerous Moves: Performance and Politics in Cuba“.

Genau hinsehen. Differenzieren. Kritisch bleiben.

Die chronologisch aufgebaute Ausstellung zeigt eine Verschiebung ihres Werks, die der globalen politischen Entwicklung geschuldet ist. Bis in die Nullerjahre beschäftigte sich Coco Fusco vorrangig mit rassistischen Klischees und mit „Racial Profiling“, etwa in einem großartigen Videoessay über die Jagd des FBI auf die US-Wissenschaftlerin und Aktivistin Angela Davis. Heute treibt sie vor allem die Frage um, warum Gesellschaften wider besseres Wissen Autokraten zur Macht verhelfen. „Abu Ghuraib, Guantanamo Bay, Trump im Oval Office – das sind alles Dinge, die ich mir nicht hätte vorstellen können“, sagt Fusco selbstkritisch, „doch wir alle hätten mit diesen Dingen rechnen müssen. Wir müssen das öffentliche Gespräch darüber befördern, dass rechte Politik von Trump bis Marine Le Pen – dass das kein Witz ist. Das ist real! Aber wir, die wir in einer privilegierten Situation sind, unterschätzen es, als beträfe es uns nicht.“

Anfang Dezember soll ihre neue Performance „Antigone Is Not Available Right Now“ in den Berliner Sophiensælen uraufgeführt werden. Coco Fusco spielt in dem Stück die Rolle der Presseagentin der mythischen Antigone, die „seit 2500 Jahren gegen Autoritarismus kämpft“, wie die Künstlerin erklärt. „Jetzt ist die Rebellin müde geworden. Sie sagt den Leuten, die sie um Beistand bitten: ‚Ihr bittet mich ständig darum, gegen vermeintliche Despoten anzugehen – und dann wählt ihr noch mehr Faschisten’“. Genau hinsehen. Differenzieren. Kritisch bleiben. Von Coco Fusco kann man das lernen.

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