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Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, bei einem Termin im November 2021.

© dpa/Bodo Schackow/Archiv

Gewalt gegen Politiker: Thüringer Verfassungsschutz-Chef rechnet mit „noch mehr Exzessen“

Stephan Kramer zufolge ist Gewalt für Teile der Gesellschaft ein „legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung“. Daher fordert er rechtsstaatliche Kosequenzen und eine neue Debattenkultur.

Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen, Stephan Kramer, rechnet nach dem Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke mit weiterer Gewalt.

„Teile der Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren zunehmend radikalisiert und sehen Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung an“, sagte Kramer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Wut und Hass seien alltäglich spürbar, selbst in bürgerlichen, also nicht extremistischen Gruppen. Deshalb und aufgrund der bevorstehenden Wahlen sei „noch mit mehr solchen Exzessen zu rechnen“, sagte der Verfassungsschützer.

Kramer hält eine „konsequente rechtsstaatliche Ahndung solcher Gewalttaten“ für erforderlich. Außerdem müsse sich die Debattenkultur ändern.

„Wir brauchen jetzt Besonnenheit und konsequentes rechtsstaatliches Handeln - sowie Politiker, die die Sorgen, Ängste und Emotionen der Menschen ernst nehmen und sie abholen“, sagte er.

Buschmann will besseren Schutz für Politiker

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderte derweil eine Debatte über bessere Sicherheitsvorkehrungen für Parteivertreter. „Wir müssen jetzt diskutieren, ob es bessere Schutzkonzepte braucht, ob man mehr Präsenz von Polizei beispielsweise in Einkaufszonen hat, wo häufig die Infostände der Parteien stehen“, sagte der FDP-Politiker am Montagabend im Sender Phoenix. Nötig seien nun Gespräche mit den Sicherheitsbehörden vor Ort.

Buschmann sieht allerdings unterschiedliche Rahmenbedingungen in deutschen Städten. „Die Lage in Dresden ist vielleicht eine andere als in Mainz“, sagte er. „Das sollte man nicht alles über einen Kamm scheren.“

Klar sei jetzt schon, dass der Haupttäter von Dresden mit einer harten Bestrafung rechnen müsse, sollten sich die Vorwürfe erhärten. „Dann wird er eine empfindliche Strafe bekommen, und das muss auch so sein“, betonte Buschmann. „Das ist eine Straftat und völlig inakzeptabel, wenn ein Mensch einen anderen aus welchen Gründen auch immer zusammenschlägt.“ Politik und Bürger müssten immer wieder deutlich machen, dass Gewalt in einer Demokratie in keine Auseinandersetzung gehöre.

Reul: Unmöglich, alle Politiker einzeln zu beobachten

Nach dem gewaltsamen Übergriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke beraten die Innenminister von Bund und Ländern am Dienstagabend über mehr Schutz für Politiker. NRW-Innenminister Herbert Reul glaubt aber nicht daran, dass sich der Schutz von Politikerinnen und Politikern durch mehr Polizeipräsenz wesentlich verbessern lässt. „Ist doch irre zu glauben, wir könnten alle Politiker einzeln beobachten“, sagte Reul am Dienstag im „Morgenecho“ auf WDR 5. „Allein von der Menge geht's nicht“, so Reul. „Es sind doch Zehntausende.“

So viele Polizisten gebe es gar nicht, zumal die auch noch alles andere machen müssten. Dazu komme: „Ich will so eine Gesellschaft auch nicht, wo neben jedem Politiker auf der Straße auch noch ein Polizist steht. Ist schon schlimm genug, wenn ich welche um mich rum habe.“ Man dürfe sich jetzt nicht verrückt machen lassen, sagte der CDU-Politiker: „Wir dürfen uns nicht von ein paar Verrückten unsere Gesellschaft und unsere Art, Politik zu machen und Demokratie zu organisieren und miteinander zu reden und Bürgernähe zu haben, kaputt machen lassen.“

Reul sagte, hinter dem Problem stehe eine allgemeine Verrohung und Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, die sich nicht nur gegen Politiker richte, sondern zum Beispiel auch gegen Feuerwehrleute, Polizisten oder Lehrer. Er warne davor zu glauben, es gäbe „so was wie die Superlösung“ dafür. „Solange es in dieser Gesellschaft diese Haltung gibt von Gewalt in der Sprache und Gewalt auch im Handeln, werden wir das nur begrenzt in den Griff kriegen. Wir können nicht jeden Einzelnen hundertprozentig rund um die Uhr schützen.“

Sachsen Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte tags zuvor außerdem eine Bundesratsinitiative Sachsens angekündigt, mit der die Bedrohung von Amts-, Mandatsträgern und Ehrenamtlern als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll.

SPD-Bundeschefin Saskia Esken reagierte verhalten auf diesen Vorschlag. „Was Herr Schuster vorschlägt, ist eine Art Privilegierung von bestimmten Menschen“, sagte sie am Dienstag bei MDR-Aktuell. Ein Ausschluss von Teilen der Bevölkerung von diesem Schutz sei schwer vorstellbar. Außerdem sei unklar, wer genau mit Amtsträgern oder Ehrenamtlichen gemeint sei. „Das finde ich schon sehr schwierig.“

Am Freitagabend war der SPD-Politiker Ecke in Dresden beim Anbringen von Wahlplakaten angegriffen und schwer verletzt worden. Er ist Europa-Abgeordneter und sächsischer Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl am 9. Juni. Ecke kam nach dem Angriff in ein Krankenhaus und wurde operiert.

Die Polizei hat erste Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund des Angriffs. Das Landeskriminalamt Sachsen ordnet einen der insgesamt vier mutmaßlichen Täter im Alter von 17 bis 18 Jahren der Kategorie „politisch motiviert rechts“ zu. (epd)

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