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Asyl in der Kirche.

© epd / Jochen Günther

40 Jahre Mitmenschlichkeit gegen Abschiebung: „Leider sind Kirchenasyle immer noch nötig“

Vor 40 Jahren stürzte sich ein Flüchtling aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts. Die Tragödie markierte den Anfang der Kirchenasyl-Bewegung. In Berlin wird jetzt der Ereignisse gedacht.

Am Anfang stand ein schreckliches Ereignis. Aus Angst vor einer Auslieferung an die Türkei stürzte sich am 30. August 1983 der 23-jährige politische Flüchtling Cemal Kemal Altun aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichts in der Hardenbergstraße. Dort erinnert heute ein Denkmal an Altuns Verzweiflungstat, die sein damaliger Verteidiger, der spätere Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) hilflos mit ansehen musste.

Altuns Tod bewegte die protestantische Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg als erste deutsche Kirchengemeinde dazu, abgelehnten Asylbewerber*innen Schutz zu gewähren – es war der Start der bundesweiten Kirchenasylbewegung. Hunderte Flüchtlinge haben seitdem engagierte Gemeindemitglieder mit ihrer Arbeit vor einer Abschiebung bewahrt. 

Zum 40. Jahrestag des Kirchenasyls wird von der Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ und „Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg“ der damaligen Ereignisse gedacht. „Leider sind Kirchenasyle immer noch nötig“, sagt Pfarrer Bernhard Fricke, Vorsitzender von „Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg“: „Verletzte und verletzliche Menschen zu beraten, zu begleiten, zu unterstützen ist unsere Aufgabe als Mitmenschen und als Christinnen und Christen.“

Die Teilnahme an der Veranstaltung am 30. und 31. August in der Heilig-Kreuz-Kirche, zu der auch Gäste aus Kanada, den USA, Mexiko, Guatemala, Griechenland und Polen erwartet werden, ist kostenlos.

Altuns Tod veränderte vor 40 Jahren die politische Debatte in Deutschland. Altun hatte in Deutschland politisches Asyl beantragt, doch die türkische Militärdiktatur forderte wegen angeblicher Verbrechen seine Auslieferung. Altun saß 13 Monate lang in Auslieferungshaft, weil auch die damalige CDU-FDP-Bundesregierung seiner Auslieferung zugestimmt hatte, um den Nato-Partner Türkei nicht zu verärgern.

Die Gemeinde der Heilig-Kreuz-Kirche hatte sich schon vor Altuns Sprung in den Tod für bedrohte Asylbewerber engagiert. Bereits im Frühjahr 1983 gab es in der Heilig-Kreuz-Kirche einen Hungerstreik für Altuns Freilassung. Auch am Trauerzug zum Friedhof der Heilig-Kreuz-Gemeinde beteiligten sich tausende Berliner*innen.

Aktuell gibt es nach Angabe des bundesweiten Netzwerks „Asyl in der Kirche“ insgesamt „431 aktive Kirchenasyle mit mindestens 655 Personen, davon sind etwa 136 Kinder“. 405 Kirchenasyle sind „Dublin-Fälle“, bei denen Menschen die Überstellung in ein anderes EU-Land droht. In diesem Jahr wurden bis August bereits 285 Kirchenasyle beendet, teilt „Asyl in der Kirche“ mit. Für Gemeinden ist das Asyl eine schwere Belastung. Neben den Räumlichkeiten für die Flüchtlinge muss die Gemeinde vollständig für den Lebensunterhalt der Menschen aufkommen und eventuelle medizinische Behandlungen zahlen oder den Schulbesuch der Kinder organisieren.

Repressionen gibt es immer wieder

Auch in Berlin und Brandenburg kümmern sich etliche Gemeinden um Flüchtlinge, die bei ihnen Zuflucht gefunden haben. Ende Juni, so die aktuellste Zahl, gab es in Berlin 87 aktive Kirchenasyle mit insgesamt 118 Personen, davon 22 Kinder. Das ist für Berlin gegenüber der letzten zwei Jahre ein Höchststand.

In Brandenburg kümmern sich 21 Kirchengemeinden um 34 Menschen, davon 11 Kinder. Welche Gemeinden sich für Flüchtlinge in Not engagieren, gibt „Asyl in der Kirche“ nicht bekannt, um Repressionen oder Strafverfahren zu vermeiden.  

Denn solche Repressionen gibt es immer wieder. Die staatlichen Stellen und die Polizei respektieren zwar meist das Kirchenasyl, es gab in der Vergangenheit aber etliche Strafanzeigen gegen Pfarrer oder Gemeindemitarbeiter*innen. Auch Geldstrafen wurden verhängt.

Im Juli 2023 kam es im Kreis Viersen (NRW) sogar zu einer gewaltsamen Räumung eines Kirchenasyls. Die betroffene Familie konnte aber „glücklicherweise“ nach zwei Wochen Abschiebehaft wieder ins Kirchenasyl zurückkehren, berichtet „Asyl in der Kirche“.

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