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Auch in anderen Bezirken wie hier in Kreuzberg gibt es Poller.

© imago/Jürgen Ritter

Update

Justiz gegen Poller: Gericht stoppt Verkehrsberuhigung in Berlin-Pankow

Der Bezirk muss die Sperren in einer Wohnstraße wieder abbauen. Fraglich ist, inwieweit die Entscheidung auch „Kiezblocks“ in anderen Bezirken betrifft.

| Update:

Durchgangsstraßen dürfen nur bei besonderen Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs gesperrt werden. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Berlin einem Eilantrag stattgegeben, der sich gegen die Sperrung des Nesselwegs in Berlin-Rosenthal (Bezirk Pankow) durch Poller richtete.

Das Bezirksamt Pankow hatte die schmale Wohnstraße im August 2023 mit Schildern und Pollern auf halber Strecke zwischen Schönhauser und Friedrich-Engels-Straße für den Durchgangsverkehr gesperrt. Zuvor hatte die Bezirksverordnetenversammlung Maßnahmen zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs gefordert.

Das Tempolimit auf dem beliebten Schleichweg werde aus Sicht der Anwohner oft deutlich überschritten, die schmalen Gehwege von Autos befahren. Das gefährde Kinder auf dem Weg zur Kita oder zur Schule, hatte Verkehrsstadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) den Pollerbau begründet. Die lokale CDU hatte die Anwohner unterstützt.

Richter äußern „ernstliche Zweifel“

Das Bezirksamt ließ daraufhin in Höhe der Straße „An der Priesterkoppel“ die für Müllabfuhr und Rettungsdienst herausnehmbaren Poller errichten. Laut Stadträtin Anders-Granitzki sollte durch die Sperre „der Schutz der Bewohner vor Abgas- und Lärmbelastungen sowie die Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs“ erhöht werden.

Der kleine Nesselweg zweigt von der Friedrich-Engels-Straße ab.

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Über den dagegen eingelegten Widerspruch eines Klägers ist noch nicht entschieden, aber der Eilantrag hatte Erfolg. Nach Auffassung der Richter bestehen „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufstellung der Sperrpfosten und sonstiger Verkehrsschilder“. Die nach der Straßenverkehrsordnung einzuhaltenden Vorgaben seien nicht erfüllt. Am Nesselweg seien weder besonderer Verschleiß der Straße noch ein erhöhtes Risiko für Lärm- und Abgasbelastung der Anwohner ersichtlich. Im Nesselweg gelte Tempo 30, das – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 km/h – weitgehend eingehalten werde.

Fehlende Messungen zu Lärm- und Abgasbelastung

Das Bezirksamt habe die Lärm- und Abgasbelastung nicht gemessen und „eine erhöhte Gefahrenlage nicht dargelegt“, erklärte das Gericht. Wenn es sich auf Gefahren wegen des starken Verkehrs oder des Verhaltens der Autofahrer berufe, hätte das Amt Angaben über aktuelle Verkehrs- und/oder Unfallzahlen sowie Verstöße machen müssen.

Das Gericht verwies darauf, dass auch die Polizei Bedenken gegen die Sperren hatte. Selbst ein Mitarbeiter des Bezirksamtes habe bei einem Ortstermin 2022 keine Gefährdungen festgestellt. Fazit: „Das Bezirksamt muss die Sperrung aufheben und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Verkehrszeichen und -einrichtungen vorerst entfernen.“

Die reichs- und jetzt bundeseinheitliche Priorisierung des durchgehenden Autoverkehrs gilt weiter.

Roland Stimpel, Vorstand des Fachverbandes FUSS e.V.

Der Bezirk kann gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen. Ob er das tut, ließ das Büro der Verkehrsstadträtin auf Anfrage offen: Man prüfe das Urteil, hieß es nur.

Unklar ist, inwieweit die Entscheidung auf andere Projekte zur Verkehrsberuhigung übertragbar ist. Die Bezirksämter Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg hielten sich auf Anfrage mit Einschätzungen zurück. Aus Neukölln hieß es, dass die Pankower Pollersperre etwas anderes sei als ein „Kiezblock“, wie ihn das Bezirksamt zurzeit im Reuterkiez umsetze. Dort seien bislang keine Klagen bekannt.

Der in vielen Kiezblock-Initiativen aktive Verein „Changing Cities“ sieht in der Gerichtsentscheidung das Resultat einer „verwaltungstechnisch unsauber umgesetzten Einzelaktion“. Die anderswo entwickelten Kiezblocks beruhten jeweils auf einem Gesamtkonzept. Auch die Verkehrsverwaltung teilte auf Anfrage mit, dass sich aus dem konkreten Fall keine allgemeinen Rückschlüsse für Kiezblocks ziehen ließen.

Roland Stimpel, Vorstand des Fachverbandes FUSS e.V., sieht in dem Gerichtsbeschluss „immer noch die Früchte der Verkehrsrechtszentralisierung von 1934“. Nach dem jüngsten Scheitern der StVO-Novelle im Bundesrat gelte weiter „die reichs- und jetzt bundeseinheitliche Priorisierung des durchgehenden Autoverkehrs“.

Ein Sprecher der Verkehrsverwaltung drückte denselben Befund diplomatischer aus: „Wir halten es durchaus für möglich, dass das Gericht anders entschieden hätte, wäre die StVO-Novelle im Bundesrat angenommen worden. Die StVO-Neuregelung sah eine erleichterte Anordnung von Verkehrsbeschränkungen zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung vor. Sie forderte hierfür nicht mehr das Vorliegen einer qualifizierten Gefahrenlage, worauf sich nun die vorliegende Entscheidung beruft.“

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