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Der Arbeitsmarkt funktioniert wie jeder Markt: IT-Fachkräfte werden dringend gesucht und können mehr Geld einfordern.

© dpa/Sebastian Gollnow

Exklusiv

Studie zur Digitalwirtschaft: Wo beim Standort Berlin noch Luft nach oben ist

Eine Studie zeigt: Die Berliner Digitalwirtschaft ist robust und wächst. Doch hohe Gehaltswünsche, Wohnungsnot und lahmes Internet könnten die Branche bremsen.

IT-Fachleute verdienen im Vergleich zu anderen Branchen in Berlin überdurchschnittlich viel Geld. Ihr Gehalt lag 2021 mit etwa 5250 Euro weit über den rund 3600 Euro, die Beschäftigte in der Hauptstadt im Durchschnitt erhielten. Trotzdem ist diese Bezahlung vielen anscheinend nicht hoch genug. Unternehmen geben an, ein „wesentliches Hemmnis“, um Fachkräfte zu gewinnen, seien „die Gehaltsvorstellungen der Bewerber“.

Das ist ein Ergebnis einer Studie, die die Investitionsbank Berlin (IBB), die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) und die Berliner Sparkasse (BSK) gemeinsam erstellt haben und die der Tagesspiegel vor Veröffentlichung einsehen konnte.

Wertschöpfung und Beschäftigte in der Berliner Digitalwirtschaft

© Tsp/Bartel | Quelle: Studie von IBB, Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg und Berliner Sparkasse (Daten von Bundesarbeitsagentur, Statistischen Landesämtern)

Der Fachkräftemangel ist somit kein Naturereignis, sondern auch eine Frage der Arbeits- und Standortbedingungen. Berlin steht im internationalen Wettbewerb um die besten IT-Talente, Städte wie Zürich, Amsterdam oder London zahlen deutlich höhere Gehälter. Auch im Bundesdurchschnitt liegen die Entgelte in der IT-Branche einen Prozent darunter. Immerhin konnte Berlin die Lücke in den vergangenen Jahren schließen.

Weil Berlin jedoch nach wie vor junge Menschen anzieht – wegen des kulturellen Lebens und der liberalen Gesellschaft –, können die Betriebe offene Stellen schnell besetzen. „Berlin hat den Vorteil, dass viele Leute hierherkommen wollen. Die Stadt kann die Fachkräftenachfrage leichter befriedigen als andere Städte in Deutschland, sie ist einfach attraktiver“, sagt Claus Pretzell, Mitautor der Studie und Volkswirt bei der IBB. Die sogenannte Vakanzzeit, also der zeitliche Abstand zwischen der Ausschreibung und der Besetzung einer Stelle, liegt deutlich unterhalb des Bundesdurchschnitts.

Johannes Evers, Vorstandsvorsitzender der Berliner Sparkasse, sagt ebenfalls, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften mit den Rahmenbedingungen zusammenhänge – „sei es mit Blick auf den Ausbau der IT-Infrastruktur oder die Schaffung von ausreichend Wohnraum.“ Zwar suchen viele Betriebe nach Fachkräften, trotzdem kamen 2022 immer noch etwa sechs Bewerber:innen auf eine IT-Stelle.

Berlin liegt hinter München und Dresden

Insgesamt arbeiten rund 130.000 Menschen in der Berliner Digitalwirtschaft. Seit 2008 ist jeder fünfte neue Job in Berlin in einem Unternehmen dieses Segments entstanden. Damit liegt die Hauptstadt hinter München und Dresden. In Berlin arbeiten etwa 760 Personen pro 10.000 Beschäftigte in der Digitalwirtschaft, in München sind es 913.

Den meisten Umsatz pro Jahr, mit 9,7 Milliarden Euro, erwirtschaftet der Kernbereich, hierunter fallen Software- und Datendienstleister. Stark gewachsen ist in den vergangenen Jahren auch der Onlinehandel, auf den mit etwa 5,5 Milliarden Euro rund ein Drittel der Umsätze des regionalen Einzelhandels entfallen.

130.000
Menschen sind in der Berliner Digitalwirtschaft beschäftigt.

Allerdings fließt ein großer Teil dieses Umsatzes nicht nach Berlin, da bestimmte Vorleistungen wie Waren aus anderen Regionen kommen. Der Wertschöpfungsanteil am Umsatz des Internethandels liegt mit 13 Prozent deutlich unter dem Wertschöpfungsanteil der Berliner Gesamtwirtschaft. Das weist auf kleinere Gewinnspannen hin, sagt der Volkswirt Pretzell.

Verdienste und Jobchancen in der Berliner Digitalwirtschaft

© Tsp/Bartel | Quelle: Studie von IBB, Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg und Berliner Sparkasse (Daten von Bundesarbeitsagentur, Statistischen Landesämtern)

Zudem könne man davon ausgehen, dass am Onlinehandel eine Dunkelziffer von Personen hänge, die unter das statistische Radar fielen. Dazu zählten beispielsweise Fahrradku­rier:innen, die als Soloselbstständige arbeiteten, tatsächlich aber scheinselbstständig und damit von den Firmen sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden müssten.

Doch auch ohne diese Schattenkräfte arbeiten in Berlin mit rund 23.000 Beschäftigten mehr Menschen im Onlinehandel als in Hamburg, Köln, München und Leipzig zusammen. Jeder achte deutsche Arbeitsplatz in diesem Segment ist in der Hauptstadt angesiedelt.

Wachstumsmotoren: 5G und Breitbandnetz

Während Berlin diese Statistik anführt, bleibt München für Firmen, die die Nähe zum produzierenden Gewerbe suchen, attraktiv. „München hat den Vorteil, dass dort viel Industrie angesiedelt ist, zum Beispiel Siemens und Infineon“, sagt Pretzell. „Viele dieser Firmen haben ihre Forschungs- und Entwicklungshubs aber nach Berlin geschoben, der Markt für diese Jobs ist groß.“

Darüber hinaus ist die Digitalwirtschaft wie keine andere Branche auf schnelles Internet angewiesen. Das kann München besser bieten als Berlin: Bei den Unternehmensanschlüssen von Glasfaser mit mindestens 1000 Megabit pro Sekunde kommt München auf etwa 65 Prozent, Berlin schafft es nur auf 12 Prozent.

Damit Berlin an das Wachstum der Vorjahre anschließen kann, appelliert Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der UVB, an den neuen Senat, dieser solle die Standort- und Lebensbedingungen fördern „mit einem industriefähigen und flächendeckenden Breitbandnetz, leistungsfähigen 5G-Mobilfunknetzen und mit einem deutlich höheren Tempo bei der Digitalisierung von Verwaltung und Bildung.“

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