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Apartments von Berlinovo Immobilien an der Fischerinsel 13 bis 15 in Berlin-Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich/Tagesspiegel

Kleingärten sollen Studi-Appartements weichen: Sarrazins Sparpolitik kommt Berlin heute teuer zu stehen

Bei einem Bauprojekt in Berlin-Wilmersdorf lassen sich die irren Folgen der Privatisierungen auf dem Berliner Immobilienmarkt exemplarisch studierten, meint unser Gastautor.

Ein Gastbeitrag von Phillip Oswalt

Thilo Sarrazin veröffentlichte 2010 seine Schmähschrift „Deutschland schafft sich ab“. Doch mit seinen verschwörungstheoretischen Hassreden verdeckte Sarrazin, dass er selbst längst gesellschaftliche Demontage betrieb. Von 2002 bis 2009 war der damalige SPD-Politiker Berliner Finanzsenator und trieb die schon zuvor begonnene Privatisierung von öffentlichen Liegenschaften weiter voran.

Am Ende dieses Prozesses waren 320.000 Wohnungen und über 10.000 Grundstücke mit einer Fläche von 21 Quadratkilometern aus öffentlichem Eigentum privatisiert. Die Folge dieser Politik (wenn auch nicht von ihr alleine): ein eklatanter Mangel an preiswerten Mietwohnungen und explodierende Immobilienpreise.

Der ehemalige Finanzsenator Thilo Sarrazin bei einer Buchvorstellung im Jahr 2018.

© imago/IPON / Stefan Boness/ipon

Inzwischen ist der Ausverkauf der Stadt beendet. Stattdessen kauft die Stadt punktuell Grundstücke und Wohnungen zurück, zu einem Vielfachen der einstigen Verkaufspreise. Doch diese Politikwende hat oft nur symbolischen Charakter, wenn überhaupt.

Exemplarisch dafür ist ein aktuelles Projekt der Berlinovo, der landeseigenen Immobiliengesellschaft. Vor kurzem hat sie einen Kaufvertrag für ein Grundstück in Berlin Wilmersdorf unterschrieben, um Ecke Prinzregentenstraße / Waghäusler Straße eine Kita und 259 Apartments für Studierende zu errichten.

Das erscheint bei der eklatanten Wohnungsnot auf den ersten Blick sinnvoll, ist es aber nicht. Der Grundstückspreis betrug angeblich 16 Millionen Euro, mehr als der Bodenrichtwert von aktuell 5500 Euro je Quadratmeter und über dem Zehnfachen der Preise, für die Berlin wenige Jahre zuvor seine eigenen Grundstücke verscherbelt hat.

Maximale Dichte, minimale Ausstattung

Berlinovo ist allerdings keine Wohltätigkeitsorganisation oder gemeinnütziger Träger, sondern unterliegt dem Primat von Wirtschaftlichkeit und Rendite. Was tun, um den exorbitanten Grundstückspreis und die rasant gestiegenen Finanzierungs- und Baukosten zu decken? Maximale Dichte, minimale Ausstattung, kleinst mögliche Wohnungsgröße, höchstmögliche Miete.

Die Bebauungsdichte mit einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,83 mehr als doppelt als ursprünglich zulässig. Die sogenannten „Appartements“ haben eine Größe von 18 Quadratmetern zuzüglich eines Gemeinschaftsflächenanteils von 1,4 Quadratmetern und sollen jeweils 490 Euro monatliche Miete warm kosten, also stolze 25 Euro je Quadratmeter. Balkone gibt es keine und die Gemeinschaftsflächen sind minimiert.

Das Ganze als einen Wohnungsbau zu bezeichnen, wäre ein unzulässiger Euphemismus. (...) Früher hätte man diese Kaninchenställe genannt.

Philipp Oswalt

Die „Gestaltung“ des Büros Deluse Architects ist Resultat einer rigiden finanziellen Optimierung, eines unbegrenzten Bauwirtschaftsfunktionalismus, in den Darstellungen unbeholfen bemäntelt mit einer unplausiblen Fassadenbegrünung – Greenwashing primitivster Form. Das Ganze als einen Wohnungsbau zu bezeichnen, wäre ein unzulässiger Euphemismus. Es ist eine Akkumulation minimierter Unterkunftszellen zu überhöhten Preisen. Früher hätte man diese Kaninchenställe genannt. Womit wir beim zweiten Skandalon des Vorhabens sind.

Ein wertvolles Biotop soll weichen

Das Grundstück war in der 800-jährigen Geschichte Berlins noch nie bebaut. Ab 1930 stand neben der Grünfläche die Synagoge Prinzregentenstraße, die dem Novemberpogrom von 1938 zum Opfer fiel. Während das Synagogengrundstück Ende der 1950er Jahre überbaut wurde, legte man Kleingärten auf der Freifläche an. Heute stellen sie ein wertvolles innerstädtisches Biotop dar, in dem neben Obstbäumen, Gemüsebeeten, Bienenhaltung und vielem mehr auch einige bedrohte Pflanzen- und Tierarten ihre Heimat gefunden haben.

Apartments von Berlinovo Immobilien in der Storkower Straße in Berlin-Lichtenberg.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Und was passiert in dem Moment, wo ein Großteil der Gesellschaft das Problem der Klimakrise endlich verstanden hat – die letzten acht Jahre waren die acht heißesten der Menschheitsgeschichte? Der rot-rot-grüne Senat kauft das Grundstück, um die Kleingärten zu planieren, das Gelände zu versiegeln und zu überbauen. Wie ist das zu verstehen?

Der Senat selbst spricht von einer Klimanotlage, problematisiert den gerade in den Innenstadtlagen hohen Versiegelungsgrad und die damit einhergehende Aufheizung und vergibt Fördermittel für Entsiegelungen. Nun ja, das Förderprogramm zur Klimaanpassung hat für ganz Berlin ein Volumen von 2,4 Millionen Euro. Das mag für ein paar Pressefotos zur Einweihung der Förderprojekte gut sein, bei dem Politiker rote Bänder durchschneiden. Aber anders könnte man mit dem Geld mehr erreichen.

Etwa wenn der Senat prüfen würde, wie auf seinen eigenen Liegenschaften durch Nachverdichtung auf bereits versiegelten Flächen Neubaupotenziale geschaffen werden können. So finden sich mehrere Landesliegenschaften mit Baupotenzial in der Nachbarschaft der zum Abriss vorgesehenen Kleingärten. Aber Berlinovo hat sich nicht die Mühe gemacht, diese Alternativen zu prüfen, denn es ist leider nach wie vor weitaus einfacher, eine Grünfläche zu überbauen und damit zu zerstören, als im Bestand zu bauen.

Berlinovo macht aus ihrem Vorgehen auch kein Geheimnis. Sie suchen Grundstücke mit „kurzfristigem Entwicklungspotenzial“. So kann die Landespolitik zumindest auf dem Papier bella figura machen: 260 Wohnungen, das ist doch was!

Für Anwohner nicht plausibel

Leider gibt es aber noch ein Problem: Die Bürgerinnen und Bürger. Denen ist nicht unbedingt plausibel, dass dies ein sinnvolles Vorgehen ist. Das war schon vor drei Jahren ein Problem. Da protestierten die Kleingärtner derselben Kolonie gegen ein anderes Neubauvorhaben des Landes auf einer benachbarten Gartenfläche, mit Erfolg. Damals gab der Senat klein bei und entschied, für die gewünschte Erweiterung der Wangari-Maathai-International-School einen alternativen Lösungsweg zu beschreiten, der die Kleingärten verschont. Geht also.

Aus diesem Prozess hat die Politik gelernt. Die Schlussfolgerung war allerdings nicht, Alternativen schon gleich zu Planungsbeginn zu prüfen und das städtische Grün zu schonen. Vielmehr kam man zu dem Schluss: Wenn Bürgerproteste drohen, muss man die Sache so lang wie möglich geheim halten und Fakten schaffen. Und dies trotz der recht gutem „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der räumlichen Stadtentwicklung“ des Senats, die 2019 beschlossen wurden.

Aber im Zweifelsfall handelt man doch lieber ohne Bürgerbeteiligung. Von der Planung für das Kleingartengeländes wurde die Betroffenen bislang offiziell noch gar nicht informiert. Auch die Bezirksverordneten erfuhren erst im Spätsommer 2022 von dem Vorhaben, als die wesentlichen Weichen schon gestellt waren. Von da ab war das Projekt nicht mehr zu verheimlichen. Aber mit einem anhaltenden Protest gegen das Projekt konfrontiert, heißt es jetzt: Der politische Prozess ist abgeschlossen, da ist nichts mehr zu machen. Fait accompli, vollendete Tatsachen.

Zur Befriedung allgemeiner Frustrationen zieht die Senatsbaudirektion im Berliner Zentrum ein paar Kulissen der vermeintlich guten alten Zeit als Identifikationsangebot hoch. Ein bisschen anheimelnde Altstadt, ob am Molkenmarkt oder Marx-Engels-Forum. Für solche Symbolpolitik gibt es dann etwas mehr Geld als für Studentenbuden. Die weniger Betuchten haben dann wenigstens mal was zum Angucken und können mit dem 29-Euro-Ticket hinkommen – wenn die U-Bahn nicht gerade mal wieder unterbrochen ist.

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