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Der Gewerbehof Lehrter Straße 57 in Berlin-Moabit - ein Vorzeigeobjekt. Doch immer öfter wird Gewerbe aus der Innenstadt verdrängt.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Verdrängung von Handwerk aus den Kiezen: Berlin baut wieder eigene Gewerbehöfe

Um das Handwerk mit der Start-up-Kultur zusammenzubringen, plant der Senat einen landeseigenen „Gewerbehof 2.0“ in Lichtenberg. Managen soll ihn die Wista GmbH.

Die Kleingärtner von nebenan hatten schon ein Auge auf das Grundstück geworfen: 1,2 Hektar mit abrissreifen Gebäuden und vielen Bäumen, aber das Bezirksamt von Lichtenberg erteilte eine Absage. Kitas oder Schulen hätten hier Platz finden können, dafür gebe es im Bezirk zwar viel Bedarf, aber nicht an diesem Standort, sagt Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke). Da kam das Angebot, an der Bornitzstraße 101 einen „Gewerbehof der Zukunft“ zu errichten, den ersten landeseigenen Gewerbehof überhaupt, finanziert und gemanagt von der Adlershofer Wista-Gesellschaft, doch sehr recht.

Am Montag hoben Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) Wista-Chef Roland Sillmann und Handwerkskammer-Präsidentin Carola Zarth das Projekt aus der Taufe. 60 Millionen Euro sind dafür veranschlagt, bisher ist das aber nur eine grobe Schätzung, denn außer dem landeseigenen Grundstück an der Bornitzstraße existiert der „Gewerbehof 2.0“ bis jetzt vor allem als Idee. Bis zum Einzug könnten fünf Jahre vergehen, sagt Sillmann. Immerhin hat der Aufsichtsrat der Wista schon mal Planungskosten von zwei Millionen Euro bewilligt.

Eine Konzeptstudie zum modularen Gewerbehof 2.0

© Wista GmbH

Der Gewerbehof soll in modularer Bauweise entstehen, bis zu fünf Etagen hoch. Die einzelnen Werkstattmodule sollen an ein Gemeinschaftsmodul andocken. Das Konzept des Gewerbehofs 2.0 ist, an einem Standort klassisches Handwerk mit der kreativen Start-up-Szene zu verschmelzen. Die unterschiedlichen Denk- und Arbeitsweisen sollen sich gegenseitig herausfordern und anregen, damit gemeinsame Projekte und neue Unternehmensideen entstehen.

Wir haben in 25 Jahren knapp 300 Hektar Gewerbeflächen verloren.

Michael Grunst, Bezirksbürgermeister von Lichtenberg

Stephan Schwarz nennt das Konzept „Crossover“ und „eine befruchtende Symbiose“. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft verfolgt damit vor allem zwei Ziele: Die Handwerksberufe wieder attraktiver machen bei den Schulabgängern und die Verdrängung des Handwerks aus der Innenstadt bremsen. „Wir haben in 25 Jahren knapp 300 Hektar Gewerbeflächen verloren“, sagt Grunst.

300
Hektar Gewerbeflächen gingen innerhalb von 25 Jahren verloren.

Das Thema Verdrängung liegt vor allem Kammerpräsidentin Carola Zarth am Herzen. „Wir wollen unsere Handwerksbetriebe in den Kiezen halten.“ Sie habe das Thema seit ihrem Amtsantritt zur „Chefinnensache“ erklärt, fast täglich würden betroffene Handwerker anrufen. Wobei sie zwar Lobbyarbeit für mehr rechtlichen Schutz von Gewerbemietern betreiben kann, im konkreten Fall aber kaum helfen, räumt sie auf Nachfrage ein.

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Der Standort Bornitzstraße liegt aus Sicht der Kreativen schon deutlich außerhalb der angesagten Innenstadt-Kieze, aber die Sicherheit eines längeren Mietvertrags mit einem Mietpreis von zehn Euro pro Quadratmeter dürfte einige Vorbehalte zerstreuen. Außerdem soll der neue Gewerbehof „mit modernster Kommunikationsinfrastruktur ausgestattet werden, die es ermöglicht, die digitale Transformation im Handwerk durch innovative Anwendungen wie VR/AR und Robotik voranzubringen“. Stichwort 5G. „Breitband liegt an“, sagt Sillmann.

Symbiose aus Handwerk und Forschung: der Maler-Roboter

Als Prototyp der angestrebten Verschmelzung von Handwerk und digitalen Start-ups durfte die Firma Conbotics ihren Maler-Roboter vorstellen. Der mobile Roboter streicht Wände und Decken, vor allem dort, wo große Flächen zu verschönern sind. Die Erfindung soll nicht das Maler-Handwerk ersetzen, aber viele monotone, zeitfressende Tätigkeiten übernehmen, damit die eigentlichen Profis sich um Gestaltungsfragen und das Beraten der Kunden kümmern können.

Bei Conbotics entstand die Idee allerdings nicht durch das gegenseitige Kennenlernen von Start-up-Gründern und Handwerkern, sondern durch Überlegungen dreier Ingenieure, wie Roboterlösungen für die Baubranche aussehen könnten. Cristian Amaya und seine Co-Gründer waren am Fraunhofer-Institut in Berlin im Bereich Robotik und Automatisierung beschäftigt. Gegenwärtig sind sie eher am Vernetzen mit Investoren interessiert, die ihnen die nächsten Schritte auf dem Weg zur Serienproduktion finanzieren.

Die Wista glaubt trotzdem an das Modell der „hybriden Gewerbehöfe“. In einem Projekt mit der Technischen Universität untersuche man gerade, welche Arbeitsumgebung nötig sei, damit Handwerker und Kreative gut zusammenarbeiten, erklärt Sillmann. Im Wista-Gründerzentrum CHIC in Charlottenburg wolle man das dann konkret ausprobieren.

Berlin hatte mal einen landeseigene Gesellschaft, die vor allem aus klassischen Berliner Hinterhof-Gewerbehäusern bestand, die Gewerbe-Siedlungsgesellschaft GSG, doch das 1965 gegründete Unternehmen wurde 2007 verkauft - aus heutiger Sicht ein Fehler, aber „damals gab es eine völlig andere wirtschaftliche Situation mit 30 Prozent Leerstand“, erklärt Schwarz. Beschwerden über den Verkauf habe es 2007 nicht gegeben, auch nicht von der Handwerkskammer, deren Präsident er war.

„Heute hätte ich gerne eine GSG“, sagt Schwarz. Aber das Projekt in Lichtenberg sei ein „neuer Ansatz“ und vielleicht die „Keimzelle für eine neue GSG“. Weitere Gewerbehöfe nach dem neuen Muster in anderen Bezirken sollen jedenfalls folgen.

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