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Kleben und kleben lassen. So sehen viele Autos aus, die unter Linden parken und lange nicht benutzt wurden.

© dpa/Peter Zimmermann

Blattläuse auf Berliner Straßenbäumen: So entsteht der Bio-Kleber unter den Linden

Verkleisterte Autos, schmatzende Geräusche an Schuhen und beim Radeln – Honigtau liegt auf der Stadt. Der nervt, ist aber ein bedeutender Bestandteil der Natur.

Ist das noch normal oder müsste man das verbieten? Viele Berliner Straßen kleben zurzeit, als wäre die „Letzte Generation“ mit dem Uhu-Zerstäuber durchgezogen. Autos sind von einer schmierigen Schicht überzogen, beim Radfahren und Laufen entstehen schmatzende Geräusche auf dem speckig glänzenden Belag. Das Phänomen ist nicht neu, aber in diesem Jahr besonders auffällig.

Die Verursacher sitzen zu Abertausenden in den Straßenbäumen, insbesondere in den Linden, die mit 150.000 der insgesamt 430.000 Exemplare die häufigste Baumart an Berlins Straßen sind. Myriaden von Blattläusen saugen Pflanzensaft von den noch frischen, an Linden für ihre Rüssel besonders gut erreichbaren Trieben und Blattadern. Den scheiden sie als Honigtau wieder aus – eine im Wesentlichen aus Zucker bestehende, vitaminhaltige und sehr nahrhafte Flüssigkeit. Die produzieren sie zurzeit in solchen Mengen, dass Passanten einen leichten Sprühregen wahrnehmen können.

Normalerweise wird dieser klebrige Film regelmäßig von Regen weggespült. Aber in vielen Stadtteilen ist seit sechs Wochen kein Tropfen mehr gefallen, und auch in den nächsten Tagen sind allenfalls lokale Schauer und Gewitter in Sicht, die die zuckersüße Masse wohl kaum komplett beseitigen können. Das ist zugleich eine gute Nachricht: Sie ist problemlos wasserlöslich.

Auch unser Leben ist abhängig von Blattläusen.

Derk Ehlert, Naturexperte der Berliner Umweltverwaltung

Die Bäume werden durch die Invasion der Blattläuse zwar bei starkem Befall geschwächt, aber nach Auskunft von Derk Ehlert nicht ruiniert. Der Naturexperte der Umweltverwaltung beschreibt das Blattlaus-Pipi als bedeutenden Bestandteil der natürlichen Nahrungsketten: „Ameisen ernähren sich zu etwa zwei Dritteln von Honigtau“. Deshalb sind, wo es Blattläuse gibt, auch Ameisen nie weit. Sie halten sich die Läuse als Nutztiere, die sie durch Stimulation des Hinterteils regelrecht melken. Zugleich schützen sie die Blattläuse vor Fressfeinden wie Marienkäfern und allerlei Raubinsekten.

Auch bei Vögeln sind die Blattläuse als Nahrung beliebt – weshalb man sie auch im heimischen Garten keinesfalls mit der chemischen Keule bekämpfen sollte, weil das Insektizid am Ende nicht nur die Läuse auf Rosen und Obstgehölzen vergiftet, sondern auch den Nachwuchs beispielsweise von Meisen.

Die Spezialisierung der Ameisen auf den Honigtau geht nach Auskunft von Ehlert so weit, dass einzelne Exemplare besonders viel davon aufsaugen, von Artgenossinnen in den Bau transportiert werden und ihre Vorräte dann – lebend – ganz allmählich abgeben, sodass der Ameisenstaat insgesamt und für längere Zeit profitiert.

Die Honigtauschwemme dauert laut Ehlert übrigens nicht mehr allzu lange: Wenn die jungen Triebe der Bäume über den Sommer stabiler werden und zu verholzen beginnen, kommen die Blattläuse kaum noch an den Pflanzensaft heran und werden weniger. „Auch unser Leben ist abhängig von Blattläusen“, betont Ehlert und erklärt die Kette: Die Läuse ernähren Ameisen, die wiederum Biomasse in für Pflanzen verwertbare Stoffe umwandeln und damit anderen Pflanzen das Wachstum erst ermöglichen.

Die Ameisen zapfen den süßen Saft direkt frei Laus, manche Bienenarten dagegen holen ihn da ab, wo er kleben bleibt – typischerweise von Bäumen. Vor allem in Nadelwäldern, in denen Bienen kaum für sie nahrhafte Blüten finden, nutzen sie diese Option. „Und wir kaufen das dann für teures Geld als Waldhonig“, sagt Ehlert.

Während für die Straßenbäume einfach gilt „Abwarten und umparken“, kommt zur Bekämpfung der Läuse im Garten konzentrierter Schwarzer Tee infrage oder die Pflege von Nützlingen, die die Blattläuse vertilgen. Das sind neben Singvögeln und Marienkäfern auch Raubwespen, die in naturnahen Gärten besser zurechtkommen als in blitzblank geharkten. Die Ameisen lassen sich von Obstgehölzen am besten mit um den Stamm gewickelten Leimringen fernhalten. Die sind zwar beim Anbringen eine sehr klebrige Angelegenheit, aber wer sein Auto unter Linden parkt, kennt dieses Gefühl ohnehin.

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