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Berlin: Die Essenz der Streuobstwiese

Unsere Probierrunde kostete gemischte und sortenreine Apfel-Direktsäfte aus dem Berliner Handel

Den Apfel sollte man nicht mit der Birne vergleichen, sondern mit der Traube; und da fällt auf, dass er weitaus weniger Glanz besitzt. Das mag am geringeren Veredelungspotential liegen, aber auch am Umstand, dass er so allgegenwärtig ist wie die Kartoffel. Eine weiterer Vergleich drängt sich auf: der mit der Erdbeere. Genau wie sie bestimmen wenige Sorten das Angebot, die sich gut lagern, gezielt nachreifen und problemlos transportieren lassen – von rationellem Anbau und maschineller Ernte ganz zu schweigen. Gala Royal, Geflammter Kardinal, Gelber Köstlicher, Gloria Mundi, Graf Etzo, Goldparmäne, Hasenkopf: Diese Apfelsorten beeindrucken bereits durch ihre Namen. Als Früchte gelangen sie selten über ihr Anbaugebiet hinaus. Doch als Exzerpte, die sich besser konservieren lassen, finden manche von ihnen den Weg in die Großstadt – als Bestandteile im Streuobst-Apfelsaft oder im sortenreinen Saft.

Die monatliche Testrunde, der nicht entgangen war, dass sich auf diesem Gebiet in den letzten Jahren viel getan hat, traf sich im Restaurant „Hugos“ im 14. Stock des Hotels Interconti am Rande des Tiergartens. In Küchenchef Thomas Kammeier fand sich obendrein ein Gastgeber, der bei seiner Arbeit die Perspektive des geistreichen Genießers einnimmt. Nicht nur, wenn er am Herd steht, sondern gerade auch, wenn es um die Auswahl von Lebensmitteln geht. Bei diesen Voraussetzungen verstand es sich eigentlich von selbst, dass aus Konzentrat hergestellte Säfte nur zur Abschreckung ins Glas kamen.

Mit Streuobst-Probanden einer großen Apfelnation wurde begonnen. Doch der „Jus de Pommes La Passion du Verger“ und „Andros Pommes Pressées“ aus den Galeries Lafayette wirkten ausgekocht und pelzig, man ahnt eher Laub und Kerngehäuse statt Frucht, wenn nicht gar Schimmel. Ihnen gegenüber schlugen sich die Vertreter aus dem Discount beachtlich. „BioBio“ von Plus riecht besser als er schmeckt, gibt sich aber sanft und birnig. „Gut & Günstig Premium“ befördert Schale im Duft und erinnerte Kammeier unversehens an die Zeit, als Oma und Mutter Apfelkompott einweckten. Lidls „Vita fit“, der charaktervollste unter den Dreien, brachte die Gedanken auf Friedrich Schillers Schreibtischschublade, die der Dichter zuweilen aufzog, um runzeliges Fallobst zu schnüffeln.

Die drei Biosorten von Eo Komma in der Reichsstraße nahmen sich ebenfalls nicht viel, allerdings auf deutlich entwickelterem Niveau. „Alnatura Apfel“ ist ein „grüner“, etwas saurer Typ, der im Gaumen ein Echo von Granny Smith ausbildet, „Voelkel naturtrüb“ besitzt eine feine Cox Orange-Nase und bewegt sich geschmacklich dann in Richtung Birne sowie Sanddorn, und „Beutelsbacher Direktsaft aus frischem Streuobst“ legt eine angenehme Zucker-Säure-Schicht auf die Zunge, bevor eine Cremigkeit, die an einen kräftigen Sauvignon Blanc denken lässt, den Gaumen komplett ausfüllt.

Beim Saft aus der Uckermärker „Mosterei Heinz Klimmek“, der bei Markt Pur gekauft wurde, drängt sich Unreife in den Vordergrund, die von dumpfer Süße grundiert wird. Der bei Krohn besorgte Naturtrübe vom „Biolandhof Mammoißel“ bei Luckau riecht nach Überreife, und das volle Apfelaroma wechselt im Mund calvadosartig zur Schale. Das Erzeugnis aus dem Hohenlohischen von „Ebbes“ vertraut dagegen auf mostartige Eindeutigkeit des Fruchtfleischs - unangefochten der Kraftmeier des Tages.

Den vorigen gegenüber gefiel der von Weiß-Blau stammende trübe Apfelsaft der „Obstkelterei Rauh“ in Oberfranken mit edlem Geruch, der eine fabelhafte Apfelstruktur verriet. Kaffeeröster Wilhelm Andraschko, als Wiener mehr dem Mostigen zugetan, hob seine satte Dichte hervor sowie seine Eignung als Schorle, weil Rauh die Mineralität des Tafelwassers nicht untergehen lässt. Doch den Sieg bei den Streuobstsorten trug die „Apfelgalerie“ davon. Der dort angebotene Naturtrübe beweist, dass aus dem Zufallsspiel einer Streuobstwiese so etwas wie eine Cuvée entstehen kann. Jedenfalls vereinen sich Noten aus Blüte, Williams Christ, weißem Pfirsich, Traube und sogar Apfelkuchen-Duft zu einem geschlossenen Ganzen.

Bei den sortenreinen Säften waren sieben Favoriten unter sich. Anziehend macht sie die Tatsache, dass sich bei ihnen ein prägnantes Einzelaroma auffächert und in die Tiefe verfolgt werden kann. Manufactum führt drei Säfte aus dem „Stift Klosterneuburg“, die sehr unterschiedlich ausfallen. Der birnig- sanfte „Jonagold“ bringt die Erinnerung an einen Modeapfel der Neuziger Jahre zurück, beim zuckrigen „Golden Delicious“ diagnostizierte Thomas Kammeier: „Er kann nicht mehr hergeben als er ist.“ Am würzigsten wirkte der facettenreiche, ein bisschen klebrige „Elstar“.

Kelter, Schale und etwas Aprikosen-Parfum gehen in den Duft von Shampion ein. Der Saft von einer Kreuzung aus Cox Orange und Golden Delicious stammt aus dem „Bio-Obsthof Wolfgang Riedel“ in Angermünde und ist hier im vorbildlichen Joachimsthaler Biosupermarkt erhältlich. Zestig, säurearm und im Hintergrund an Nuss erinnernd, bleibt er genauso eine Sache für Liebhaber wie die Sorte „Undine“ vom selben Hof. Letztere ist sozusagen ein Barrique-Typ, der holzig- flachen Boskop-Charakter mit lebendiger Säure verbindet.

Umso eindeutiger fiel der Sieg an den Wiener Essigkünstler Erwin Gegenbauer. Dessen „Rubinette“, die beim Gastronomieversorger Lindenberg angeboten wird, kommt, wie Andraschko sich ausdrückte, „ganz leise und fein daher“. Elemente wie Quitte, Karamell und ein Anflug von Eiswein machen ihn zu einem denkbar unrustikalen Apfelsaft, von dem sich Kammeier vorstellen könnte, eine Foie gras zu glasieren. Vitaler und breiter gefächert erscheint Gegenbauers „Cox Orange“. Noch im Extrakt ist neben ätherischer Wucht, die dem zweiten Namensteil des Apfels gerecht wird, und erfrischender Säure noch Biss zu spüren – und es scheint, als würde die Kälte des Trunks durchs Aroma noch betont.

„Über Rosen lässt sich dichten, /In die Äpfel muss man beißen", sagte Goethe. Heute muss man – sofern man nicht in einer Apfelregion lebt – die Äpfel trinken, um ihre Vielfalt zu erfahren. Thomas Platt

Apfelgalerie, Schöneberg, Goltzstr. 3

Ebbes, Crellestraße 2, Schöneberg

eo Komma, Westend, Reichsstraße 10

Joachimsthaler Bio-Supermarkt, Charlottenburg, Grolmanstr. 48

Krohn, Wilmersdorf, Westfälische Str. 52

Lindenberg, Charlottenburg, Morsestr. 2

Manufactum, Charlottenburg, Hardenbergstr. 4-5

Markt Pur, Wilmersdorf, Westfälische Str. 27

Weiß Blau, Charlottenburg, Danckelmannstr. 24

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