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Vier von rund 50 Ehrenamtlichen, die die Mendelssohn Remise am Laufen halten.

© Tagesspiegel/Scarlett Werth

Ehrenamt in der Berliner Kultur: „Ich habe Bekannte, die tun nichts und gehen kaputt“

Konzerte, Lesungen und eine täglich geöffnete Dauerausstellung: Die Engagierten der Mendelssohn Remise haben einiges zu tun – und bekommen viel zurück.

War’s Zufall, war’s Fügung? Eine Freundin fragte Renate Alweiß, ob sie mitkommen wolle zu einem Konzert – es gebe da einen schönen Ort in der Nähe des Gendarmenmarkts, die Mendelssohn Remise. Alweiß hatte erst vor Kurzem aufgehört, als Lehrerin zu arbeiten, und daher Zeit; über die Familiengeschichte der Mendelssohns hatte sie gerade ein Buch gelesen. Also ging sie mit in die Jägerstraße 51, durch die schwere Holztür und den Innenhof hindurch und rein in die ehemalige Kassenhalle der Mendelssohn Bank.

Und war begeistert: nicht nur von der Musik, sondern auch von der Atmosphäre. Der stimmungsvolle Raum, ein Ziegelgewölbe mit Granitsäulen, beherbergt seit 2006 die Ausstellung „Die Mendelssohns in der Jägerstraße“ und dient gleichzeitig als Veranstaltungsort. Zwischen Vitrinen mit Briefen und Originaldokumenten, neben Gemälden und Büsten von Mitgliedern und Freunden der Familie Mendelssohn erklingen Konzerte, Vorträge, Lesungen. Bis zu 100 Gäste können auf Klappstühlen vor dem Flügel Platz nehmen: ein kleiner, feiner Kulturort an historischer Stätte.

Die Ehrenamtlichen der Mendelssohn Remise: Andreas Schreiber, Renate Alweiß, Rudolf Wittmann und Maria Hellmich.

© Tagesspiegel/Scarlett Werth

Zehn Jahre ist es her, dass Renate Alweiß zu ihrem ersten Konzert hierherkam. Seitdem ist sie Teil des Teams der Ehrenamtlichen der Mendelssohn Remise. Ein Kreis von rund 50 älteren Menschen, die meisten von ihnen Frauen, sorgt dafür, dass die Ausstellung täglich von 12-18 Uhr geöffnet ist und dass regelmäßig Veranstaltungen stattfinden können. Ohne sie ginge es nicht, denn die Remise erhält keine öffentliche Förderung.

„Es macht mir großen Spaß, Menschen für die Mendelssohns zu begeistern“, sagt Renate Alweiß.

© Tagesspiegel/Scarlett Werth

„Das Schöne ist, dass sich hier jeder einbringen kann, wie er oder sie möchte“, sagt Alweiß. Sie selbst macht unter anderem „Dienste“, das heißt, sie betreut für jeweils drei Stunden den Eingangstresen der Ausstellung, spricht mit den Besucher:innen, verkauft Bücher. „Es macht mir großen Spaß, Menschen für die Mendelssohns zu begeistern“, sagt sie.

Denn da sind ja nicht nur die Stammeltern, der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1786) und seine Frau Fromet, da sind auch die folgenden Generationen, die als Bankiers, Künstler:innen und Gelehrte gewirkt haben und unter denen die Komponisten-Enkel Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy herausragen.

Deren Musik, aber auch die ihrer kompositorischen Leitsterne, Zeitgenossen und Nachfahren, erklingt häufig in der Remise. Dass rechtzeitig vor den Konzerten der Klavierstimmer kommt, darum kümmert sich Maria Hellmich, ehemals kaufmännische Angestellte in einer Apotheke. Die 75-Jährige koordiniert auch die Anmeldungen für die Stadtführungen auf den Spuren der Mendelssohns und ihrer Bekannten, die die Remise regelmäßig anbietet. „Jeder macht das, was ihm Spaß macht“, sagt Maria Hellmich. „Auch die Dienste sind flexibel. Sie werden jeden Monat neu vergeben, man ist also nicht gebunden.“

„Jeder macht das, was ihm Spaß macht“, sagt Maria Hellmich.

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Durch die Zusammenarbeit mit den anderen Ehrenamtlichen seien schon viele Freundschaften entstanden. Bei den Arbeitstreffen einmal im Monat kommen alle zusammen. Nach einer geselligen „Brotzeit“ wird alles Organisatorische besprochen: Wer kann bei der nächsten Lesung dabei sein, Getränke ausschenken, Eintrittskarten verkaufen? Wer sortiert die Bücher in der Bibliothek, wer kann Flyer auslegen, die Teeküche auffüllen?

Und immer gibt es bei diesen Arbeitstreffen auch einen Kurzvortrag über ein Thema der deutsch-jüdischen Geschichte. Denn Fortbildung, Gespräch und geistiger Austausch werden hier großgeschrieben, ganz in der Tradition des Aufklärers Moses Mendelssohn.  

Auch Andreas Schreiber genießt die Begegnungen, die in der Remise entstehen. 35 Jahre lang hat er beim Arbeitsamt, wie er sagt, „als kleiner Schreiberling“ gearbeitet, bevor er – war’s Zufall, war’s Fügung? – hierherkam. Mit den Mendelssohns hatte er vorher nichts zu tun. „Ich wusste nur aus dem Schulunterricht, dass es Moses, Felix und Fanny gab. Ich stand auch mehr auf die Rolling Stones als auf klassische Musik“, erzählt er.

„Ich stand mehr auf die Rolling Stones als auf klassische Musik“, sagt Andreas Schreiber.

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Heute betreut der 73-Jährige bei den Abendveranstaltungen Licht, Ton, Raumklima und packt überall an, wo es nötig ist: Stühle hin- und hertragen, vorher Staub saugen – und einmal die Woche die historische Pendeluhr aufziehen, die Abraham Mendelssohn Bartholdy seiner Tochter Fanny zur Hochzeit schenkte, ein wertvolles Ausstellungsstück.

Ein Verein trägt die Remise

Gelegentlich erhält die Mendelssohn Remise projektbezogene Zuschüsse unterschiedlicher Geldgeber. Abgesehen davon finanziert sie sich aus Spenden und den Mitgliedsbeiträgen der Mendelssohn Gesellschaft, des Vereins mit rund 500 Mitgliedern, der die Remise trägt. Auch die Vermietung des Raums für private oder geschäftliche Feiern trägt zu den Einkünften bei.

„Eine Miete von über 50.000 Euro im Jahr, Künstlerhonorare, der Druck von Programmen, all das will erwirtschaftet sein“, sagt Thomas Lackmann, stellvertretender Vorstand der Mendelssohn Gesellschaft. „Gehälter zu zahlen ist da nicht möglich.“

Blick in die Ausstellung „Die Mendelssohns in der Jägerstraße“.

© Tagesspiegel/Scarlett Werth

Lackmann, selbst ein Nachfahr der Mendelssohn-Familie, hat lange als Tagesspiegel-Redakteur gearbeitet und mehrere Bücher geschrieben, unter anderem „Das Glück der Mendelssohns – Geschichte einer deutschen Familie“ (2005). Er konzipiert mit einem Planungsteam das Programm der Remise, stellt die Stadtführungen zusammen und betreut die Arbeit der Ehrenamtlichen mitsamt den monatlichen Arbeitstreffen und gelegentlichen Exkursionen.

Nachwuchs wäre höchst willkommen

„Wir sind sehr glücklich, dass wir so viele engagierte Ehrenamtliche haben“, sagt er. Aber es gebe ein Nachwuchsproblem: Die meisten von ihnen haben die 70 oder 80 Jahre bereits überschritten. Unterstützung wäre also höchst willkommen.

Wie sehr man von einem Ehrenamt persönlich profitiert, betont auch Rudolf Wittmann, der sein Berufsleben als Maschinenbauingenieur im Vertrieb verbracht hat und gemeinsam mit seiner Frau die Remise unterstützt, unter anderem bei der Betreuung einer Ausstellung in der Kapelle des Dreifaltigkeitsfriedhofs am Mehringdamm.

„Ich habe Bekannte, die tun nichts und gehen kaputt“, sagt Rudolf Wittmann.

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Auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor sind zahlreiche Mitglieder der Familie begraben. „Ich habe Bekannte, die tun nichts und gehen kaputt dabei. Wenn man keine Aufgabe, kein Ziel, keine Struktur mehr hat, baut man schnell ab.“ Ein kulturelles Ehrenamt wie die Arbeit in der Remise erweitere den Horizont: „Das öffnet den Blick, man ist dann nicht so eingleisig.“

Andreas Schreiber, der Rolling-Stones-Fan, hat seine Sammlung klassischer Musik längst erweitert – „von zwei CDs auf 80“ – und zu Hause eine eigene kleine Bibliothek rund um die Mendelssohns aufgebaut. Kopfschüttelnd erzählt er von einem Bekannten, der Bankdirektor ist. „Der hat mich gefragt, warum ich hier ohne Geld arbeite, das würde er nie machen! Dabei ist das, was ich bekomme, viel wertvoller. Ich gehe immer mit einem warmen Gefühl nach Hause.“

Transparenzhinweis: Die Autorin bietet im Rahmen des Remisen-Programms gelegentlich selbst Stadtspaziergänge an.

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