zum Hauptinhalt
Der Volksentscheid hatte keinen Erfolg.

© IMAGO/Christian Spicker

„Es gab nur Androhungen, die Angst gemacht haben“: An der Kampagne des Klimavolksentscheides in Berlin wird Kritik laut

Rouzbeh Taheri organisierte selbst erfolgreich einen Volksentscheid, das Vorgehen des Klimavolksentscheids hält er für falsch. Die Initiatoren wehren sich.

Am Tag nach der Niederlage klingt Jessamine Davis gar nicht so sehr enttäuscht. „Wir haben eine Mehrheit für schnelles Klimahandeln in Berlin. Das ist ein Erfolg“, sagt die Sprecherin des Bündnisses „Klimaneustart Berlin“ am Telefon über den Klimavolksentscheid, der am Sonntag mit 442.210 Ja-Stimmen klar am Quorum der nötigen 607.000 Ja-Stimmen gescheitert war.

Auf der Suche nach Erklärungen für die Niederlage trotz eines Rekordspendenaufkommens von mehr als 1,2 Millionen Euro sieht Davis vor allem die von der SPD geführte Innenverwaltung in der Verantwortung. „Hätte die Innenverwaltung den Wahltermin mit der Wiederholungswahl zusammengelegt, hätten wir das Quorum erreicht und gewonnen. Das war eine politische Entscheidung“, sagt Davis.

Es ist eine Enttäuschung für ganz Berlin. Jede Person in der Stadt hat eine Chance verpasst.

Jessamine Davis, Sprecherin „Klimaneustart Berlin“

Tatsächlich haben jedoch auffällig viele, 423.418 Berlinerinnen und Berliner, mit Nein gestimmt, in den sechs Außenbezirken sogar teil mit deutlicher Mehrheit. „Es ist eine Enttäuschung für ganz Berlin. Jede Person in der Stadt hat eine Chance verpasst“, sagt Davis.

Die ganze Stadt in den Blick nehmen, statt ausschließlich junge Menschen

Für Rouzbeh Taheri sind für die Niederlage auch die Initiatoren selbst verantwortlich. „Als Botschaft des Volksentscheids ist angekommen: Ihr verliert etwas, ohne dafür etwas zu bekommen“, sagt er am Telefon. Er selbst weiß, wie man Volksentscheide zum Erfolg bringt. An vier Volksbegehren hat er sich beteiligt, zuletzt bei „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, dessen Sprecher er 2021 war. Damals schafften die Initiatoren nicht nur das Quorum, sondern holten auch eine Mehrheit von fast 60 Prozent. In zehn von zwölf Bezirken gab es eine mehrheitliche Zustimmung.

Rouzbeh Taheri kritisiert die Kampagne des Volksentscheids.

© Nassim Rad

Die Abstimmung über die Enteignung von Wohngesellschaften sei zwar mit hohen finanziellen Kosten verbunden gewesen, man habe den Menschen dafür aber in Aussicht gestellt, die Hoheit über den Mietmarkt zurückzubekommen, erzählt Taheri.

Beim Klimavolksentscheid sei dies aber nicht passiert. „Es gab nur Androhungen, die den Menschen Angst gemacht haben, aber keine Angebote“, sagt Taheri. So habe sich niemand so richtig für den massiven Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs starkgemacht. Statt auf eine Stärkung von Bus und Bahn zu setzen, sei der Kulturkampf Auto gegen Fahrrad geführt worden.

Es werden zur Zeit nur apokalyptische Szenarien an die Wand gemalt, aber keine Angebote gemacht.

Rouzbeh Taheri

Rouzbeh Taheri sind darin ein generelles Problem der aktuellen Klimadebatten. „Es werden zurzeit nur apokalyptische Szenarien an die Wand gemalt, aber keine Angebote gemacht.“ Auch beim Thema Wohnen – dem Sektor mit dem größten Ausstoß von CO₂-Emissionen – habe man die Menschen mit ihren Sorgen alleingelassen. „Wenn für viele Menschen energetische Sanierung ein Angstwort ist, weil dann die Mieten steigen, braucht es einen Mietenstopp und soziale Lösungen.“

Doch all diese Antworten seien nicht gegeben worden, kritisiert Taheri, der inzwischen Verlagsleiter bei der Zeitung „Neues Deutschland“ ist. Die Polarisierung, die man beim Klimavolksentscheid erlebt habe, hätte man verhindern können, glaubt er. Auch, wenn die Kampagne sich mehr an die Breite der Stadtgesellschaft gewandt hätte. „Die Ansprache der Kampagne war vor allem an junge, urbane Menschen gerichtet. Man muss aber die ganze Stadt in den Blick nehmen, um Mehrheiten zu bekommen“, sagt er.

„Wir wollten bewusst keine Maßnahmen erzwingen“

Dem widerspricht Jessamine Davis jedoch vehement. „Es gab viele Gegenstimmen, die auf die Lobbyarbeit fossiler Kräfte zurückgeführt werden können. Diese spielen Klima- und Armutskrise gegeneinander aus und suggerieren Lösungen, die nicht nachhaltig sind“, sagt sie. Dabei hätten die Initiatoren des Volksentscheids immer wieder darauf hingewiesen, dass etwa nachhaltige Energien kostengünstiger seien. Das Narrativ der Gegenkampagnen habe dennoch verfangen. „Die Leute hatten Angst, dass ihnen Sachen weggenommen werden, auf die sie bei der aktuellen Gestaltung der Stadt angewiesen sind“, sagt Davis.

Dass man den Gegnern viel Raum gelassen habe, weil die Initiative bewusst vage geblieben war, darin sieht sie keinen strategischen Fehler. „Wir wollten bewusst keine Maßnahmen erzwingen, weil wir dem Bürgerinnenrat, den wir ja initiiert haben, nichts vorgreifen wollten“, sagt Davis. Man wolle dadurch einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft beteiligen.

Einen eigenen Fehler macht sie dann aber doch noch aus: „Es kann sein, dass wir die positiven Beispiele von klimaneutralen Städten, wie Kopenhagen oder Paris, noch stärker hätten betonen müssen. Diese Städte sind schon weiter beim ambitionierten Klimaschutz und haben dadurch die Lebensqualität der EinwohnerInnen gesteigert.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false