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Wolfgang Petry der Comedy.Der Bart passt, die Frise sitzt. Nur die Freundschaftsbändchen fehlen. Auch dank seines Aussehens bringt Martin Gottschild jeden dritten Sonntag und Montag im Monat sein Publikum im Frannz Club mit seinen Texten zum Lachen.Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Berlin: Gerne schlicht und dümmlich

Martin Gottschild will nach oben. Musiker, Einzelhandelskaufmann – und jetzt grandioser Autor.

Zu spät, uff! Gehetzt betritt Martin Gottschild das Café „Im Nu“ am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, legt Tasche und Jacke ab, nimmt Platz. Ob einen die Nachricht, dass er es nicht pünktlich zum Treffen schaffen würde, noch rechtzeitig erreicht habe? Leider nein, aber egal. „Schuldigung“, sagt Gottschild, aber Termine einzuhalten falle ihm schwer. Zu viel Ablenkung. Diesen verschneiten Vormittag etwa habe er surfend im Netz verbracht, die Zeit aus dem Auge verloren.

Unpünktlichkeit. Eigentlich ein Thema, das Gottschild in einer seiner Kurzgeschichten verarbeiten könnte. Wie vieles von dem, was er erlebt und von dem er sich zu seinen lustigen Erzählungen inspirieren lässt. In denen geht es etwa um Berliner Servicekräfte mit dem Gesichtsausdruck eines tiefgekühlten Karpfens, die ihre schlechte Laune nicht für sich behalten, sondern mit denen teilen, die sie so verachten – den Kunden. Oder um einen Blumenladen, den Gottschild angeblich mit Rapper Ice T betreibt und der den Namen „OG“ trägt. Wobei das Kürzel nicht, wie im Rap-Slang üblich, für „Original Gangsta“ steht, sondern für Original Ginster. Wenn Martin Gottschild jeden dritten Sonntag und Montag im Monat im Frannz Club auf der Bühne sitzt und seine Geschichten vorliest, vergeht kaum eine Minute ohne heftige Lacher. Das liegt nicht nur an den schrägen Pointen und am eigenwillig verhuschten Vortragsstil, sondern auch am Aussehen des Autors. Die wuscheligen Locken verdecken die Stirn, die Oberlippe ziert ein Bart, der beim Sprechen ein ulkiges Eigenleben führt. Ein wenig erinnert Gottschild an Wolfgang Petry. Nur das Nackenkissen und die Freundschaftsbänder fehlen.

„Tiere streicheln Menschen“ heißt die Veranstaltung, die Gottschild vor drei Jahren ins Leben rief. Das Wort „Lesung“ beschreibt die gebotene Show jedoch nur unzureichend. „Das klingt so nach gediegener Atmosphäre: Wenn die Lederjacke knirscht, muss Ruhe sein.“ Deshalb nennt der 36-Jährige sein Programm „Actionlesung“. Zwischen den Geschichten tritt Musiker Sven van Thom auf und singt skurrile Lieder. Und am Ende gibt es einen kurzen Diavortrag zu absurden Bildern, die Gottschild auf Flohmärkten aufstöbert. Das Motto des Abends lautet: „Einer liest. Einer singt. Und Du wirst lachen!“ Der Selbstversuch bestätigt das.

Dass es „Tiere streicheln Menschen“ gibt, hat einen einfachen Grund: „Ich habe festgestellt, dass es wesentlich einfacher ist, ein Buch aufzuklappen, wenn man irgendwo hinkommt, als einen Verstärker aufzubauen.“ Letzteres war früher Teil von Gottschilds Arbeit, als er noch mit Sven van Thom als Beatplanet auf der Bühne stand. Zum Beispiel bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest 2007. Mit dem Retro-Pop-Titel „Dreh dich um und geh“ trat die achtköpfige Band damals für Brandenburg an – und belegte den vorletzten Platz.

Beatplanet gibt es inzwischen nicht mehr. Musik, sagt Bassist Gottschild, sei heute ein Hobby. Drei Bücher hat er inzwischen veröffentlicht, mit seinem Programm gastiert er auch außerhalb Berlins und im Quatsch Comedy Club. Und vergangenes Jahr konnte man ihn in „This ain't California“ sehen, einem Film über die Ostberliner Skater-Szene. Wo das alles hinführen soll? Das Ziel sei klar, sagt Gottschild und grinst, er wolle gern nach oben. „Aber ich nehme nicht das Flugzeug, sondern gehe zu Fuß.“

Nach dem Abitur wollte Gottschild, in Pankow aufgewachsen, eigentlich Musik studieren. Den Plan verwarf er wegen des schweren Aufnahmetests. Stattdessen absolvierte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Im Musikhaus Hellersdorf. Viel zu tun gab es nicht. „Trotzdem musste man so tun, als ob. Gitarrensaiten und Plektren sortieren. Die Klaviere saubermachen. Und am Nachmittag alles von vorn.“ Als der Chef seinem Azubi einen Umzug nahelegte, um die lange Anfahrt aus Pankow zu sparen, wusste der: Das kann's nicht sein. Später arbeitete er als Autor für die Sarah Kuttner Show und machte Musik. Mit der Band Sofaplanet, dem Vorgänger von Beatplanet, landete er den Hit „Liebficken“.

Die Kurzgeschichten, die er heute schreibt, sind inhaltlich klar definiert: „Schlicht mit Hang zur Dümmlichkeit.“ Es geht Gottschild, Spitzname „Gotti“, aber auch um Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch absurde Statistiken wie jener, dass in Amerika 40 Prozent aller Studenten ihr Basecap verkehrt rum tragen. Aber warum heißt die Veranstaltung „Tiere streicheln Menschen“? Die Antwort kommt etwas verschwurbelt. Er erzählt von einem TV-Bericht über einen Forscher, der von einem Gorilla umarmt wurde. So fest, dass zu befürchten war, der Mann werde erwürgt. „Letztlich will ich damit sagen: Bei der Show muss man mit allem rechnen. Ein Kessel Buntes.“

„Tiere streicheln Menschen“: Sonntag und Montag im Frannz Club in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Beginn: 20 Uhr. Karten kosten 8 Euro.

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