zum Hauptinhalt
Nach Louisas Tod gab es eine Mahnwache an der Landsberger Allee.

© Foto: dpa/picture alliance

Kind durch Rotfahrer in Berlin getötet: Etwas Frieden für Louisas Eltern – wenigstens das

Am Mittwoch steht ein Autofahrer vor Gericht, der in Marzahn ein Kind totfuhr. Der Vater des Mädchens hofft, dass die Justiz ein Zeichen setzt.

Louisa und ihre Mutter sind schon ein paar Schritte von der Mittelinsel entfernt, als die Fußgängerampel auf Rot springt. In ihrem „Pferdchengalopp“ hüpft Louisa ein paar Schritte voraus, um die autobahnähnliche Straße zu überqueren. Dabei reichen die acht Sekunden „Räumzeit“, in denen die Fußgänger schon und die Autos noch Rot haben, eigentlich gut aus.

Als Louisa die letzte der drei Fahrspuren erreicht, wird sie mit voller Wucht von dem Audi gerammt, mit dem Jürgen H. an jenem Dienstagnachmittag im April auf der Landsberger Allee stadteinwärts fährt. Ungebremst trotz der weithin sichtbaren, für ihn immer noch roten Ampel, werden drei Insassen eines anderen Autos später bei der Polizei aussagen.

Nicht nur ungebremst, sondern sogar mit hörbarer Beschleunigung, wird ein weiterer Autofahrer aus der Nebenspur zu Protokoll geben. Louisa wird durch die Luft geschleudert, bevor sie mit gebrochenen Knochen und schwersten Kopfverletzungen auf dem Asphalt liegen bleibt. Sie ist elf Jahre alt, als sie am Wochenende darauf im Krankenhaus stirbt.

Am kommenden Mittwoch muss sich der Audi-Fahrer Jürgen H. vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Auf fahrlässige Tötung stehen bis zu fünf Jahre Haft, aber ihre Rechtsanwälte haben Louisas Eltern schon darauf vorbereitet, dass es erfahrungsgemäß allerhöchstens auf eine Bewährungsstrafe hinausläuft, womöglich sogar nur auf eine Geldstrafe unter 90 Tagessätzen.

„Damit wäre er nicht einmal vorbestraft, obwohl er ein Kind totgefahren hat“, sagt Louisas Vater. „Er muss vielleicht den Gegenwert von zwei Jahresurlauben zahlen, dann ist die Sache für ihn erledigt.“ Der Gedanke daran quält ihn – nicht nur wegen des eigenen Unglücks, sondern auch wegen des damit verbundenen Signals an die Allgemeinheit: „Die Botschaft in so einem Fall wäre ja, dass es kaum mehr als eine Ordnungswidrigkeit ist, ein Kind totzufahren.“

Der Vater wüsste gern, warum der Täter bei Rot gefahren ist. Er hat H., einem 60-jährigen Unternehmer, einen Brief geschrieben und, nachdem keine Antwort kam, an seinem Grundstück im Berliner Speckgürtel aufgesucht. Über den Gartenzaun hinweg habe H. auf seine Anwälte verwiesen und darauf, dass er selbst psychologische Hilfe in Anspruch nehmen müsse. Etwas später habe sich noch H.s Anwalt gemeldet: Er drohte mit einer Unterlassungsklage für den Fall weiterer Kontaktversuche.

Louisa wurde elf Jahre alt.

© privat

Wirklich wichtig ist Jürgen H. offenbar vor allem, dass er seinen Führerschein zurückbekommt: Er hatte bereits am Tatort protestiert, als die Polizisten ihm das Dokument abnahmen. Das Auto wurde nicht beschlagnahmt. Die Beamten stellten fest, dass H. nüchtern und der Audi technisch in Ordnung waren.

Hätten die Airbags bei dem Unfall ausgelöst, hätte die Bordelektronik für die fünf Sekunden bis zum Aufprall Tempoverlauf, Gas- und Bremspedalstellung sowie Lenkbewegungen gespeichert – wertvolle Informationen für die Justiz. Aber ein Kind ist kein ausreichend starker Unfallgegner, um diese automatische Datensicherung auszulösen. Nur Teslas speichern diese Infos permanent und ohne Anlass.

Dem Gericht könnten solche Informationen entscheidend helfen, die Schwere von Jürgen H.s Schuld zu beurteilen. Ersatzweise muss ein Sachverständiger zumindest die ungefähre Aufprallgeschwindigkeit ermitteln. An der Unfallstelle gilt Tempo 50.

Die aus mehreren Behörden zusammengesetzte Unfallkommission fand bei einer Begehung Tage nach dem Unglück keine Mängel: „Der Unfallhergang liefert nach derzeitigem Stand keine Anhaltspunkte dafür, dass das Risiko für ein ähnliches Ereignis durch eine Veränderung der örtlichen Infrastruktur reduziert werden könnte“, lautet ihr Fazit.

Die Frage, ob H. vor der roten Ampel sogar beschleunigt hat, wird wohl nur anhand der Zeugenaussagen zu beantworten sein. Sollte sich dieser Vorwurf bestätigen, könnte das Verfahren aus Sicht eines erfahrenen – mit diesem Fall allerdings nicht befassten – Anklägers von Verkehrsstrafsachen doch anders verlaufen, als Louisas Vater es befürchtet: „Das Gericht könnte dann in der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis geben, dass die Sache in Richtung einer Vorsatztat gehen kann.“ Wer mitten am Tag absichtlich über eine rote Fußgängerampel rast, nimmt möglicherweise billigend in Kauf, dass jemand zu Tode kommt, wäre die juristische Logik in diesem Fall.

Dann stünde ein wesentlich höheres Strafmaß zur Debatte. Eines, dass Louisas Eltern zwar ihre Tochter nicht zurückbringt, aber vielleicht etwas Frieden. Zumal der Abschied von ihrem Kind bisher vor allem aus Bürokratie bestand. Für Opfer von Verkehrsstraftaten gibt es bis heute keine feste Anlaufstelle, die ihnen hilft – ein Manko, das auch Berlins Opferbeauftragter, der Anwalt Roland Weber, schon mehrfach kritisiert hat.

„Die Bearbeiterin bei der Kfz-Haftpflichtversicherung des Täters hat mir am Telefon gesagt, ich sei ja nicht mal Geschädigter“, erzählt der Vater. „Für etwaige Verdienstausfälle hätte ich belegen sollen, dass sie auf den Tod meiner Tochter zurückzuführen sind.“ Was ihm bleibt, ist die Hoffnung auf den Prozess.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false