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Klaus Wowereit beim Interview im Tagesspiegel-Gebäude.

© Nassim Rad / Tagesspiegel

Wowereit im Interview: „Gazprom hat bei mir nicht angefragt“

Der Ex-Regierende Klaus Wowereit (SPD) über seine Nachfolger, den Vonovia-Deal, Rot-Rot-Grün und die richtige Zeit zu gehen.

Herr Wowereit, wissen Sie noch, was Sie als Kind mal werden wollten?
Also an so einen Kindheitstraum wie Lokführer oder Astronaut kann ich mich nicht erinnern. Mein Berufswunsch kam erst später: Politiker. Ich habe aber gern Indianer gespielt. Darf man das jetzt so sagen?

Bettina Jarasch hat sich auf einem Grünen-Parteitag für ihren Kindheitstraum Indianerhäuptling rechtfertigen müssen.
Ich habe wenig Verständnis für diese Debatte. Wir haben früher nun mal Indianer und Cowboy gespielt. Soll ich heute den genauen Stamm aufsagen? Ich war jedenfalls immer gern bei den Sioux, wenn das weiterhilft!

Ihnen wurde ja immer eine gewisse Ferne zu den Grünen nachgesagt...
Na, hören Sie mal... ich habe meine erste Regierung 2001 mit den Grünen gebildet! Bei den Neuwahlen hat es dann nicht mehr dafür gereicht. SPD und Grüne haben inhaltlich große Schnittmengen – das gilt für Berlin und den Bund.

Gerade junge Menschen wollen heute unkonventionellere Ideen und Programme, als das bei den Volksparteien oft der Fall ist – und sein kann.

Klaus Wowereit

Mal ehrlich: Haben Sie vor einem Jahr erwartet, dass die SPD heute bei 25, 26 Prozent steht? Dass Olaf Scholz Kanzler werden kann?
Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte die Befürchtung, dass die SPD bei bestenfalls 16 Prozent einbetoniert bleibt.

Warum waren sie pessimistisch?
Die SPD ist die älteste deutsche Partei, sie ist in vielen Belangen konservativer als andere. Gerade junge Menschen wollen heute unkonventionellere Ideen und Programme, als das bei den Volksparteien oft der Fall ist – und sein kann. Die SPD macht Politik für eine breite Mehrheit der Gesellschaft. Wir müssen deshalb auch dort Antworten geben, wo wir unseren Markenkern nicht sofort artikulieren können.

Aber wie erklären Sie sich dann den Umschwung?
Man sieht, dass Wahlkämpfe etwas bewegen! Und vermeintliche Nachteile haben sich in Vorteile gewandelt: Bei Olaf Scholz ist es zum Beispiel die Unaufgeregtheit, die vielen oft ein bisschen langweilig erschien – aber das ist auch Seriosität und Stabilität. Diese Werte verkörpert Scholz auf hervorragende Weise. Gleichzeitig machen die anderen beiden Kandidaten Fehler. Das merken die Menschen.

Und in Berlin?
Franziska Giffey bringt die meiste Erfahrung mit, als Person strahlt sie Vertrauen aus, sie ist bürgernah und geht auf die Menschen zu. Die anderen Kandidaten können das nicht so. Deshalb liegt die SPD jetzt in Berlin vorn. Das freut mich natürlich.

Unter Michael Müller lag die SPD bei 14 Prozent, die Regierung ist dieselbe. Es reicht ein Personalwechsel, um Zehntausende Wähler umzustimmen?
Die Spitzenkandidatin ist die Identifikationsfigur im Wahlkampf, wenn sie eine Strahlkraft entwickelt. Aber in Deutschland wird letztlich die Partei gewählt. Allein die positiven Werte einer Kandidatin reichen nicht aus. Franziska Giffey ist aber gelungen, ihre Person mit der Partei in Verbindung zu bringen. Berlin stehen große Veränderungen bevor, und da sehen viele Menschen in der SPD einen stabilisierenden Faktor.

Will Regierende Bürgermeisterin werden: Franziska Giffey.
Will Regierende Bürgermeisterin werden: Franziska Giffey.

© Stefan Schäfer

Verbindet sich mit der Zustimmung für Giffey auch der Wunsch nach einer anderen Regierung in Berlin?
Das ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage. Ich kenne einige Menschen, die sich danach sehnen, die Linkspartei nicht mehr in der Regierung zu haben. Aber wenn man sich die Umfragewerte anschaut, hat die jetzige Koalition eine sehr stabile Mehrheit. So groß kann die Unzufriedenheit ja nicht sein.

Von Giffey heißt es, sie strebe eine andere Koalition mit CDU und FDP an.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das in der SPD durchsetzen kann.

Sie haben die damalige PDS in Berlin erst koalitionsfähig gemacht. Wie sehen Sie die Partei heute?
Wir haben Ende 2001 die Verhältnisse mit der Linkspartei in Berlin geklärt, sie ist heute Teil einer erfolgreichen Regierung. Wie soll man da jetzt ein Tabu aufbauen? Das würde der Realität widersprechen. Auf Bundesebene sehe ich dagegen riesige Hürden in der Außen- und Verteidigungspolitik. Dort ist ein Bündnis mit der Linken schwer vorstellbar.

Im Berliner Wahlkampf fetzen sich insbesondere Grüne und SPD. Ist das zu heilen?
Nach dem 26. September wird nicht alles easy sein. Ansonsten... naja, es ist halt Wahlkampf. Da gehört es einfach dazu, dass man scharfkantig sein eigenes Profil zeichnet.

Würde die GSW heute nicht mehr verkaufen: Klaus Wowereit Mitte September im Tagesspiegel-Haus.
Würde die GSW heute nicht mehr verkaufen: Klaus Wowereit Mitte September im Tagesspiegel-Haus.

© Nassim Rad / Tagesspiegel

Bei der Volksabstimmung zum Enteignen hat sich Giffey klar dagegen positioniert, die Linkspartei ist dafür, die Grünen so ein bisschen. Wo sehen Sie den richtigen Weg?
Das Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, verstehe ich, die Methode halte ich für falsch. Es kostet Milliarden und baut keine neue Wohnung. Nicht eine. Derjenige, der heute eine Wohnung sucht, hat von der Enteignung gar nichts. Deshalb finde ich es besser, die Milliarden in sozialverträglichen Wohnungsbau zu investieren.

Und was halten Sie von dem Ankauf von 14.000 Vonovia-Wohnungen für eine Milliardensumme durch den Senat?
Ich bin der Meinung, dass die Milliarden lieber in den Wohnungsbau fließen sollten. Deshalb halte ich diesen Kauf nicht für richtig.

Blutet Ihnen da nicht das Herz, dass Sie selbst diese Wohnungen mal für wenig Geld verkauft haben?
Das waren andere Zeiten. Es gab 150.000 leerstehende Wohnungen in Berlin, wir hatten einen Anteil an öffentlichen Wohnungen von 25 Prozent. Das findet man heute nirgendwo mehr, das war eine besondere Berliner Situation. Heute würden wir die GSW nicht mehr verkaufen. Aber dass es so viel Zuzug nach Berlin geben wird, war damals nicht abzusehen.

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Steigende Mieten seien ein gutes Zeichen, haben Sie mal gesagt.
Ich freue mich darüber, dass die Stadt so eine wirtschaftliche Entwicklung genommen hat. Das war ja immer mein Ziel. Ich habe zum damaligen Wirtschaftssenator Harald Wolf immer gesagt: Wenn Du hier eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik machst, werden auch die Kosten steigen und damit auch die Mieten. Sie dürfen nur nicht exorbitant steigen, und die Einkommen müssen sich mitentwickeln.

Ihr Slogan war „Arm, aber sexy“, Franziska Giffey tritt an mit „Ganz sicher Berlin“. Steht das für eine neue Zeit in Berlin: Alles ein bisschen langweiliger, dafür verlässlich?
Also, „arm, aber sexy“ stand ja nie auf Wahlplakaten und wurde auch von keiner Werbeagentur entwickelt.

Es stand in zwei Koalitionsverträgen!
Das war damals meine Erklärung für den Zustand der Stadt: dass wir trotz der ökonomischen Schwäche attraktiv waren.

Worin unterscheidet sich denn das heutige Berlin von dem in ihrer Zeit?
Als ich 2014 aufgehört habe, waren die Finanzen geordnet. Es waren Überschüsse da für dringend notwendige Investitionen. Aber ich bin nach wie vor der Auffassung, dass der Staat sich zu Lasten folgender Generationen nicht einfach verschulden darf.

Welche Investitionen hielten Sie denn heute für richtig und wichtig?
Wir müssen die Mietsteigerungen stoppen und dafür muss gebaut werden: Bauen, bauen, bauen! Und zwar sozialverträglich. Uns fehlen kleine Wohnungen in der Stadt für Singles, Studierende oder Rentner. Die anderen Themen sind die Digitalisierung der Verwaltung, Investitionen in Wissenschaft und Forschung, Anpassung an den Klimawandel. Das kostet Milliarden.

Ich bin sehr zufrieden, dass ich bei den unendlich langen Ministerpräsidentenkonferenzen dieser Pandemie nicht dabei sein musste. 

Klaus Wowereit

Reizt es sie nicht, dabei wieder mehr mitzumischen?
Nee! Mein Ausstieg ist jetzt sieben Jahre her. Das reizt mich überhaupt nicht mehr, diese Zeit ist vorbei. Ich bin zum Beispiel sehr zufrieden, dass ich bei den unendlich langen Ministerpräsidentenkonferenzen dieser Pandemie nicht dabei sein musste. Aber ich bleibe natürlich ein politischer Mensch.

Zwei andere ehemalige Regierende Bürgermeister haben eine Zeitungskolumne, ein Ex-Kanzler ist Instagram-Star. Wann kommt ihr großer Social-Media-Auftritt?
Ach, ich freue mich für die Kollegen, wenn es da noch einen Bedarf gibt. Ich hatte eine Zeit lang eine Radio-Kolumne, aber ich kann auch sehr gut ohne das alles leben.

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Sie haben einen sehr klaren Cut gemacht: keine größeren Ämter, keine Aufsichtsratsposten. Hat Sie das nie gereizt?
Gazprom hat bei mir nicht angefragt. Im Ernst: Ich habe mich entschieden, aus der Politik rauszugehen und habe das nie bereut. Ich wollte doch Rentner sein!

Sie haben damals selbstbestimmt ihr Amt verlassen. Wie lange haben Sie darüber nachgedacht?
Nicht wesentlich. Es war für mich klar, dass das Ganze mit dem Ende der Legislatur beendet gewesen wäre. Das wären 15 Jahre oder mehr als Regierender Bürgermeister gewesen. Ich bin nicht für eine Limitierung von Amtszeiten, aber irgendwann muss man sich die Fragen stellen, ob es auch mal genug ist. Nur der WM-Titel für die Nationalmannschaft 2014 hat alles noch ein bisschen verzögert: Mit denen musste ich ja noch am Brandenburger Tor feiern!

Hat Angela Merkel den richtigen Zeitpunkt für ihren Abschied verpasst?
Aus heutiger Sicht wünscht man sich ja fast, dass sie noch weiter macht. Zumindest, wenn man sich die Lage der CDU anschaut. Aber im Ernst: Ich glaube, es ist definitiv der Zeitpunkt für sie und für das Land gekommen, an dem sie diese beeindruckende Karriere beendet. Es ist gut, dass sie aufhört. Ob es vier Jahre früher klüger gewesen wäre? Das muss jeder für sich entscheiden.

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Viele Politiker fallen nach dem Ende ihrer Karriere in ein Loch, langweilen sich. Wie war das bei Ihnen?
Mir ist der Übergang relativ leichtgefallen. Natürlich ist das ein Bedeutungsverlust, das darf man nicht verheimlichen. Vieles ist vorher durchorganisiert, man hat einen Mitarbeiterstab, einen Dienstwagen, Personenschutz. Aber in Berlin ist mit der Neuwahl des Regierenden Bürgermeisters alles beendet – und zwar sofort. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie das Häuschen für Wachschützer vor meiner Wohnung weg war. Aber ich will mich nicht beklagen, ich habe immer noch Aufmerksamkeit. Wenn ich das will.

Wie oft werden Sie denn heute noch erkannt?
Das lässt natürlich nach, viele kennen mich ja gar nicht mehr als Regierenden Bürgermeister. Trotzdem ist der Bekanntheitsgrad noch relativ hoch. Die Menschen reagieren sehr freundlich, wollen ein Foto machen, einen Spruch loswerden, auf die Schulter klopfen. Das ist also eher eine Freude als eine Last, alles gut.

Was haben Sie sich behalten aus der Zeit?
Meinen Sie einen Spleen, oder was? Nee, sowas habe ich nicht.

Nicht einmal irgendeinen Gegenstand? Ihren alten Dienstausweis?
Gar nichts, nein. Keine Sorge, ich habe keinen Bürgermeisterschrein zu Hause, keine Trophäensammlung.

Gibt es Dinge aus ihrer aktiven Zeit, die Sie heute bereuen? Es war ja nicht alles immer erfreulich.
Unter dem Strich war es doch sehr erfreulich. Ich kann mit der Bilanz leben. Im Nachhinein hätte man immer Sachen anders machen können. So ist das Leben.

Wie hat sich ihr Golf-Handicap seitdem entwickelt?
Ich bin damit zufrieden! Mir macht Golfen Spaß. In der Pandemie-Zeit war das ein super Ausgleich für mich, weil man sich sportlich betätigt hat, an der frischen Luft war. Und man konnte es sehr lange machen. Das hat mir sehr stark geholfen.

Und wie haben Sie die Corona-Zeit erlebt?
Ich habe einen hohen Respekt vor den Helferinnen und Helfern und auch vor den politischen Entscheidungsträgern. Es ist ein Unterschied, ob ich mich über einen Autobahnabschnitt streite oder ob es um Leben und Tod geht. Es gibt natürlich immer die eine oder andere Entscheidung, wo man sagen kann: Es hätte anders laufen müssen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, dass bei Trauerfeiern nur ein ganz kleiner Kreis dabei sein durfte. Oder dass Kinder nicht mehr zu ihren Eltern ins Krankenhaus durften.

Auch die Stadt hat sich verändert…
Es war ein ganz anderes Berlin. Die Lebensfreude, der Spaß – das war alles weg. Schwer zu ertragen. Aber was sollten wir machen?

Das Interview führten Julius Betschka und Lorenz Maroldt.

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