zum Hauptinhalt
Das Fassade des Tommy-Weisbecker-Hauses hat Werner Brunner in den 1980ern gemeinsam mit Jugendlichen gestaltet.

© Jörg Zägel/Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Ein Gespräch mit Berlins berühmtesten Wandmaler: „Kreuzberg ist durch den asozialen Immobilienmarkt sehr gefährdet“

Der Künstler Werner Brunner hat zahlreiche Fassaden Berlins geprägt. Ein Gespräch über Stadterneuerung, straffällige Jugendliche und Immobilienspekulanten.

Herr Brunner, Sie haben gerade Ihren 80. Geburtstag gefeiert . Worauf blicken Sie besonders gerne zurück, wenn Sie an Ihre Karriere denken?

Ich denke gerne zurück, auch wenn mein Weg etwas umwegig war: vom Schmied in Oberammergau zum Architekten in München und dann über ein Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin hin zum bildenden Künstler. Einerseits gut, aber für die Karriere im Kunstbetrieb fast zu spät und nicht leicht. Dabei war mir die freie Atelierarbeit immer genau so wichtig die Wandmalerei, und ich möchte auch nicht ausschließlich als Wandmaler gesehen werden.

Und woran arbeiten Sie momentan?
Mein letzter größerer Wandbild-Auftrag war 1997, seitdem arbeite ich überwiegend an meinen Atelierthemen: Architektur; Stadt, Land, Raum; Arche & Atlas; Nietzsche, Statistics Mountains, Animals. Mit Wandmalerei war ich nun nur noch publizistisch und in meinen Forschungsarbeiten befasst.

Bekannt sind Sie vor allem für Ihre Wandbilder – was inspiriert Sie zur Kunst im öffentlichen Raum?
Obwohl ich die meiste Zeit mit meiner Atelierproduktion verbringe, führte Wandmalerei zu mehr Popularität. Sie ist mir auch sehr wichtig und war für uns immer die öffentlichste und partizipativste Art der Kunst mit lokalem Identitätsbezug.

Brunner prägte mit seinen Wandmalereien das Stadtbild Westberlins, vor allem in den Siebzigern und Achtzigern.

© privat

Sie waren Teil des Künstlerkollektivs Ratgeb, das das Stadtbild Westberlins mit Wandmalereien prägte. Wie kam das zustande?
Wir waren fünf Künstler – Bernd Micka, Werner Steinbrecher, Paul Blankenburg, Nil Ausländer und ich – und sind 1977 bei der Suche nach einem Namen für die Gruppe auf Jerg Ratgeb gestoßen. Er stand in Beziehung zu den damaligen Bauernkriegern mit der Hoffnung, das Paradies auf Erden zu erreichen statt erst im Himmel. Ratgeb malte große Altarbilder und auch Wandbilder, so zum Beispiel in Frankfurt am Main für das Karmeliterstift. Für sein sozialpolitisches Engagement für die kämpfenden Bauern wurde er allerdings als Hochverräter 1526 in Pforzheim durch vier Pferde gevierteilt. Für die Kunstgeschichte war er fast vergessen, und so versuchten wir, an ihn zu erinnern.

Mit den Mitgliedern einer Biker-Gang malte Werner Brunner 1984 ein Fassadenbild an der Waldemarstraße 41 in Kreuzberg.

© privat

Die Gruppe arbeitete unter anderem mit Schüler:innen, Migrant:innen, jugendlichen Straftäter:innen und sogar einer Biker-Gang zusammen. Hatte Ratgeb einen sozialen Anspruch?
Wir waren von Anbeginn mit unserer Kunst gesellschaftspolitisch motiviert. So auch stadtpolitisch mit der „Hausinstandbesetzerbewegung“. Es war für uns unverständlich, dass die noch erhaltenen Reste der kriegsgeschundenen Stadt der Korruption und Spekulation geopfert werden sollten.

Wir folgten der IBA-Losung (Internationale Bauausstellung 1987) „behutsame Stadterneuerung unter Beibehaltung der sozialen – und gewerblichen Mischung“. So arbeiteten wir mit Kinder- und Jugendprojekten zusammen, mit jugendlichen Trebegängern, auch mit einer Biker-Gang, mit Jugendlichen in der Jugendstrafanstalt Plötzensee und mit Sanierungs-Betroffenenräten, wenn wir für ein Wandbild in einem Sanierungsgebiet beauftragt waren.

Der „Sanierungsbaum“ steht seit 1979 an der Pritzwalker Straße 16 in Moabit.

© privat

Wir waren vielseitig künstlerisch engagiert und eingeladen. Damit weckten wir auch viel Neugierde in Frankreich, den Niederlanden und USA mit der Folge von Atelierbesuchen. Noch 2018 interessierte sich eine Kunstgeschichtsstudentin der University Boston dafür: Thema ihrer Abschlussarbeit war „Kunst als öffentlicher Dissens, die Künstlergruppe Ratgeb, Werner Brunner und die 1980er Jahre in Berlin“. Bedenklich fanden wir allerdings die geringe Aufmerksamkeit und Resonanz seitens der Berliner Kultur-Institutionen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In diesem Zuge entstand auch die bis heute bunt bemalte Fassade des Tommy-Weisbecker-Hauses in Kreuzberg, die Sie 1982 gemeinsam mit Jugendlichen schufen. Wie kam es dazu?
1982 war auf Initiative des jugendlichen Hausinstandbesetzers Andy der Beginn der Rundum-Bemalung des Tommy-Weisbecker-Hauses. Auf Anregung von Mitarbeitern der IBA und des SPI (Sozialpädagogisches Institut und Treuhänderin für die Legalisierung Instandbesetzter Häuser) entschied ich mich für die Zusammenarbeit und praktische Einführung in die Wandmalerei mit Jugendlichen des Tommy-Weisbecker-Hauses.

Der Rosinenbomber schmückt die Flughafenstraße 71 in Neukölln.

© privat

Nach der Auflösung von Ratgeb 1985 arbeiteten Sie im Atelier Oranienstraße 19a. Ihr Leben und Schaffen war also immer eng mit Kreuzberg verknüpft. Wie hat der Stadtteil Ihre künstlerische Arbeit geprägt?
Kreuzberg war für mich sehr wichtig und inspirierend. Von 1982 bis 2016 hatte ich mein Atelier im „Atelier Oranienstr. 19a“. Nun, in Schöneberg, vermisse ich diese Zeit und diesen Ort mit damals noch vielen Künstlerkontakten, den Cafés, Kneipen, Buchhandlungen und besonders die multikulturelle, sozial durchmischte Gesellschaft sehr. Gerade das macht Kreuzberg so weltstädtisch – was Wilmersdorf beispielsweise nicht ist. Leider ist dieses in den 70er und 80er Jahren von Chaoten gerettete Kreuzberg (ein Zitat aus dem Tagesspiegel von Gerd Nowakowski) durch den internationalen, asozialen Immobiliensektor wieder sehr gefährdet.

Mehr zum Künstler: Werner Brunner prägte mit seinen Wandmalereien das Stadtbild Westberlins, vor allem in den Siebzigern und Achtzigern. Er war Mitglied der Künstlergruppe Ratgeb.

Mehr über den Künstler findet sich unter werner-brunner-kunst.com. Folgende Publikationen sind von Werner Brunner erhältlich: „Verblichene Idyllen - Wandbilder im Berliner Mietshaus um 1900“, Berlin 1996 (Gebr. Mann Verlag Berlin) und „Wandbilder der Belle Époque in Europäischen Wohn- und Geschäftshäusern“, Berlin/München 2011 (Deutscher Kunstverlag)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false