zum Hauptinhalt
Grün sehen die Berliner Fußgängerinnen und Fußgänger meist viel zu kurz - und die seit 2016 angepeilte Ampelumstellung läuft nur schleppend.

© imago/imagebroker

Millioneninvestition trotz unklaren Nutzens: Ab 2024 sollen alle 2100 Fußgängerampeln einen Countdown bekommen

Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) will als eines ihrer ersten Großprojekte die Ampeln modernisieren. Der Nutzen ist hochumstritten – die Kosten wären wohl immens.

In Berlin sollen ab 2024 alle 2100 Fußgängerampelanlagen einen Countdown für Fußgänger bekommen. Das erklärte die Berliner Verkehrsverwaltung am Dienstag auf Anfrage des Tagesspiegel und konkretisiert damit eine Idee aus dem am Wochenende beschlossenen Sofortprogramm des neuen Berliner Senats.

Das Großprojekt soll zu mehr Sicherheit für Fußgänger führen. Laut Verkehrsverwaltung soll „damit dem Fußverkehr verdeutlicht werden, dass das ansonsten oft verunsichernde Rest-Rot hinreichend Zeit lässt für die Querung“.

Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat als Favoriten offenbar schon ein abnehmendes Balkenmotiv im Sinn. Dieses wird zurzeit in Wedding getestet. Berliner Ampeln sollen also wohl nicht wie in anderen Städten üblich einen Zahlencountdown erhalten.

Über die Kosten des großflächigen Ampelumbaus kann die Verkehrsverwaltung „aufgrund des frühen Projekt-Zeitpunkts“ noch wenig sagen. Eine vergleichbare, neue Ampelanlage kostet zurzeit rund 30.000 Euro – rechnet man den Preis auf 2100 Ampeln, würde der Umbau mehr als 60 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: Schon das einfache Umprogrammieren einer einzigen Ampel kostet 13.000 Euro.

BUND kritisiert Vorstoß als Geldverschwendung

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin hat den Vorstoß von Schreiner schon am Montag scharf kritisiert. Dessen Verkehrsexperte, Martin Schlegel, hält das Vorhaben von Schreiner für nutzlos für Fußgänger und eine „ärgerliche Geldverschwendung“. Das Geld könne für andere Maßnahmen besser genutzt werden, die tatsächlich die Verkehrssicherheit erhöhten. Dazu gehörten Ampelschaltungen, die Fußgängern eine Querung breiterer Straße mit Mittelinsel in einem Zug ermöglichen.

Tatsächlich hat der Senat schon einmal im Jahr 2016 umfassend geprüft, welche alternative Ampelanlagen für mehr Fußgängersicherheit sorgen könnten, in einem Pilotprojekt „für eine fußverkehrsfreundliche Steuerung von Lichtsignalanlagen“.

In der Auswertung heißt es: „Die Ergebnisse der Fußgängerbefragung (subjektive Kriterien) zeigten, dass nur die beiden Pilotprojekte ‚Rotblinken‘ und ‚Grünblinken‘ von den zu Fuß Gehenden besser als die bestehende Signalisierungsform eingeschätzt wurden. (…) Die beiden Pilotprojekte ‚Grünblinken‘ und ‚Countdown‘ schnitten mit 6,6 und 8,0 schlechter ab als die bestehende Signalisierung (8,2).“ 

Ampelanlagen verschlechtern im Test das subjektive Wohlbefinden

Fußgänger fühlten sich demnach mit den alten Ampelanlagen subjektiv wohler als mit den neuen. Unter Experten ist seit Jahren umstritten, ob die Countdowns die tatsächliche Sicherheit erhöhen. Dazu kommt: Bei den „Investitions- und Betriebskosten“ schnitt das nun ausgewählte Countdown-System in der damaligen Studie am schlechtesten von allen überprüften Systemen ab. Es erzielte, im Vergleich zu den getesteten Alternativen, nur die Hälfte der Punkte.

Auch Roland Stimpel vom Interessenverein Fuss e.V. kritisiert das gewählte Modell. Es verunsichere Menschen zusätzlich – das habe ein zehn Jahre alter Modellversuch am Fehrbelliner Platz gezeigt. Stimpel schwebt anderes vor: „Um Gehende an der Ampel zu sichern, muss das Grün für Gehende und für quer Einfahrende entweder zeitlich entzerrt werden.“ Oder es müsse vorgeschrieben werden, dass an Ampeln nur im Schritttempo abgebogen werden darf. Für rechts abbiegende LKW innerorts gibt es diese Vorschrift seit 2020.

Ampeln sind laut Stimpel „Hochrisikoorte“. Im Jahr 2021 kamen in Deutschland an Ampeln 1278 Menschen durch Fahrerinnen und Fahrer zu Schaden, denen „fehlerhaftes Verhalten gegenüber Fußgängern“ nachgewiesen wurde, meldet das Statistische Bundesamt. All diese 1278 Menschen waren bei Grün gegangen. Es verunglückten nur 686 Menschen, die bei Rot gegangen waren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false