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© promo / Dirk Lässig

Nachruf auf David Y. Eckel: Der Baum war doch schon immer da

Er stieg auf eine Leiter, Helmut Kohl sah ihn, er berichtete darüber in seiner eigenen Zeitung. Veränderungen waren schwierig.

Abend für Abend saßen David und sein Vater Gert in einem sehr großen, alten Reisekoffer. Hatten es sich mit Kissen bequem gemacht, hatten sich aneinander gekuschelt, ihr eigener kleiner Kosmos. Dann schlug der Vater ein Märchenbuch auf und las vor. Nur bei „Hänsel und Gretel“ hatte David Angst. Von den Eltern verlassen zu werden, war eine höchst bedrohliche Vorstellung. Auf die Märchen folgten „Robinson Crusoe“ und „Huckleberry Finn“; manchmal lasen sie bis um elf am Abend.

1940, ein mutiger Pfarrer taufte Sarah, Davids spätere Mutter, auf den Namen Brigitte, das jüdische Kind war nun christlich. Sie überlebte, wurde Malerin, saß mit nackten Füßen auf Polizeiwasserwerfern, um gegen den Schah zu protestieren, lernte Gert kennen, einen Architekten, und wechselte wieder von Brigitte zu Sarah.

Am Shabbat gingen Gert, Sarah und David in das Restaurant „Mifgash Israel“. David spielte dort immer mit einem Freund auf der breiten Fensterbank. Am 15. Januar 1982 stand die Familie schon vor dem Restaurant, als ihnen einfiel, dass sie doch ausnahmsweise anderswo verabredet waren. Wenig später explodierte eine Bombe, bei der Fensterbank abgestellt, mutmaßlich von palästinensischen Terroristen. 14 Menschen wurden verletzt, die kleine Schwester des Freundes kam ums Leben.

Ein eigener Wald

Ein altes Bauernhaus in der Bretagne, ein großer Garten, Vater und Sohn pflanzten auf 2000 Quadratmetern einen eigenen kleinen Wald: Kiefern, Esskastanien und Eichen. Die Bauern riefen an, wenn eine Kuh kalbte, das musste David sehen. Viel später sollte einer der Bäume gefällt werden, was David erschütterte. Der Baum war doch schon immer da, so fühlte es sich an. Nichts sollte sich ändern.

David war acht, als er seine Zeitung „Der Natur auf der Spur“ gründete. Jeden Monat füllte er zehn Seiten, schrieb über die Schweine, die er auf dem Bauernhof in der „Domäne Dahlem“ beobachte. Berichtete über seine drei Bienenvölker, deren Honig er als Hobby-Imker erntete. Einmal entdeckte er Helmut Kohl, der vor einer Gästevilla der Regierung von Journalisten interviewt wurde. David rannte nach Hause, holte eine Leiter und war auf einmal größer als die Journalisten. Kohl soll ihn gesehen und gegrüßt haben, worüber David natürlich einen Artikel schrieb.

Die Zeitung vervielfältigte er auf dem Kopierer seines Vaters, nutzte dessen Frankiermaschine und sandte die Ausgaben an seine zahlenden Abonnenten. Wenn jemand ein Wespennest auf dem Balkon hatte, kam David und entfernte es mit seinem Schutzanzug – gegen einen Obolus. Als Jugendlicher richtete er Motto-Partys aus, mietete Räume an, ließ Getränke kommen, organisierte den DJ, nahm Eintritt.

All das fiel ihm leicht, er ging auf die Leute zu, unterhielt sich umstandslos mit Mädchen, schloss Freundschaften. Hatte ein Freund Liebeskummer, hörte er zu. Brauchte später jemand Geld, lieh er es. Brauchte jemand einen Job, vermittelte er.

Mit 16 tauchte David bei der Schüler Union auf, trug ein Caro-Jackett aus den 60ern, sah irgendwie cool aus. Keine Gelegenheit ließ er aus, um sich in der Diskussion zu messen, das konnte ein richtiger Kampf werden. Sein Lieblingsgegner war sein bester Freund, was man nicht vermutete, so wie sie sich attackierten. „Junge Union“, „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“, Bundesdelegierter, Vorstandsmitglied, Studentenparlament, schließlich stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender der BVV Steglitz-Zehlendorf.

„Er war durchgehend konservativ, wollte bewahren. Veränderungen waren schwierig“, sagt sein Vater. Gleichzeitig machte David nie etwas, nur weil andere es taten, machte zum Beispiel weder Wehrdienst noch Zivildienst. Diese Eigenständigkeit war es vielleicht auch, warum er in der Politik nicht höher hinauswollte. Viel zu viele Zugeständnisse wären da notwendig gewesen.

„Niemand soll zu irgendetwas gezwungen werden“, sagte er. Leute, die sich für das Klima auf die Straße kleben, handeln totalitär, so sah er das. Die Ehe wiederum war ihm heilig. Gleichgeschlechtliche Paare sollten alle Rechte bekommen, heiraten aber besser nicht.

David war 19, als seine Mutter Krebs bekam. Er hat nicht geweint und nicht gejammert, sondern geholfen, so erzählt es sein Vater. Als sie starb, war David 29. Sie richteten ihr einen Erinnerungsort in ihrem Wald in der Bretagne ein.

Sein Job: Konflikte aus dem Weg räumen

Als Schüler schrieb David Artikel über Restaurants, als Student organisierte er Events, über die dann Journalisten berichteten. Schließlich machte er es zu seinem Beruf, Menschen zusammenzubringen. Stand etwa ein Bauprojekt an, war es sein Job, potenzielle Konflikte aus dem Weg zu räumen, er redete mit dem Bauherrn, dem Denkmalschutz, anderen Entscheidern und mit Journalisten. Er beriet Unternehmen in Krisen-PR. Die Aufträge wurden mehr, die Mitarbeiter auch.

In einem Potsdamer Café traf er sich mit einem Kunden. Das Café gehörte Franziska. David war groß, sie auch. Über die Köpfe der anderen hinweg sahen sie sich in die Augen. Die Dinge nahmen ihren Lauf, sie zogen in ein Haus, bekamen eine Tochter, einen Sohn, wurden eine Familie, so wie David sich das vorgestellt hatte.

Im März 2022 ein epileptischer Anfall, David kam ins Krankenhaus. Ein Tumor im Kopf. David, der solche Angst vor dem Tod hatte, musste sich mit seinem eigenen Ende beschäftigen. Seine Freunde nahmen ihn mit, egal in was für einem Zustand er war, in den Garten, auf Ausflüge, zum Grillen. Sie trugen ihn die Treppe hoch, wenn es sein musste. Sein Vater saß an seinem Bett, las ihm vor, Seite um Seite. Davids Augen sagten, dass er weiterlesen solle.

„Was, wenn das Leben nicht in Jahren gezählt wird, sondern in Momenten, die du genossen hast?“, fragte seine Tochter zu seinem Abschied.

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