zum Hauptinhalt
Petra Heymann

© privat

Nachruf auf Petra Heymann: „Dann fahre ich gegen einen Baum“

Im Osten war sie „Schnittmeisterin“, im Westen „Cutterin“. Dann hörte sie auf zu arbeiten...

Petra und Gabriele waren Schwestern, Petra die jüngere, Gabriele die ältere. Petras Zimmerseite war unaufgeräumt, Gabrieles ordentlich. Gab es Süßigkeiten, aß Petra ihre sofort auf und versuchte dann an die von Gabriele zu gelangen. Gabriele blieb für sich, Petra lud Freunde ein, mit denen sie im großen Garten spielte. Später, mit 13 oder 14, hockten sie mit Jungs in ihrem Zimmer. Erste Küsse, erste Zigaretten, erstes Bier, nachts draußen, Freiheit, Abenteuer. Petra mit der blonden Mähne wollte raus und sich von ihren Eltern nichts mehr sagen lassen.

Ihr Vater war Tierarzt, kümmerte sich um Hamster, Katzen und Goldfische, aber auch um die Tiere im Bergzoo von Halle. Kranke Tiere nahm er mit nach Hause, um sie aufzupäppeln. Petra und Gabriele halfen ihm, fütterten, streichelten, staunten. Es gibt ein Foto, da sitzt zwischen den beiden Mädchen ein kleiner Löwe. Und immer waren Hunde im Haus, die in Petras Bett schlafen durften.

Die Eltern hatten viele Freunde im Westen, die Jeans, Schallplatten und ihre Erfahrungen aus der Freiheit mitbrachten. Das machte es Petra in der Schule nicht leichter. Sie widersprach Lehrern im Staatsbürgerkundeunterricht, zog ihre Blue Jeans an und schwärmte von den Beatles. Sie ging nicht zu den Pionieren, war nicht in der FDJ, machte keine Jugendweihe. In die Kirche wollte sie aber auch nicht. Gab es Ärger, wurden ihr irgendwelche Konsequenzen angedroht, zuckte sie mit den Schultern. Petra ließ sich nicht einschüchtern. Abitur durfte sie machen, studieren jedoch nicht.

Vielleicht wollte sie ihre bürgerlichen Eltern ärgern

Mit 17 wurde Petra krank, ein Tumor, der sofort entfernt werden musste. Alles ging gut, nur schwanger werden konnte sie nicht mehr. Damals, so jung, machte sie sich darüber keine Gedanken. Später war sie traurig deshalb.

Ihr erster Freund und Mann war ein Bildhauer. Vielleicht wollte sie ihre bürgerlichen Eltern ärgern. Vielleicht fand sie vor allem seine Künstlerbude toll, mehr Baustelle und Atelier als Wohnung. Die Ehe währte nur kurz, Freunde blieben sie ihr Leben lang. Überhaupt war sie eine gute Freundin, die Kontakt hielt. Mit ihr konnte man gut lachen. Sie hatte immer was zu berichten. Nur durfte man sich nicht davon irritieren lassen, dass sie Dinge aussprach, die andere lieber beschwiegen.

Über einen Freund gelangte sie in den Filmschneideraum des Fernsehstudios Halle. Sie begann mit Hilfsarbeiten, schaute zu und lernte, arbeitete mit dem Filmmaterial, zerschnitt es und setzte es mit Klebeband wieder neu zusammen. Der dunkle Raum, die Monitore, das Frickeln an Details. Es war, als ob man die reale Welt verlässt und in eine eigene, neue Realität tritt. Und am Ende gab es ein Ergebnis, einen Film.

Petra durfte dann doch noch studieren, ging nach Babelsberg, wurde „Schnittmeisterin für Film und Fernsehen“ , Abschlussnote: 1,0. Und sie lernte ihren zweiten Mann kennen, einen um einiges älteren Regisseur. Die einen sagen, dass er die Liebe ihres Lebens war. Die anderen, dass sie mit ihm wieder nur ihre Eltern ärgern wollte. Wie auch immer, auch diese Ehe währte kurz. Petra wollte in den Westen, er nicht. 1982 stellte sie den Ausreiseantrag, ein paar Monate später stand sie mit einem Köfferchen am Bahnsteig. Zwei Jahre später folgte Gabriele. Petra hatte ihr beim Antrag geholfen und geraten, alle Sachen gepackt zu halten. Denn war der Antrag genehmigt, hatte man nur wenige Tage, um die Grenze zu passieren.

Andere fanden das anstrengend

Der Anfang im Westen war schwer, alles war neu, Freunde hatte sie keine. Doch sie fand gleich Arbeit: Schnittmeisterin bei Chronos. Petra war gut, hatte einen künstlerischen Anspruch, schnitt einen Film nach dem anderen und tauchte schnell in die West-Berliner Filmwelt ein, inklusive roter Teppich, Berlinale, Preise und Erfolge. Auch als „Cutterin“, wie ihr Beruf nun hieß, konnte man sich einen Namen machen. Petra liebte anspruchsvolle Dokumentarfilme und hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen von dem Film, den sie da schnitt. Manche Regisseure fanden das gut, ein frischer, neuer Blick. Andere fanden das anstrengend und wollten sich nicht reinreden lassen. Das wiederum fand Petra nicht gut und sagte das auch.

Erst kam die Digitalisierung, das war kein Problem. Sie richtete sich einen digitalen Schnittplatz ein. Es nervte sie nur, dass jetzt alles immer schneller gehen musste, und dass es viel zu viel Material gab. Plötzlich sollte sie auch noch für die Effekte zuständig sein. Sie wollte doch Geschichten erzählen, kreativ sein und nichts in die Luft fliegen lassen.

Als sie nur noch für Fernsehserien beauftragt wurde, kippte etwas in ihr. Sie hörte auf zu arbeiten. „Bewirb dich doch. Was willst du machen, wenn dein Geld alle ist?“, fragte ihre Schwester. „Dann fahre ich gegen einen Baum“, erwiderte Petra. Was sie dann auch tat, mit 130 km/h.

Doch sie überlebte, mühsam zusammengeflickt, ein Bein kürzer als das andere. Monat für Monat halfen ihr ihre beiden Schwestern, die Lust am Leben zurückzugewinnen.

Petra beantragte Frührente, ging nebenbei putzen, fuhr einmal im Jahr für eine Kur nach Sri Lanka. Dann besuchte sie Freunde auf dem Land und half ihnen im Garten. Am Nikolsburger Platz in Wilmersdorf kümmerte sie sich um ein Nachbarschafts-Blumenbeet. Am Prager Platz sah sie nach den obdachlosen Menschen, brachte ihnen Essen und Anziehsachen. Petra suchte einen Platz in dieser Welt.

Doch sie war auch traurig, hatte Schmerzen von den Operationen, trank zu viel. So ging es auf und ab. Bis sie nicht mehr weiter wollte und sich an eine Sterbehilfeorganisation wandte. Anonym auf einer Wiese wolle sie bestattet werden. Auf alle Sachen in ihrer Wohnung hat sie Zettel geklebt, wer von ihren Freunden und Schwestern was bekommen sollte. Dann, an einem regnerischen Freitag im November, war es so weit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false